Am 8. Oktober 2025 stand der Europäische Rat erneut kurz davor, eine Verordnung auf den Weg zu bringen, welche den europäischen Mitgliedsstaaten unter dem Deckmantel von Präventionsmaßnahmen im Fall von Kindesmissbrauch tiefgreifende Befugnisse digitaler Überwachung einräumen soll. Die Verordnung zur „Bekämpfung sexuellen Missbrauchs von Kindern“ soll Anbieter digitaler Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Signal etc. verpflichten, private Fotos, Videos und versendete Links ihrer Nutzer automatisiert auf strafbare Inhalte dieser Art durchsuchen zu können.
Alina Geesmann
Nachdem das EU-Parlament bereits 2021 einer freiwilligen Chatkontrolle zustimmte, legte die EU-Kommission im Mai 2022 den umstrittenen Entwurf für eine verpflichtende und flächendeckende Überwachung der Chats aller Anbieter vor. Begründet wird dieser damit, die Strafverfolgung sexueller Gewalt gegen Kinder zu erleichtern. In den letzten drei Jahren wurde die Verordnung mehrfach diskutiert, Änderungen vorgenommen und nach wiederholter Überarbeitung legte der dänische Ratssitz nun einen Entwurf vor, der am 14. Oktober 2025 von den Innenministern aller EU-Staaten beraten werden sollte. Dieser sah vor, dass Bilder, tonlose Videos und Verlinkungen zu Websites mit KI-basierten Programmen vollumfänglich gescannt werden können, auch wenn bzw. genau dann, wenn Messenger-Dienste die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen. Um diese Inhalte vor der Verschlüsselung auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen, sollte darüber hinaus eine Meldestelle der EU eingerichtet werden, an die alle übereinstimmenden Inhalte übermittelt und an die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten weitergeleitet werden sollen. Der geplante Algorithmus würde demnach also jederzeit und ohne Anlass die Chats aller Nutzer überwachen können. Die Nutzer dürften dem zwar widersprechen, als Konsequenz dessen jedoch nicht mehr in der Lage sein, Funktionen wie das Versenden von Videos, Fotos und Links überhaupt nutzen zu können. Doch kurz bevor es zur Beratung kommen sollte, scheiterte die Verordnung vorerst erneut durch eine Abstimmung der EU-Diplomaten – insbesondere aufgrund der Ablehnung Deutschlands.
Wie geht es weiter?
Bereits seit der ersten Vorlage gilt die Verordnung als höchst umstritten. „Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein“, so die deutsche Justizministerin Stefanie Hubig (SPD). Auchder Deutsche Kinderschutzbund lehnt die Chatkontrolle ab und forderte von der Bundesregierung „zielgerichtete Maßnahmen statt anlassloser Massenüberwachung“. Unter dem Titel „Chatkontrolle stoppen“ wurden bereits über 350.000 Unterschriften gesammelt, um gegen die Verordnung vorzugehen. Denn was mit der Verordnung unter dem Vorwand des Kinderschutzes durchgesetzt werden soll, beinhaltet nicht nur eine flächendeckende Überwachung der Bevölkerung, sondern öffnet dem Gesetzgeber Tür und Tor, durchkleine Änderungen der Verordnung die anlasslose Überwachung auf weitere, oft vermeintliche, strafrechtlich relevante Gründe auszuweiten. So haben wir in Deutschland nicht zuletzt an den Sicherheitspaketen oder an dem vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärten BKA-Gesetz zur heimlichen Überwachung im Kampf gegen Gewalt und Terror gesehen, wie schnell jene Gesetze im Namen der Terrorbekämpfung oder der Verteidigung der inneren Sicherheit verabschiedet und ausgeweitet werden können, sobald sie zur Legitimierung massiver Repressionen genutzt werden können. Auch die Ablehnung Deutschlands darf dabei nicht falsch verstanden werden, denn so ist es allen voran das deutsche Innenministerium, welches sich nach wie vor für die Verordnung ausspricht. Das wiederholte Scheitern bedeutet demnach nicht, dass die Verordnung als solche abgelehnt wird, sondern sie sich von Überarbeitung zu Überarbeitung um einige wenige detaillierte Nuancen ausschmückt, bis es zu einer möglichen Einigung kommen und voraussichtlich bereits im Dezember dem Europäischen Rat erneut vorgelegt werden kann. In welcher Ausgestaltung sich die EU-Mitgliedsstaaten einig werden, bleibt abzuwarten. Klar dürfte sein: Es geht weniger um das „Ob“, als vielmehr um das „Wie“ der Verordnung. Und unabhängig, welche Form sie annehmen kann, wird sie ein Einstiegstor massiver staatlicher Kontrolle und Überwachungsbefugnisse darstellen.

