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Berlin & Stuttgart: Tausende gegen Kriegswahn und für Frieden!

Eren Gültekin

Am 3. Oktober waren 35.000 Menschen auf der Straße. Sie forderten Frieden in der Ukraine und Gaza und ein Ende der Aufrüstungspolitik. In Stuttgart und Berlin war der Protest vielseitig und laut.

Friedensmarathon in Berlin geht weiter

Die Demo gestern am Tag der deutschen Einheit, die von der Initiative „Nie Wieder Krieg – Die Waffen nieder“ initiiert und gemeinsam mit der DFG-VK, IPPNW, dem Netzwerk Friedenskooperative, Ohne Rüstung Leben und pax christi unter dem Motto „Nie wieder kriegstüchtig“ getragen wurde, erhielt im Vorfeld Unterstützung von rund 500 Organisationen und Parteien. In Berlin, einem der beiden Proteststandorte neben Stuttgart, kamen am Nachmittag rund 20.000 Menschen am Bebelplatz zusammen. Viele hatten vermutet, die Menschen in der Bundeshauptstadt würden allmählich protestmüde werden, da seit Monaten fast wöchentlich Großdemonstrationen stattfinden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Protest wird von Tag zu Tag dringlicher. Die Gründe sind vielfältig – die anhaltende Kriegstüchtigkeit der Bundesregierung unter Schwarz-Rot, der weiterhin andauernde Völkermord am palästinensischen Volk in Gaza und das jüngste Ereignis der Entführung von rund 500 Aktivist*innen der Sumud-Flotilla. All diese Entwicklungen bewegen viele Menschen, fast täglich auf die Straße zu gehen. Mit selbst gebastelten Schildern und Palästina-Flaggen zeigen sie ihre Solidarität. So auch auf dieser Demonstration – von jung bis alt. Längst ist die Friedensbewegung nicht mehr nur von grauhaarigen Menschen geprägt. In den letzten Monaten und Wochen hat sie sich deutlich verjüngt – zu Recht.

Die Demonstration begann mit einer Auftaktkundgebung. Es sprachen unter anderem Özlem Demirel (MdEP, Die Linke), Ralf Stegner (MdB, SPD), Christian Leye (Generalsekretär des BSW) und Jürgen Grässlin (DFG-VK-Bundessprecher). Künstlerisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Rapper Masur und dem Liedermacher Tino Eisbrenner. Im Anschluss zog der Demonstrationszug durch die Innenstadt. Immer wieder hallten Rufe wie „Hoch die internationale Solidarität, „Free, free Palestine“ oder „Es ist kein Krieg, es ist ein Genozid“ durch die Straßen. Neben zahlreichen Parteien, Organisationen und Gruppen wie der DIDF, dem Internationalen Jugendverband IJV, der DKP, SDAJ, Linksjugend oder dem BSW war besonders der Block „Junge Gewerkschafter“ auffällig, angeführt von der Jungen BAU und der ver.di-Jugend aus Hamburg. Über hundert junge Menschen aus unterschiedlichen Betrieben demonstrierten lautstark gegen die aktuelle Aufrüstungspolitik und gegen die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Zurück am Bebelplatz folgten weitere Redebeiträge – unter anderem von Andrea Hornung (Bündnis „Nein zur Wehrpflicht, SDAJ-Bundesvorsitzende), Basem Said (palästinensische Community Berlin), Artem Klyga (russischer Kriegsdienstverweigerer) und Andrii Konovalov (ukrainischer Kriegsdienstverweigerer). Außerdem wurde per Stream eine Rede des Wirtschaftswissenschaftlers Jeffrey Sachs (Columbia University) übertragen. In nahezu allen Beiträgen wurde auf die Situation in Gaza hingewiesen, auf den weiterhin stattfindenden Völkermord an den Palästinensern und die Haltung der Bundesregierung, die sich am Leid des palästinensischen Volkes mitschuldig macht. Auch die Sumud-Flotilla wurde thematisiert, und die Rednerinnen und Redner riefen dazu auf, weiterhin Druck aufzubauen und auf die Straße zu gehen. Zudem wurde auf die vielen Länder Europas verwiesen, in denen Zehntausende ebenfalls ihre Solidarität zeigen – in Italien haben die Gewerkschaften sogar zum Generalstreik aufgerufen. Gegen Ende der Demo betonte die Moderatorin im Namen der Veranstalter, dass der Tag nur einer von vielen weiteren Protesttagen sei. Der Druck auf die Bundesregierung müsse weiter wachsen. Sie hob hervor, dass die geeinte Friedensbewegung diesen Tag gemeinsam getragen habe – und dass es so weitergehen werde.

