Written by 09:21 DEUTSCH

„Academia Under Attack“ – Konferenz in Hamburg fordert Wissenschaft mit Friedensverantwortung

Am 12. und 13. April 2025 versammelten sich an der Universität Hamburg mehrere Hundert Teilnehmende zur Konferenz „Academia Under Attack“ und forderten Wissenschaftsfreiheit, internationale Solidarität mit Palästina und ein Ende der Repressionen

Organisiert von Lehrenden, Forschenden und Studierenden norddeutscher Hochschulen, reagierte die Konferenz auf zwei zentrale Entwicklungen: Die systematische Zerstörung von Bildungsinstitutionen in Gaza durch das israelische Militär sowie die autoritäre Zuspitzung des politischen Klimas in Deutschland, insbesondere im Umgang mit Stimmen, die sich kritisch zur Israel-Politik äußern oder sich mit Palästina solidarisieren und der Militarisierung der Hochschulen im Kontext der sogenannten „Zeitenwende“.

Die Konferenz erhielt breite Unterstützung aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und studentischen Initiativen. Engagiert beteiligt waren unter anderem die Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft, die Association of Palestinian and Jewish Academics, mehrere Allgemeine Studierendenausschüsse (u.a. der Uni Hamburg, der HAW Hamburg und der Universität Bremen), die Gruppen Students for Palestine (Hamburg und Münster), das Academic Action Network for Palestine, das Orient-Institut Beirut, Uni(te) for Pali Bremen sowie IALANA Deutschland e.V. – die deutsche Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms.

In einer Zeit, in der an deutschen Universitäten kritische Stimmen zunehmend unter Druck geraten, fand die Konferenz in erstaunlich großem Rahmen und ohne Einschränkungen statt. So verwunderlich, dass gleich mehrere Teilnehmende an den Anmeldetischen ihr Erstaunen darüber äußerten, dass die Veranstaltung nicht abgesagt wurde bzw. keine Polizei vor Ort wäre. Anfang des Jahres waren der Konferenz „Talking about (the silencing of) Palestine an der Goethe Universität Frankfurt die Räume entzogen worden.

Bildung unter Beschuss – Wissenschaft unter Druck

Die Eröffnungsreden der Organisatoren machten gleich zu Anfang deutlich: an diesem Wochenende sollte benannt werden, was schon lange und deutlich von den Hochschulen hätte ausgesprochen werden müssen. Eine klare politische Stellungnahme gegen Waffenexporte, gegen Rüstungsforschung und gegen das Schweigen zu den Angriffen auf die palästinensischen Gebiete und der Zerstörung der Universitäten in Gaza. Man kritisierte nicht nur das Schweigen deutscher Universitäten, sondern auch deren fehlende Unterstützung für palästinensische Wissenschaftlerinnen.

Zudem wurde Bezug auf einen offenen Brief von über 180 palästinensischen Wissenschaftlerinnen genommen, die internationale Kolleginnen zum Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Universitäten und zur Zusammenarbeit beim Wiederaufbau aufrufen. Dabei halte man aber „nichts von Mitleid, das sich nur in Hilfsbereitschaft und nicht auch in Zorn verwandelt“ – ein Zitat von Bertolt Brecht -, denn Wissenschaft stehe in gesellschaftlicher Verantwortung – für Frieden, Gerechtigkeit und globale Solidarität. Das machten auch Redner*innen wie Dr. Laila Prager und Prof. Michael Barenboim von der Association of Palestinian and Jewish Academics in ihren Eingangsstatements deutlich.

Immer wieder wurde die Einschränkung wissenschaftlicher Freiheiten thematisiert: politische Disziplinierungsversuche, Angriffe auf die Autonomie von Hochschulen, sowie der ideologische Missbrauch des Antisemitismusbegriffs. Die Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus sei nicht nur wissenschaftlich problematisch, sondern diene zunehmend als Mittel zur Delegitimierung linker, migrantischer oder solidarischer Positionen. Auch jüdische oder israelische Akademikerinnen seien davon betroffen.

Foto: Yeni Hayat

Panel für Panel: Analyse und Perspektiven

Zwei Tage lang diskutierten die anwesenden Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Studierenden auf 5 Panels über zentrale Fragen rund um den Gazakrieg, die Rolle von Hochschulen und Medien sowie die Möglichkeiten solidarischer Praxis.

Gleich zu Beginn rückte ein Thema ins Zentrum, das erschütterte: die gezielte Zerstörung der Bildungsinfrastruktur im Gazastreifen – auch als „Scholasticide“ bezeichnet. Prof. Dr. Yusuf Sayed von der Universität Cambridge präsentierte aktuelle Zahlen, die das Ausmaß verdeutlichen: Seit dem 8. Oktober 2023 seien 92 Prozent aller Bildungseinrichtungen beschädigt, 85 Prozent gar vollständig zerstört worden.

