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Die neue Arbeitsordnung in der Türkei: Ohne Leben, ohne Gewerkschaft, ohne Sicherheit

Die in Istanbul – zuletzt im Bezirk Bakırköy – organisierten sogenannten „Arbeitsmessen“ sind ein Schaufenster des neuen Arbeitsregimes in der Türkei. Hier treffen sich die „Jäger“ – Unternehmen, die billige und rechtlose Arbeitskräfte suchen – und die „Gejagten“ – Arbeitslose, die gezwungen sind, jede Stelle anzunehmen.

Ein Land im Arbeitslosigkeitsschock

Allein im letzten Jahr haben 2,5 Millionen Menschen in der Türkei ihre Arbeit verloren. Die „weit gefasste Arbeitslosenquote“ liegt bei 31 % – jede dritte Person über 15 Jahren ist ohne Job. Besonders dramatisch ist die Lage der Jugend: Bei Männern zwischen 15 und 24 liegt die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei 34,5 %, bei jungen Frauen sogar bei über 53 %. Auch viele Akademiker finden keine Stelle – jeder vierte Hochschulabsolvent ist arbeitslos.

Wer Arbeit sucht, schreibt Bewerbungen, wird mit dem üblichen „Wir melden uns“ abgewiesen – oder findet Jobs mit 60 Wochenstunden zum Mindestlohn.

Arbeitsmessen“ – ein trostloses Schaufenster

In dieser Situation veranstalten Gemeinden „Jobmessen“, angeblich um Arbeitssuchende und Firmen zusammenzubringen. In Wirklichkeit präsentieren sich dort Konzerne und Subunternehmen, die für unsichere, schlecht bezahlte Jobs werben. Auf der letzten Messe in Bakırköy suchten 11 Firmen gerade einmal 40 Beschäftigte – ein Tropfen auf den heißen Stein.

Vertreten waren u. a. die Özak Holding, bekannt für Missachtung von Arbeitsrechten. Angeboten wurden Callcenter-Jobs, Verkäuferstellen oder Hilfsarbeiten in Hotels. Überstunden, Wochenend- und Feiertagsdienste sind selbstverständlich, bezahlt wird meist nur der Mindestlohn.

Ein Beispiel: Yves Rocher suchte „Verkaufsberater“ – offiziell sechs Tage pro Woche à acht Stunden. Tatsächlich bedeutete das 12-Stunden-Schichten, Arbeiten ohne Pause und an Feiertagen – für etwa 22.000 Lira (600–650 Euro).

Erniedrigung als System

Besonders zynisch war die AFK Personalvermittlung: Bewerberinnen sollten nicht Qualifikationen, sondern Körpermaße angeben. Angeboten wurde ein Job als Messehostess – acht Stunden im engen Outfit, für 900 Lira am Tag, also gerade mal ein Mindestlohn im Monat.

Andere Unternehmen verschleiern die Bedingungen direkt: Plus Kitchen warb mit „Mach dein Hobby zum Beruf“, suchte aber schlicht Küchenhilfen. Viele Firmen gaben gar keine Löhne an – angeblich „aus Datenschutzgründen“. Faktisch erfahren Beschäftigte erst nach Einstellung, was sie verdienen.

Perspektivlosigkeit trotz Ausbildung

Während Schulen und Universitäten hunderttausende Absolventen hervorbringen, entstehen kaum sichere Arbeitsplätze. Ingenieure, Lehrer oder Fachkräfte landen im Einzelhandel, in Callcentern oder in prekären Dienstleistungsjobs.

Die „Jobmessen“ sind kein Mittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern ein Spiegel der Krise. Sie vermitteln nur eine Botschaft: „Nehmt alles an, erwartet nichts, stellt keine Forderungen.“ Gewerkschaften sind unerwünscht, Fragen nach Tariflöhnen oder Rechten werden abgeblockt.

Diese Messen verschleiern die Misere nicht – sie entlarven sie: einen Arbeitsmarkt, der auf Billiglöhnen, Unsicherheit und Entrechtung beruht. Eine Politik, die keine Lösungen schafft, sondern eine ganze Generation in Perspektivlosigkeit entlässt.

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