Kurswechsel bei Sozialdemokraten Stegner

Ralf Stegner (SPD) war einer der Redner, der den Krieg in der Ukraine besonders hervorhob. Er sagte: „Es gab die Behauptung: Wenn wir genug Waffen liefern, wird Putin an den Verhandlungstisch gezwungen. Das Gegenteil ist eingetreten. Nun bin ich auch dafür, dass wir Beistand leisten und dass die Ukraine sich verteidigen kann, aber die militärische Logik hat versagt. Stegner, der genau vor einem Jahr auf der Friedensdemonstration noch massiv ausgebuht und unterbrochen wurde, erhielt diesmal Applaus. Damals verteidigte er die deutsche Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr mit den Worten: „Dass da Luftabwehr geschickt wird, rettet jeden Tag Leben. Ein Jahr später war davon nichts mehr zu hören. Stattdessen sprach Stegner über Diplomatie und betonte, dass der Konflikt militärisch nicht zu lösen sei. Auch in seiner Haltung zu Israel zeigte sich ein Wandel: Während er im Vorjahr noch erklärt hatte, „Deutschland müsse die Sicherheit Israels schützen“ – was ebenfalls Proteste ausgelöst hatte –, blieb eine solche Aussage diesmal aus. Stattdessen betonte Stegner, dass der Kampf gegen Terrorismus niemals rechtfertigen könne, Kinder verhungern zu lassen, Medikamente zu blockieren, zivile Gebäude zu bombardieren oder eine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik zu betreiben. Er sprach sich für einen Waffenstillstand und eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Dass sich die Lage in beiden Konfliktgebieten innerhalb eines Jahres nicht verbessert, sondern weiter verschärft hat, scheint auch Stegner zum Nachdenken gebracht zu haben. Genau diesen Kurswechsel braucht es bei vielen weiteren Politikerinnen und Politikern.

Fotoğraflar: Yeni Hayat / Stuttgart

Stuttgart sagt ebenso Nein zu Krieg und Aufrüstung

Auch in Stuttgart, dem zweiten Demonstrationsstandort, war der Protest von Tausenden am Nachmittag deutlich auf den Straßen sichtbar. Auf dem Schlossplatz versammelten sich rund 15.000 Menschen – angereist vor allem aus Süddeutschland, darunter aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Teilen Nordrhein-Westfalens.

Kreative Schilder, Transparente und Palästina-Fahnen prägten das Bild der Stuttgarter Innenstadt. Wie auch in der Bundeshauptstadt beteiligten sich zahlreiche Organisationen und Parteien, darunter die Linkspartei, DIDF, IJV, DKP und SDAJ. Sichtbar vertreten war zudem die Gewerkschaftsbewegung: ver.di, die bereits im Vorfeld zur Teilnahme aufgerufen hatte, stellte gemeinsam mit der Gewerkschaftsjugend einen starken Block.

Wie angekündigt, sprachen in Stuttgart unter anderem Margot Käßmann (ehem. EKD-Ratsvorsitzende), Ulrike Eifler (Gewerkschaftssekretärin), Lothar Binding (Bundesvorsitzender der SPD AG 60 Plus), Sevim Dağdelen (BSW), Rihm Hamdan (Palästinenserin aus München) und Wieland Hoban (Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost), Vincent Leuze (ver.di Jugend), Ronja Fröhlich (Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“, SDAJ München), Anthony Cipriano (VVN/BdA Baden-Württemberg), Maike Schollenberger (ver.di-Landesbezirksleiterin) und Alev Bahadir (DIDF).

Foto: © Ekincan Genc

Aufrüstung stoppen – soziale Gerechtigkeit stärken

Alev Bahadir die für die Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) in Stuttgart sprach ging in ihrem Beitrag gegen Krieg, Aufrüstung und soziale Spaltung ein. Sie kritisierte die Bundesregierung scharf für ihre Waffenlieferungen und den stetig wachsenden Rüstungsetat, während gleichzeitig soziale Probleme verschärft würden. Bahadir machte deutlich, dass die Leidtragenden dieser Politik nicht die Verantwortlichen, sondern die Menschen selbst seien – in Deutschland wie weltweit. „Wir sehen, wie Menschen in der Ukraine für die Macht- und Ressourcenkämpfe der Staaten ihr Zuhause und ihr Leben verlieren. Wir sehen, wie in Gaza zehntausende Menschen vor den Augen der Welt mit Waffengewalt ermordet werden oder verhungern. Diese Kriege, dieser Völkermord, das wissen wir, sind nie im Interesse der Bevölkerungen. Sie sind diejenigen, die dort leiden und sterben, während Konzerne wie Rheinmetall sich eine goldene Nase daran verdienen.“ Neben ihrer Kritik an der Kriegspolitik betonte Bahadir auch die wachsende soziale Ungerechtigkeit im Land. Während Milliarden in Rüstung und Militär fließen, leben viele Menschen am Existenzminimum: „Liebe Freunde, das Bürgergeld beträgt 563 Euro im Monat. Sind also die Menschen, die am Existenzminimum leben, Schuld an den sozialen Problemen? Migranten, die ohnehin genug Rassismus in Struktur und Alltag erleben, arbeiten überdurchschnittlich oft im Niedriglohnsektor, sind wir also Schuld an den sozialen Problemen? […] Nein, es ist die Kriegs- und Profitgier der Unternehmen und der Bundesregierung, die diese Probleme verursachen!“

Bahadir rief dazu auf, sich nicht spalten zu lassen und gemeinsam gegen Kriegspolitik und soziale Ungerechtigkeit einzutreten: Nur durch Solidarität und öffentlichen Protest könne Druck aufgebaut und eine friedliche, gerechte Politik eingefordert werden.

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