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Kein Unfall, sondern mörderische Profitgier: Die Familie Böcek wurde von der „Marktordnung“ vergiftet

Taylan Arslan

Die Tragödie der aus Hamburg stammenden und für ihren Urlaub nach Istanbul gereisten Familie Böcek zeigt erneut die Unkontrolliertheit und die Profitgier der Unternehmen, die sich hinter der Fassade des „Tourismusparadieses“ verbergen. Nachdem Mutter Çiğdem und die Kinder Masal (3) und Kadir (6) starben, blieb zunächst der Vater Servet Böcek im Koma zurück – bis er auch am 17. November verstarb. Von dieser Tragödie bleibt letztlich nur die brutale Fahrlässigkeit der Profitlogik.
Dieser Vorfall ist – entgegen der Behauptungen der türkischen Mainstream-Medien – kein einfacher „Unglücksfall“ oder eine „Lebensmittelvergiftung“; es ist Mord, begangen durch ein System, das um ein paar Cent mehr Gewinn zu machen, die Gesundheit der Menschen opfert. Während die systemtreuen Medien und die Behörden in den ersten Tagen versuchten, die eigentlichen Täter zu verstecken, indem sie die Schuld Straßenhändlern zuschoben, wurden sie durch die Berichte des Gerichtsmedizinischen Instituts widerlegt. Die Gutachten zeigen, dass die Todesfälle nicht auf eine Lebensmittelvergiftung, sondern auf eine chemische Vergiftung durch eine im Hotel durchgeführte Schädlingsbekämpfung zurückzuführen sind.

Die Hotelverwaltung ließ – um Kosten zu sparen – Personen ohne Schädlingsbekämpfungszertifikat arbeiten. Laut den Aussagen hätte das Hotelzimmer nach der Behandlung gemäß den Vorschriften mindestens 48–72 Stunden leer stehen müssen. Allerdings wurde die Familie schon 2 Stunden nach der Behandlung ins Zimmer gelassen. Das ist keine „Unwissenheit“, sondern ein bewusster Mord.

Während Vater Servet Böcek in seiner Heimat Afyonkarahisar beigesetzt wurde, blieben unbeantwortete Fragen und symbolische Schritte der Justiz zurück. Der Hotelbesitzer und seine Mitarbeiter, die zunächst freigelassen wurden, konnten erst nach öffentlichem Druck festgenommen werden. Je weiter die Ermittlungen voranschreiten, desto mehr schreckliche Details kommen ans Licht: Auf den Sicherheitskameras ist zu sehen, dass die Hotelzimmer während des Zusammenbruchs der Familie verriegelt waren und sie Schwierigkeiten hatten, nach draußen zu gelangen. Diese Herangehensweise an den Kunden, den man als „Gans, ausnehmen kann“, scheut sich davor, auch nur einen Cent für deren Sicherheit auszugeben.

Das Ausmaß des Skandals hat mit neu aufgetauchten Dokumenten die Grenzen der „Fahrlässigkeit“ überschritten und eine Dimension erreicht, die an „Serienmord“ grenzt. Es wurde bekannt, dass das Schädlingsbekämpfungsunternehmen, das die Vergiftung der Familie Böcek verursachte, keine weiße Weste hat und bereits zuvor einen ähnlichen Todesfall verschuldet hatte. Dieselbe Firma war am 18. April nach einer Schädlingsbekämpfung in einer Wohnung für den Tod eines dreijährigen Kindes verantwortlich.

Hier stehen wir vor einer schmerzhaften Wahrheit: Der einzige Grund, warum diese Tat heute als Skandal diskutiert wird, ist der „Touristenstatus“ der aus Deutschland kommenden Familie. Als im April das Kind einer in der Türkei lebenden Familie durch dasselbe Gift starb, rührte sich das System keinen Zentimeter und stufte den Vorfall schlicht als Unfall ein. Doch sobald es um Besucher geht, die Devisen ins Land bringen, verfällt dasselbe System plötzlich in Alarmbereitschaft.

Die Justiz und die Aufsichtsmechanismen des Systems haben diesen Todesfall im April als „Einzelfall“ abgetan und der Firma weiterhin freie Hand gelassen – deshalb lebt die Familie Böcek heute nicht mehr.

Dieses System, das schweigt, wenn ein eigener Staatsbürger stirbt, aber laut wird, sobald für ihn eine “Einnahmenquelle” ums Leben kommt, und das sich erst unter „Mediendruck“ an Gerechtigkeit erinnert, hat deutlich gezeigt, dass der Wert des menschlichen Lebens für es vom Pass abhängt. Schuld sind nicht nur jene, die das Gift im Hotel versprühten, sondern ein ganzes System, das Menschenleben zur Ware macht und Profit vor den Menschen stellt.

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