Am 9. September 2000 wurde der Blumenhändler Enver Şimşek vom rechtsterroristischen NSU in Nürnberg erschossen. Zwei Tage später erlag der Familienvater seinen Wunden und wurde somit das erste Mordopfer im NSU-Komplex. Am 25. Jahrestag des Verbrechens hat ein großes Bündnis von Initiativen, Familien und Betroffenen eine Gedenkveranstaltung für Enver Şimşek veranstaltet.
Das Nürnberger Bündnis Nazistopp und das Solidaritätsnetzwerk der Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt hatten die Gedenkveranstaltung mit Unterstützung zahlreicher Nürnberger Gruppen (u.a. Naturfreunde, Omas gegen Rechts, das Schweigen Durchbrechen, DIDF & DIDF-Jugend) organisiert. Am Enver-Şimşek-Platz, dem Tatort des Mordes, der vor wenigen Jahren nach Forderungen von Nürnberger Gruppen und der Familie nach Şimşek benannt wurde, kamen am 9. September 450 Menschen zusammen, um Şimşek und den anderen Opfern des NSU zu gedenken, aber auch um weiter Aufklärung zu fordern.
Im knapp 90-minütigen Programm gab es neben Musikbeiträgen der Cellistin Eilin Herrmann zahlreiche Redebeiträge von Familienmitgliedern, Betroffenen und Aktiven. Während immer wieder betont wurde, wie der gewaltsame Verlust sich auf die Familie ausgewirkt hat, zogen sich bestimmte Themen durch alle Redebeiträge: 1. Die Kriminalisierung der Familien und der Opfer durch die Ermittlungsbehörden und Medien und 2. Die fehlende Aufklärung des Komplexes bis zum heutigen Tag. Semiya Şimşek, Enver Şimşeks Tochter, die zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt und war und heute in der Türkei lebt, erklärte: „11 Jahre durften wir nicht Opfer sein“. Sie beschrieb einmal mehr, was die rassistischen Verdächtigungen der Polizei mit ihr und ihrer Familie gemacht haben. Das bestätigten ebenso Gamze Kubaşık, Tochter des 2006 in Dortmund vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık und Mandy Boulgarides, deren Vater, Theodoros Boulgarides, 2005 in München das siebte Mordopfer der Rechtsterroristen wurde. Şimşek machte in ihrem Redebeitrag zudem deutlich, dass die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe nicht in ein Ausstiegsprogramm für Neonazis aufgenommen werden dürfe, da sie weder Reue gezeigt, noch zur Aufklärung der Verbrechen beigetragen habe. Gegen diese Entscheidung haben Şimşek, Kubaşık, Mandy Boulgarides, sowie ihre Schwester Michalina, eine Petition ins Leben gerufen.
Ebenfalls anwesend war Serkan Yıldırım, der 1999 einen Sprengstoffanschlag des NSU in Nürnberg überlebte und einen Appell an die Teilnehmenden richtete: „Kämpft jeden Tag für eine offene und tolerante Gesellschaft, in der jeder Mensch sicher leben kann, unabhängig von seiner Herkunft, Religion oder Hautfarbe“.

Alev Bahadır von Junge Stimme e.V. (DIDF-Jugend Nürnberg)
Neben den Betroffenen des NSU-Terrors waren auch andere Personen und Betroffene anwesend und sprachen. So Çetin Gültekin, Bruder von Gökhan Gültekin, der beim rechtsterroristischen Anschlag in Hanau 2020 ermordet worden war. Gültekin kritisierte die Behörden und machte deutlich, dass wir eine Gesellschaft der Vielen werden und nicht zulassen dürfen, dass Rechte dies verhindern. Yasemin Kılıç hatte beim rassistischen Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München 2016 ihren Sohn verloren, auch sie machte deutlich, dass das fehlende Vorgehen gegen Rechts durch die Behörden mitverantwortlich für ihre aller Verluste sei. Die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die die Familie Şimşek in der Nebenklage im NSU Prozess in München vertreten hatte, schilderte die rassistischen Ermittlungen und die fehlende Aufklärung im Prozess.
Christine Werner, die gemeinsam mit Semiya Şimşek und Gamze Kubaşık im August diesen Jahres das Jugendbuch „Unser Schmerz ist unsere Kraft“ veröffentlicht hatte, sprach über die Familie, während Gisbert von Eyb vom Nürnberger Bündnis Nazistopp vom Nürnberger Netzwerk des NSU erzählte. Zum Schluss sprach Alev Bahadır von Junge Stimme e.V. (DIDF-Jugend Nürnberg) über die Notwendigkeit die soziale Frage mit antirassistischen Kämpfen zu verbinden und kritisierte die aktuelle Politik, die Migranten kriminalisiere und nach ihrer Verwertbarkeit einordne.
Während die Teilnehmenden ihre Blumen an der Gedenktafel für Enver Şimşek niederlegten, machten die beiden Moderator:innen, Birgit Mair (Nürnberger Bündnis Nazistopp) und Ali Şirin (Solidaritätsnetzwerk) deutlich, dass zu erinnern bedeute, sich auch weiterhin gegen Rechts zu stellen und Aufklärung im Komplex zu fordern. Zahlreiche Medien haben an der Gedenkveranstaltung teilgenommen, jedoch nur vereinzelte Vertreter:innen des Nürnberger Stadtrats. Der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Marcus König, war nicht bei der Veranstaltung anwesend, hatte aber am Nachmittag gemeinsam mit der Familie Şimşek den Tatort besucht.
Am Abend zuvor hatten Semiya Şimşek, Gamze Kubaşık und Christine Werner vor knapp 250 Personen ihr Buch „Unser Schmerz ist unsere Kraft“ vorgestellt. Bei der Veranstaltung, die vom Inter-Kultur-Büro der Stadt Nürnberg, B.U.D. (Beratung-Unterstützung-Dokumentation für Betroffene rechter Gewalt) und Junge Stimme e.V. organisiert wurde, schilderten Şimşek und Kubaşık sehr eindringlich ihre Erlebnisse, ihren Verlust und das verlorene Vertrauen in deutsche Behörden. Sie machten aber klar, dass sie nicht resigniert haben und erinnern und gegen rechte Gewalt einstehen wollen und deshalb das Jugendbuch geschrieben haben, um auch jungen Menschen die Opfer des NSU näher zu bringen.

				
            
            