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Die Lehren aus dem BIRTAT-Streik

Ali ÇARMAN / Stuttgart

In Deutschland gibt es Branchen, in denen es für Arbeiterinnen besonders schwierig ist, sich zu organisieren und für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen. Die Dönerbranche gehört eindeutig dazu. Eine weitere Realität ist, dass die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten in diesem Bereich Migrantinnen sind. Faktoren wie Heimatland- und Landsmannschaften, Schwarzarbeit, Spaltungen, Konkurrenz um minimale Lohnerhöhungen oder die Ausbeutung von Beschäftigten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus führen seit jeher dazu, dass gewerkschaftliche Organisierungsversuche in diesem Sektor scheitern. Doch die Beschäftigten der BİRTAT-Firma, einem der führenden Dönerproduzenten mit Sitz in Murr bei Ludwigsburg, haben dieses Bild auf den Kopf gestellt.

Der erste Schritt: Kollektives Handeln und Organisierung in der Gewerkschaft

Der Kampf der BİRTAT-Beschäftigten für Organisierung und Rechte entstand nicht „aus dem Nichts“, sondern hat eine längere Vorgeschichte. Vor zwei Jahren wandte sich eine Gruppe von Arbeiterinnen an den DIDF-Stuttgart, schilderte ihre Probleme und tauschte Ideen aus. Bei zwei Solidaritätsfrühstücken kamen ihre Anliegen ebenfalls zur Sprache. Nach diesen Gesprächen traten mehrere Arbeiterinnen der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) bei. Zunächst enttäuscht von der Gewerkschaft zogen manche sogar in Erwägung, wieder auszutreten. Doch dank der Geduld und Beharrlichkeit einiger engagierter Kolleg*innen setzte ein positiver Prozess ein. Ihnen wurde klar: Sich gewerkschaftlich zu organisieren ist ein demokratisches Recht im Kampf gegen Druck und Ausbeutung der Arbeitgeber.

In dieser Zeit beteiligten sich DIDF-Mitglieder mehrfach an Flugblattaktionen vor dem Betrieb, um deutlich zu machen, wie wichtig und notwendig es ist, sich gewerkschaftlich zu organisieren, sollte sich etwas im Betrieb verbessern. Die Zahl der NGG-Mitglieder wuchs täglich und damit auch ihre kollektive Stärke und dem Bewusstsein, die Bedingungen zumindest zugunsten der Beschäftigten im Betrieb wenden zu können. Die nächste Etappe ihrer Organisierung führte schließlich im September 2024 zu den Betriebsratswahlen, bei denen sieben Vertreterinnen gewählt wurden. Dass fast alle Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert waren und ihre Vertreterinnen wählten, stärkte ihre Position erheblich. So forderten die Arbeiter*innen zu Recht einen Tarifvertrag und die Anerkennung der Gewerkschaft.

Der erste Streik in der Dönerbranche

Der Streik ist das wirkungsvollste Mittel der Gewerkschaft, um berechtigte Forderungen durchzusetzen. Da Vorgespräche mit der Geschäftsleitung ergebnislos blieben und die Unternehmer immer wieder erklärten, dass sie die Gewerkschaft keinesfalls akzeptieren würden, war der Streik unausweichlich. Am 22. Mai 2025 begann er im Morgengrauen: Um fünf Uhr wurde das Streikzelt vor dem Werk aufgestellt. Es war der erste Streik in der Geschichte von BİRTAT – und er fand große Beteiligung. Mit Freude stellten die Streikenden fest, dass im Betrieb nur noch 8–10 Personen arbeiteten.

Die NGG hatte zuvor ihre Forderungen festgelegt:

  • 375 Euro Lohnerhöhung,
  • Anerkennung der NGG und eines Tarifvertrags,
  • gesunde und sichere Arbeitsbedingungen.

Dass mehr Beschäftigte als erwartet in den Streik traten und die kämpferische Stimmung stark war, versetzte die Unternehmensvertreter unter Druck. Mit unglaublichen Methoden versuchten sie, die Belegschaft zu spalten, den Streik zu brechen und die Gewerkschaft aus dem Betrieb zurückzudrängen. Sie verfolgten ein einziges Ziel: die Löhne niedrig halten und die Profite steigern. Diese Realität betonten auch die Beschäftigten während der zwei Wochen, die wir mit ihnen verbrachten.

