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Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger

Özgün Önal

Es war der Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott (CDU), der vor einem knappen Jahr in Deutschland ein Tabu brach. Er führte in seinem Landkreis in Eigenregie eine Arbeitspflicht für Asylbewerber ein. Dem folgten mehrere weitere Landkreise. Nun hat der Stadtrat in Schwerin erstmals eine Arbeitspflicht für alle Bürgergeld-Empfänger beschlossen. Dabei ging es „nur“ um einen Antrag, eine Arbeitspflicht für Asylbewerber einzuführen. Doch die CDU überholte den Antragsteller (AfD) von rechts und weitete ihn aus. Nun sollen alle Bürgergeld-Empfänger zur Arbeit gezwungen werden können.

Vermeintlich ein kommunales Thema breitete sich wie ein Fegefeuer über die ganze Republik aus. Union und FDP sprachen lautstark über die Einführung einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger. Auf den ersten Blick scheint das Ziel zu sein, Sozialleistungsbeziehende zu „motivieren“, sich ehrenamtlich für die Gesellschaft zu engagieren. Doch bei näherer Betrachtung offenbart sich eine andere Intention.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzlerkandidat der Grünen äußerte dazu, Bürgergeld-Empfänger sollten nicht allein auf das Geld der arbeitenden Bevölkerung angewiesen sein, sondern dafür auch etwas leisten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte, arbeitsfähige Sozialleistungsbeziehende sollten arbeiten – andernfalls dürfe es keine Leistungen geben. Auch FDP-Fraktionsvorsitzender Christoph Meyer betonte in der Bild-Zeitung, eine gemeinnützige Arbeitspflicht könne einen geregelten Alltag schaffen, bevor die Betroffenen zügig in den Arbeitsmarkt zurückkehren.

Eine gefährliche Rhetorik

Bei all den Versuchen, diese Politik zu rechtfertigen, öffnet eine Arbeitspflicht wieder Tür und Tor für Diskussionen über die „Ausnutzung“ der Sozialsysteme. Es wird suggeriert, dass die Empfängerinnen und Empfänger nicht in der Lage seien, sich „aufzuraffen“ oder selbst „ihr Leben in den Griff zu kriegen“.

Dabei wird oft übersehen, dass Bürgergeld nur bei Nachweis absoluter Bedürftigkeit gewährt wird. Menschen in diese Lage zu zwingen, um sie anschließend zu unbezahlter Arbeit zu verpflichten, ist ein Ausdruck von sozialer Doppelmoral. Insbesondere die CDU geht noch weiter und fordert die komplette Abschaffung des Bürgergeldes.

Kritik an der Arbeitspflicht

Der Paritätische Gesamtverband kritisiert die Vorschläge scharf. Hauptgeschäftsführer Joachim Rock erklärte, die Darstellung von „vieltausendfacher Arbeitsverweigerung“ sei ein Zerrbild. Laut ihm befinden sich viele Bürgergeld-Empfänger bereits – oft in prekären -Beschäftigungsverhältnissen. Zudem birgt eine solche Politik erhebliche Risiken für die Gesellschaft, da sie soziale Ungleichheiten weiter verschärft und das Vertrauen in die Politik untergräbt.

Besonders Rentner, Pflegebedürftige und Kranke könnten zu den Leidtragenden einer Arbeitspflicht gehören.

Doppelte Standards in der Ausgabenpolitik

Während die Sozialleistungen gerade einmal 4 % der Gesamtausgaben des Bundeshaushalts ausmachen, wurden über Nacht unzählige Milliarden Euro für die militärische Aufrüstung im Ukraine-Krieg freigestellt. In Zeiten wachsender sozialer Not wirkt diese Prioritätensetzung wie ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.

Prognosen zeigen, dass die Zahl der Bürgergeld-Empfänger in diesem Jahr steigen wird. Anstatt sie weiter zu stigmatisieren, sollten Lösungen gefunden werden, die soziale Gerechtigkeit fördern, statt sie zu untergraben. Die Schaffung von sozialen Beschäftigungsverhältnissen, Arbeitsstellen und die Bezahlung von Gehältern, von denen man in Würde leben kann, sollten die Priorität haben, statt die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der unmenschliche Ausbeutungsverhältnisse fördert und die Aufstockung des Monatseinkommens mit Bürgergeld als Anreiz für Arbeitgeber dient, niedrige Löhne zu zahlen.

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