Die Lehrerin Asma Mustafa, aus Gaza zugeschaltet, gab dem Thema ein Gesicht. Über Zoom berichtete sie eindringlich von ihrem Alltag im Ausnahmezustand. „Da die meisten Schulen nicht mehr stehen, sind wir Lehrer jetzt die Schule“, sagte sie. Immer wieder musste sie mit ihren zwei Kindern fliehen – die einzige Konstante: eine kleine Kreidetafel, die sie stets mitnimmt. Ihr Engagement und ihre unerschütterliche Hoffnung rührten das Publikum zutiefst – am Ende ihres Beitrags erhob sich der Saal zu Standing Ovations.

Neben dem Blick nach Gaza war auch die Situation in Deutschland Thema. Mehrfach wurde die Repression gegen pro-palästinensisches Engagement an deutschen Hochschulen kritisiert. Zugleich würdigten die Teilnehmer*innen die Entschlossenheit vieler Studierender, sich trotz Gegenwindes weiter zu engagieren.

Ein weiteres Panel nahm den zunehmenden Druck auf Hochschulen zur militärischen Zusammenarbeit unter die Lupe – oft im Widerspruch zur sogenannten Zivilklausel. Prof. Dr. Werner Ruf von der Universität Kassel prangerte die Abhängigkeit von Drittmitteln an: Sie mache Forschung marktkonform statt unabhängig. Eine demokratische Wissenschaft, so Ruf, müsse dauerhaft staatlich finanziert sein – nicht nur durch punktuelle politische Willensbekundungen. Den aktuellen Sicherheitsbegriff kritisierte er scharf: Er fördere Konfrontation und Abgrenzung. Sicherheit müsse stattdessen gemeinsam gedacht werden – nicht national.

Am zweiten Konferenztag stand die Rolle der Medien im Fokus. Riad Othman von medico international zeigte eindrucksvoll die Diskrepanz zwischen der Realität der humanitären Lage in Gaza und der medialen Darstellung in Deutschland auf. „Das Bild, das hier gezeichnet wird, stimmt schlicht nicht“, berichtete er. Der freie Journalist Hanno Hauenstein ergänzte: Die deutsche Berichterstattung entmenschliche Palästinenser*innen und übernehme oft ungeprüft offizielle israelische Quellen. Doch dem Publikum reichte das nicht – die Diskussion im Saal wurde zunehmend unruhig. Eine Zuhörerin konnte ihre Ungeduld nicht länger verbergen und forderte lautstark, den Rassismus der “Leitmedien” klar zu benennen und endlich wirksame Strategien dagegen aufzuzeigen.

Die Frustration über eine als einseitig empfundene Medienlandschaft war greifbar. Soziale Medien, eigentlich ein Raum für Gegenöffentlichkeit, stoßen ebenfalls an Grenzen: Beiträge würden systematisch in ihrer Reichweite eingeschränkt. Wer sich öffentlich äußere – wie im Fall von Helen Fares – müsse mit Repressalien rechnen: von Diffamierung bis hin zur Kündigung. Selbstständige Journalist*innen trifft es dadurch, dass ihre Berichte einfach nicht mehr gekauft werden.

Trotz allem blieb die Konferenz nicht bei Analyse und Kritik stehen. Vielmehr wurde deutlich: Es geht um konkrete Forderungen und solidarische Perspektiven. Beiträge wie der von Prof. Dr. Aleida Assmann zur „Jerusalem Declaration“ oder von Dr. Wesam Amer zur Lage palästinensischer Universitäten zeigten eindrucksvoll, wie Wissenschaft auch unter schwierigsten Bedingungen zu Aufklärung und friedlichem Widerstand beitragen kann.

Und selbst am späten Samstagabend, nach einem langen Konferenztag, saßen viele noch beisammen – zum Beispiel Wissenschaftler*innen der *Allianz für kritische und solidarische Wissenschaft und engagierte Studierende. In Arbeitsgruppen wurde weitergedacht, diskutiert und geplant – mit dem klaren Ziel: Sich zusammenzuschließen und Veränderungen anzustoßen.

Ein Aufbruch?

Ob die Konferenz ein Aufbruch für eine neue, politisch positionierte Hochschulbewegung in Deutschland ist, wird sich zeigen. Doch, dass sie stattgefunden hat, war für viele Teilnehmende bereits ein wichtiges Signal: gegen das Klima der Angst und der Einschüchterung, für eine Wissenschaft, die sich in gesellschaftlicher Verantwortung versteht. Die Organisator*innen rufen mit einer Konferenzdeklaration dazu auf, die Inhalte der Konferenz in Hochschulen, Gewerkschaften, Parteien und Initiativen weiterzutragen und konkrete Schritte folgen zu lassen: Diskussionsveranstaltungen, studentische Gruppen, wissenschaftliche Kooperationen, aber auch Protestaktionen. Die vollständige Abschlussresolution ist zu lesen auf academia-under-attack.org.

Die Botschaft ist klar: Wissenschaft ist nicht neutral. Und wer sich in der heutigen Zeit nicht zu Frieden, Gerechtigkeit und internationaler Solidarität bekennt, macht sich mitschuldig und Selbstzensur führt nur dazu, dass es schlimmer wird. Deshalb sollte man sich wehren, bevor es zu spät ist.

Close