Eren Gültekin
Berlin, Kino Babylon. Eine Bühne, ein Preis und ein Mann, dessen Lebenswerk weit über die Schauspielkunst hinausreicht. Rolf Becker wurde kurz nach seinem 90. Geburtstag mit dem erstmals vergebenen Rosa-Luxemburg-Preis geehrt – im Zeichen der Solidarität, des Friedens und der gelebten linken Gegenkultur.
Eine Lücke wird geschlossen – mit Haltung
Es war ein politischer Abend, einer mit Tiefgang, mit Widerspruchsgeist und einem klaren Zeichen: Kultur ist niemals unpolitisch. Der Rosa-Luxemburg-Preis, initiiert von der Tageszeitung junge Welt und dem Gegenkulturmagazin Melodie & Rhythmus, soll künftig jährlich Menschen ehren, die sich kompromisslos für Frieden, Aufklärung, soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität einsetzen. Und wer könnte diese Prinzipien besser verkörpern als Rolf Becker?
Nick Brauns, Chefredakteur der jungen Welt, eröffnete den Abend. In seiner Ansprache betonte er, wie wichtig es sei, eine linke Kultur auch institutionell zu verankern. So sagte er, dass man einen würdigeren Preisträger als Rolf Becker für die erste Verleihung nicht vorstellen könne. Der Preis solle nicht nur ein Symbol sein, sondern eine Plattform – für die Stimmen, die sonst oft überhört werden.
Gegenkultur als Auftrag
Dass ein Preis wie dieser nicht aus dem kulturellen Mainstream kommt, sondern bewusst gegen diesen positioniert ist, wurde an diesem Abend deutlich. Melodie & Rhythmus, einst als Musikzeitschrift gestartet, versteht sich heute als Sprachrohr linker Gegenöffentlichkeit. Mit der Auszeichnung wollen beide Medienorgane auch die Notwendigkeit betonen, linke Gegenkultur nicht nur zu dokumentieren, sondern aktiv mitzugestalten – jenseits neoliberaler Verwertungslogik, jenseits politischer Anpassung.
Rolf Becker – ein Mensch des Zuhörens und Handelns
Durch den Abend führte Isabel Neuenfeldt, die in ihrer Moderation deutlich machte: „Es geht hier nicht um Heldenverehrung. Es geht um eine Haltung, die uns alle angeht.“ Und die zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Rolf Becker.
Die Redebeiträge zeichneten ein Bild eines Mannes, der stets da war, wo es unbequem war – als Künstler, Gewerkschafter, Antifaschist. Antje Krusmund, 96 Jahre alt und Zeitzeugin der Shoah, brachte es auf den Punkt: Becker sei „ein offenes Buch – ein stiller Humanist, der immer bei den Menschen war.“
Von Auschwitz bis Piräus – konkrete Solidarität
Ob bei Gedenkveranstaltungen, Antikriegsaktionen oder in der konkreten Unterstützung Bedürftiger: Beckers Engagement blieb nie abstrakt. Die Gewerkschafterin Ulrike Eifler erinnerte an seine beharrliche Friedensarbeit, seinen Besuch bei Mumia Abu-Jamal im US-Gefängnis und sein unermüdliches Auftreten gegen Aufrüstung. „Er war ein gern gesehener Gast bei Ostermärschen und Gewerkschaftskonferenzen – ein Mensch, der sich nie weggeduckt hat“, so Eifler.
Ein besonderes Beispiel für seine Solidarität kam aus Griechenland. Zum 80. Geburtstag Beckers wurde auf seinen Wunsch eine größere Geldsumme gespendet. Diese Spenden ermöglichten den Kauf einer mobilen Küche in der Nähe von Piräus, mit der Geflüchtete täglich mit warmem Essen versorgt werden. Eine griechische Delegation war an diesem Abend zu Gast und überreichte Becker symbolisch eine Torte auf der Bühne – begleitet von Musik und großem Applaus. Zudem brachten sie ihm als Zeichen der Solidarität einen Pali-Schal mit, den Becker sichtlich gerührt entgegennahm und den ganzen Abend über um sich trug – ein weiteres Zeichen seiner Unterstützung für die Friedenssache im Nahen Osten.
Begegnungen, die bleiben
Vor dem alten Urlaubsbild von Rolf mit der Familie in Südkreta das auf der Leinwand ausgestrahlt wurde, richteten die Ehefrau Sylvia Wempner und ihr Sohn Anton Wempner rührende Worte an die Gäste. Antons Worte, unter anderem zu seinem Vater Rolf: „Was du in die Welt setzt, wird nicht vergehen“ und „Mein Vater ist ein Kämpfer“. Ein zusätzlich kleiner, berührender Beitrag kam von Ali, einem Familienfreund, der 2016 als Geflüchteter nach Deutschland kam. „Ohne Rolf“, sagte er offen, „wäre ich vielleicht kriminell geworden.“ Becker habe ihn nicht nur aufgenommen, sondern ihm eine Richtung gegeben.
Auch Beckers Sohn, Ben Becker, war Teil des Programms. Gemeinsam mit Yoyo Röhm brachte er musikalische Beiträge auf die Bühne.
Ein Preis – viele Stimmen
Der Rosa-Luxemburg-Preis wurde an diesem Abend von Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der jungen Welt, und Susann Witt-Stahl, Chefredakteurin von Melodie & Rhythmus, überreicht. In ihrer Ansprache machten beide deutlich, dass der Preis kein Endpunkt, sondern ein Auftrag sei.
Worte, die nachwirken
Rolf Beckers Worte nach dem Entgegennehmen des Preises: Der Preis ist für alle und nicht für einen einzigen, wir müssen weiterentwickeln und Aufklärung handlungsfähig machen, große Teile der Gewerkschaften müssen aufgeräumt und ersetzt werden von fortschrittlichen und aufgeklärten Menschen. „Wir dürfen uns nicht in Deckung gehen, nur weil es um Juden geht – es geht um die israelische Regierung.“ Auch hier hat Becker seine Haltung ganz klar gezeigt und verdeutlicht, warum er diesem Preis gerecht wurde.
In einer besonders bewegenden Geste rief Becker zudem Christian Klar, ein ehemaliges Mitglied der 2. Generation der RAF, auf die Bühne. Becker hatte Klar im Jahr 2003 bei dessen Gnadengesuch unterstützt, zudem Zeitpunkt sass Klar bereits seit über 20 Jahren in Haft, und wurde zudem sein ehrenamtlicher Betreuer. Eine Geste der Solidarität, die Beckers Prinzipien von Verantwortung und Zivilcourage unterstrich.
Musik, Mut und Mitstreiter
Neben inhaltlichen Beiträgen war der Abend durchzogen von Musik. Es traten unter anderem Andreas Rebers & Band mit Liedern von Franz Josef Degenhardt auf, ebenso Gerhard Folkerts & Julia Schilinski, die Stücke von Mikis Theodorakis spielten. Dazu ein Tonbeitrag aus den USA von Mumia Abu-Jamal sowie eine Videobotschaft des DKP-Vorsitzenden Patrick Köbele.
Ein Anfang – kein Abschluss
Der Abend im Kino Babylon war mehr als eine Preisverleihung. Er war ein Moment kollektiver Erinnerung und gelebter Zukunft. Ein Abend, der zeigte: Die Prinzipien von Rosa Luxemburg – Aufklärung, Unbeugsamkeit, Internationalismus – leben weiter, wenn Menschen wie Rolf Becker sie tragen.