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Armut im Vormarsch

Ali Candemir

 

Eine Studie der Hans Böckler Stiftung ergab, dass Deutschland europäischer Spitzenreiter bei der Ausbreitung von Armut ist. In keinem anderen EU-Staat konnte eine derartige Entwicklung beobachtet werden. Insbesondere den Hartz-Gesetzen, welche das Sozialwesen in Deutschland ausgehöhlt haben, ist diese Entwicklung zuzuschreiben. Seitdem hat sich vor allem die Lage der Erwerbslosen drastisch verschlechtert. Von ihnen mussten 2009 fast drei Viertel mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen.

 

Arm trotz Arbeit

Laut der Studie waren im Jahr 2009 7,1 Prozent der Erwerbstätigen von Arbeitsarmut betroffen. Obwohl in Lohn und Brot stehend, hatten sie weniger als 940 Euro monatlich zur Verfügung. 2004, dem letzten Jahr vor Inkrafttreten von Hartz IV, lag die Quote der sogenannten Working-Poor noch bei 4,9 Prozent. Sozialwissenschaftler Eric Seil, der verantwortlich für die Studie ist, stellt fest, dass sich insbesondere die Lage der Erwerbslosen verschlechtert habe und das trotz sinkender Arbeitslosenzahlen. Die Zahl der Erwerbslosen, die unter der Armutsgrenze lebt, ist 2004 – 2009 um 29 Prozent gestiegen, im EU-Mittel um 5 Prozent. 2009 bezogen 70 Prozent der Erwerbslosen ein Einkommen unter der Armutsgrenze. In Deutschland sind mittlerweile 15,6 Prozent der Menschen von Armut betroffen, damit liegen sie trotz niedrigerer Arbeitslosenzahlen noch vor Frankreich, Belgien, Slowenien und Ungarn.

 

Einkommensgegensätze steigen

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte 2010 fest, dass die Einkommensgegensätze zwischen armen und reichen Haushalten in Deutschland seit der Wiedervereinigung zunehmen. Zwar reduziert sich diese Einkommenspolarisierung in konjunkturell günstigen Phasen mit starken Beschäftigungszuwächsen. Da­nach aber steigt sie umso schneller wieder an.

Im längerfristigen Trend ist einerseits nicht nur die Zahl der armen Haushalte stetig gewachsen, sie wurden im Durchschnitt auch immer ärmer. Auf der anderen Seite gibt es im Trend immer mehr Reiche, die im Durchschnitt auch immer reicher werden. Dieser Gegensatz wird von den Menschen nicht nur als beson­ders ungerecht empfunden, sondern er schürt auch die Verunsicherung der Mittelschicht.

 

Vermögensverteilung steigt

Vergleicht man die Vermögensverteilung in Deutschland, so ist der Ausblick sogar noch düsterer. Nach dem Gini-Faktor, einem gängigen Verteilungsmodell, weist Deutschland eine steigende Vermögensungleichverteilung auf. Von 2000 bis 2007  stieg der Koeffizient von 0,667 auf 0,799, wobei 0 eine perfekte Gleichverteilung und 1 eine maximale Ungleichverteilung meint. Veranschaulicht bedeutet dies für Deutschland, dass die ärmsten 50 Prozent der Haushalte 1,4 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Gleichzeitig besitzen die reichsten 0,0001 Prozent der Haushalte 1,67 Prozent vom Gesamtvermögen. Die reichsten 4030 Haushalte verfügen also über ein größeres Vermögen als die ärmsten 20,1 Millionen Haushalte.

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