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Das Kind hat Recht!

Yasemen Ilhan
Gerade in einer Zeit, in der man die Gleichberechtigung und den Frieden am meisten vermisst, erscheint das neue Album von Kardes Türküler. Mit insgesamt 16 Liedern in den verschiedensten Sprachen Anatoliens brachte die Folk-Bigband aus Istanbul ihr siebtes Album heraus.
Im Gegensatz zu uns Erwachsenen ist es für ein Kind keine große Sache, sich nach dem Streit wieder mit dem anderen versöhnen zu können. Denn es betrachtet die Welt mit seiner Naivität und hat in erster Linie nur eine Sorge – es will wieder mit dem anderen Kind spielen. Doch genauso ist es auch das Kind, welches kein Blatt vor den Mund nimmt und sagt: „Der König ist nackt!“ Was es aber immer an solchen Momenten zu hören bekommt, ist meistens: „Jetzt musst du still sein!“, oder „Das darfst du aber nicht sagen!“ Selber möchte man so einiges verschweigen und schreibt es dem Kind auch dementsprechend vor. Wenn man sich dann aber selbst einmal überwunden hat, kann man es erst zugeben: „Das Kind hatte doch Recht!“
In den vergangenen Jahren haben wir von Neuem in aller Härte erlebt, wie Kinder der Gewalt, der Diskriminierung und der Armut ausgesetzt worden sind. Sei es das Kind mitten im Krieg, dessen Spielkameraden tagtäglich den Bomben zu Opfer fallen oder sei es das Kind mitten in der Großstadt, welches täglich 14 Stunden arbeiten muss, um überhaupt leben zu können – immer sind es die Kinder, die von den Spielchen der Erwachsenen am härtesten getroffen werden. Und wenn es sich dann mit seiner Steinschleuder in der Hand rächen will, wird es als Terrorist bezeichnet und auf der Stelle ermordet oder festgenommen. Hunderte Kinder wurden so in den vergangenen Jahren einer Freiheitsstrafe ausgesetzt und noch nicht einmal seitens der Kinder- und Jugendgerichte verurteilt, sondern bei herkömmlichen Prozessen bestraft. Doch nie oder sehr selten wurde die Traumatisierung dieser Kinder, die dem Krieg und der Armut ausgesetzt worden waren, thematisiert. Aber eines ist offensichtlich: Kinder wollten keine Opfer der Gewalt mehr sein. Das einzige, was sie haben wollen, ist eine friedliche und lebenswerte Welt. Und dabei sind sie immer im Recht.
So nannten auch Kardes Türküler ihr neues, vor Kurzem erschienenes Album – „Das Kind hat Recht!“ („Cocuk hakli“). Insgesamt beinhaltet das Album 16 verschiedensprachige Lieder. Tracks wie „1-0“, „Nazar“ und „Yoyo“ schildert die vorurteilslose und nicht von Feindseeligkeit und Hass geschürte Welt der Kinder. „Haydo“ erzählt die Geschichte von einem kleinen, armenischen Jungen, der der Hoffnungsfunken seiner Familie ist. Auch an dem Tag geht Haydo zum Bergrand, um von dem Bach Wasser nach Hause zu tragen und wird dabei aber erschossen. Aber genauso werden mit Liedern wie „Güldaniyem“ (Balkan), „Daymohk“ (Kaukasien), „Qewle Kofa“ und Derdo Derdo“ (Nahosten) die Sehnsucht und Trauer derjenigen Kinder erzählt, die gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen. Dem Thema Umwelt widmet Kardes Türküler in ihrer CD ebenfalls einen Platz: „Das traditionelle Lied „Oi, Oi!“ singen wir, damit die Quellen des Schwarzmeergebietes wieder wie zuvor fließen können“, sagt ein Bandmitglied bei der Vorstellungsveranstaltung. Die musikalische Leitung des Albums übernahm Arto Tuncboyaciyan, den die Band als „Mr. Avantgarde Folk“ bezeichnet.
Gegründet wurde die Band 1995 an der Istanbuler Bosporus Universität. Zunächst waren es die Studenten, die das Projekt als eine Tanzaufführung mit Gesang starteten und es als „Kardes Türküler“ benannten. Das Repertoire des ersten Konzerts unter diesem Namen beinhaltete kurdische, armenische, azerbaidschanische und türkische Lieder. Im Laufe der Zeit kamen schließlich alle Sprachen, die in Anatolien gesprochen wurden bzw. immer noch gesprochen werden, dazu. Seit Anfang an versteht sich die Band als Repräsentant Anatoliens und mischt ihre eigenen Klänge unter traditionelle Lieder aus den verschiedenen Regionen der Türkei. Dabei werden Lieder von Lasen, Makedonen, Georgiern, Sinti und Roma, Armeniern, Kurden, Tscherkessen, Arabern und Türken wiedergegeben. Hinter diesem großen Repertoire steht eine genauso große Anzahl an Musikern. Denn ungefähr 30 Musikerinnen und Musiker arbeiten seit Jahren an dem Projekt „Kardes Türküler“ mit.

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