Einheit und Entschlossenheit führten zum Erfolg

Soweit bekannt, hat es in Baden-Württemberg in den letzten Jahren keinen zwölftägigen Streik gegeben. Dass er zudem in einer Branche stattfand, in der man sich kaum Streiks vorstellen konnte, sorgte für große Aufmerksamkeit. Presse und Fernsehsender berichteten mehrfach über die streikenden Arbeiterinnen in der Dönerbranche. Gemeinsam gestalteten wir Transparente, übernahmen Aufgaben bei Aktionen und unterstützten als DIDF Stuttgart die Arbeiterinnen mit einem zweisprachigen Infoblatt.

Der letzte Streiktag war lang. Bis zum Vortag blockierte Geschäftsleitung den Weg zu Verhandlungen. Nun erklärte sie sich bereit, mit der Tarifkommission und der Gewerkschaft zu verhandeln. Die Gespräche begannen um 10 Uhr morgens und endeten erst spät: Gegen 21 Uhr kamen Gewerkschafterinnen und Mitglieder der Tarifkommission mit einem Lächeln ins Streikzelt. Die Arbeiterinnen begrüßten sie mit Applaus.

Das Mikrofon wurde NGG-Vorsitzender Magdalena Krüger und Betriebsratsvorsitzendem Muzayfe Doğaner gereicht:
„Freunde, wir haben viel diskutiert, durchgehalten und für einen möglichst guten Tarifvertrag gekämpft. Schließlich stehen wir kurz vor einer möglichen Einigung. Aber zuerst eine Frage: Wer von euch verdient derzeit 2.300 Euro brutto?“ – Mindestens 30 Hände gingen hoch. „Ihr bekommt automatisch 2.600 Euro brutto. Insgesamt gibt es eine zweistufige Lohnerhöhung von bis zu 17 Prozent. Und das Wichtigste: Unsere allgemeinen Tarifverhandlungen werden fortgesetzt.“ – Diese Worte waren ein Lichtstrahl in die Dunkelheit.

Es folgten Diskussionen und Reaktionen, anschließend wurde die Mitgliederbefragung am Streikposten durchgeführt. Die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder stimmte der Einigung zu. Bis ein Uhr nachts wurde weiter debattiert und gesprochen.

Mehr Beispiele wie BIRTAT!

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wurde in einer Dönerfabrik ein Tarifvertrag errungen – ein historischer Schritt. Ohne Einheit gibt es keine Lohnerhöhungen und keine besseren Arbeitsbedingungen. Das Sprichwort „Einheit macht stark“ wurde durch den entschlossenen Kampf der BİRTAT-Arbeiter*innen erneut bestätigt.

Die Errungenschaften der BİRTAT-Beschäftigten entfalten ihre eigentliche Bedeutung erst, wenn sie von den noch unorganisierten Kolleginnen der Branche (vor allem Migrantinnen) aufgegriffen werden. Das geschieht jedoch nicht von allein. Bewusste Arbeiter*innen, Gewerkschaften und wir alle müssen unserer Verantwortung gerecht werden.

Angesichts von rund 400 Dönerfabriken in Deutschland sind neue Schritte und neue Beispiele nötig, um voranzukommen. Niedrige Löhne, harte und unsichere Arbeitsbedingungen sowie die Vielfalt der Nationalitäten und die Schwierigkeiten der Organisierung dürfen nicht als Vorwand dienen, Organisierung und Bewusstseinsbildung aufzuschieben.

Eine weitere Wahrheit, die der BİRTAT-Streik gezeigt hat: Wenn eine Gewerkschaft konsequent gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit kämpft, wird sie von den Arbeiterinnen stärker angenommen. So traten in den letzten beiden Streiktagen täglich Beschäftigte mit den Worten bei: „Wie sollen wir morgen nach Streikende unseren Kolleginnen in die Augen schauen, wenn wir nicht dabei waren?“

Die BİRTAT-Arbeiter*innen überwanden Sprach-, Religions- und Hautfarbenunterschiede, handelten geeint, zeigten großen Mut, brachten zeitweise ihre Familien und Kinder zu den Aktionen – und setzten Tarifvertrag und Gewerkschaft durch. Wir gratulieren zu dieser mutigen Haltung und dem Erfolg.

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