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Herbst des Sozialabbaus

Eren Gültekin

Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) verschärft den Kurs in der Sozialpolitik. In Osnabrück verkündete Merz jüngst, der Sozialstaat in seiner heutigen Form sei „nicht mehr finanzierbar“. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich ein Angriff auf zentrale soziale Sicherungssysteme – und eine politische Strategie, die Menschen gegeneinander ausspielen soll.

Im Mittelpunkt der Debatte steht das Bürgergeld. Mit der Ankündigung einer Nullrunde für 2026 wird trotz steigender Lebenshaltungskosten der Regelsatz von 563 Euro nicht erhöht. Für die Betroffenen bedeutet das weniger Teilhabe, mehr Not, mehr Ausgrenzung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht von einem „skandalösen Bruch von Versprechen“, denn eigentlich sollten Verbesserungen kommen. Stattdessen setzt Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auf schärfere Sanktionen und passt sich der CDU-Rhetorik an. Wer Termine versäumt, soll härtere Kürzungen hinnehmen. So werden Bürgergeldempfänger nicht unterstützt, sondern stigmatisiert – als faul, als Belastung, als Kostenfaktor. Diese Sprache ist nicht nur unsozial, sie hat auch eine rassistische Schlagseite: Besonders Menschen mit Migrationshintergrund geraten ins Visier solcher Kampagnen.

Während beim Bürgergeld gestrichen wird, bleiben die eigentlichen Baustellen unbearbeitet. Die Rentenkassen sind voller Löcher, die Pflege droht in sich zu verfallen, die gesetzliche Krankenversicherung steckt in einer massiven Finanzkrise. Doch statt Lösungen gibt es nur weitere Kommissionen. Eine Sozialstaatskommission soll Vorschläge für Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag erarbeiten. Klingt nach Aufbruch, ist aber vor allem ein Verschieben in die Zukunft. Rente, Pflege und Krankenkassen werden in der aktuellen Kommission nicht behandelt und sind Aufgabe anderer, noch nicht terminierter Prozesse.

Gleichzeitig erleben wir einen historisch einmaligen Anstieg der Rüstungsausgaben. Bis 2029 soll der Verteidigungshaushalt auf 153 Milliarden Euro anwachsen – 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der höchste Anteil seit 1967. Während also für soziale Sicherheit angeblich das Geld fehlt, fließen Milliarden in Panzer, Drohnen und Aufrüstung. Der Sozialstaat wird als Last dargestellt, die Rüstung dagegen als „Zukunftsinvestition“.

Auch die Gewerkschaften sind in die neue Sozialstaatskommission eingebunden. Das eröffnet eine Chance, aber auch ein Risiko. Wenn sie stillschweigend Kürzungen abnicken, werden sie Teil des Problems. Deshalb braucht es jetzt Druck von unten, damit die Gewerkschaften nicht vergessen, dass sie die Interessen der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Frauen, Jugend und alter und kranker Menschen verteidigen müssen.

Wie es aussieht, wird der „Herbst der Reformen“ eher zum Herbst des Sozialabbaus. Keine Überraschung, da es die Folge der bereits vor Regierungsantritt von Merz verkündeten „Agenda 2030“ ist, die gezielt Unternehmen unterstützen, der Sozialstaat schwächen und die soziale Ungleichheit verstärken soll.

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