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Lohngerechtigkeit und sichere Arbeit!

 

Interview mit Vorsitzende des Bundesverbandes der Migrantinnen, Sidar Demirdögen

Neues Leben (NL): Welche Forderungen stellen Frauen zum internationalen Frauentag in diesem Jahr?

Sidar Demirdögen (SD)*: Die Forderungen ergeben sich aus der konkreten gesellschaftlichen Lage der Frauen. Insgesamt hat sich an der Gleichstellung der Frau in den letzten Jahren nichts wesentlich verändert. Hier greift auch das sog. Gleichstellungsgebot nicht, das seit über 60 Jahren in der Verfassung festgeschrieben ist. „Lohngerechtigkeit und gegen Prekarisierung“ sind die zentralen Forderungen, die den diesjährigen internationalen Frauentag politisch bestimmen.

Frauen arbeiten überproportional im Niedriglohnbereich, sie sind Geringverdiener, arbeiten in ungesicherten Arbeitsverhältnissen wie Minijobs oder Teilzeit und verdienen immer noch durchschnittlich 23% weniger Lohn. Die zentralen Forderungen werden daher auch in diesem Jahr entlang arbeits- und lohnpolitischer Themen gestellt.

 

NL: Welche sind diese im Konkreten?

SD: Dazu gehört die Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn von nicht unter 8,50 Euro/Stunde als Lohnuntergrenze, weil Frauen besonders häufig für Dumpinglöhne arbeiten müssen. Zweitens die sozialversicherungspflichtige Absicherung aller Arbeitsverhältnisse sowie auf politischer Ebene die Verankerung eines Entgeltgleichheitsgesetzes, um die Lohndifferenz von 23% zu schließen. Schließlich schließen sich die Gewerkschaften und Frauenverbände gegen das als „Herdprämie“ bzw. „Hausfrauengeld“ gleichkommende Betreuungsgeld zusammen und fordern den Ausbau von kostenlosen Betreuungsplätzen.

NL: Was fordert der Bundesverband der Migrantinnen?

SD: Diese sind selbstverständlich auch unsere Forderungen. Denn die Gleichstellung von Frau und Mann ist für uns eng verbunden mit der Frage nach ökonomischer Unabhängigkeit der Frauen, der Lohngerechtigkeit und der Arbeitssituation von Frauen. Weniger Lohn bedeutet weniger Geld am Monatsende. Immer mehr Menschen und darunter eben auch viele Frauen, sind oder werden arm, obwohl sie arbeiten. Die Frage „wie viel verdienen Frauen“ führt uns zwangsläufig zur weiteren Frage „wie arbeiten Frauen“. Weniger als 30% der arbeitenden türkeistämmigen Arbeiterinnen, sind in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Darauf politische Antworten zu geben, ist eine Aufgabe, vor der wir als Verband stehen, wie auch die Gewerkschaften als auch viele andere Frauenverbände. Daneben begehen wir den internationalen Frauentag mit spezifischen Forderungen, die die gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen in der Gesellschaft betreffen. Gerade Migrantinnen sind aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sozialen Herkunft und schließlich aufgrund ihrer nationalen Herkunft einer Reihe von Diskriminierungen ausgesetzt. Aktuelle frauenpolitische Forderungen müssen daher die konkreten Problemlagen der Migrantinnen aufgreifen und einschließen. Dazu gehören ganz zentral die eigenständige, vom Ehemann unabhängige, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, die flächendeckende Ausweitung von Deutschkursen die selbstverständlich unentgeltlich sein müssen  sowie die Rücknahme aller diskriminierender Regelungen und Praktiken gegen MigrantInnen, besonders die Einschränkung des Ehegattennachzugs. Natürlich ist der Kampf gegen Rassismus und Nationalismus gerade in diesen Tagen und eben auch mit dem Bekanntwerden der Morde des „Nationalsozialistischen Untergrund“ für uns hochaktuell.

NL: Der Begriff Rassismus tauchte in den letzten Monaten sehr häufig in integrationspolitischen Debatten auf. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?  

SD: In unserem Aufruf haben wir uns dazu klar positioniert. In den letzten Jahren wurde die öffentliche Wahrnehmung von Migrantinnen stark von gefährlichen Zuschreibungen und Pauschalisierungen geprägt. Ich sage das, ohne dabei ernstzunehmende Probleme wie Gewalt oder rückschrittliche Traditionen und Praktiken gegenüber Frauen zu relativieren. Jedoch verurteilen wir scharf die diesbezüglichen Debatten, die durch ihre polemischen und diskriminierenden Inhalte ein Meinungsbild hervorgerufen haben, das rassistischen, nationalistischen Wertvorstellungen und Handlungen den Nährboden liefert. Nur so können wir uns die seit über einem Jahrzehnt ungestört erfolgte Mordserie aus rassistischen Motiven heraus erklären. Wir verurteilen aber auch scharf die nun entstandene Folgedebatte in bestimmten Kreisen der Migrantengemeinschaften, die ihrerseits versuchen, aus Anlass der enthüllten Mordserie gegen unsere deutschen ArbeitskollegInnen, Nachbarn und FreundInnen zu hetzen. Nationalismus kann nicht mit Nationalismus bekämpft werden.

* Sidar Demirdögen ist die Vorsitzende des Bundesverbandes der Migrantinnen

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