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Männlichkeit – Ein Mittel, auf das man gerne zurückgreift

Seyda Kurt

 

Wie viele verwandte Begriffe würden uns einfallen, wenn wir Männlichkeit in einer Mind-Map in die Mitte stellen würden? Zu den eher negativ konnotierten Begriffen sollten Sexismus, Chauvinismus und Androzentrismus gehören. Doch wie stehen diese Begriffe zueinander in unserer Gesellschaft? Und wem nützen traditionelle Geschlechterrollen? Ein kurzer Einblick.

Das Männlichkeitsbild unter uns: Mein Sohn wird ein „wahrer Mann“

In der Kritik steht selbstverständlich nicht der „Mann“ an sich in seiner natürlichen Beschaffenheit, sondern das, wozu ihn die Gesellschaft heute macht, fordert und nötigt. Schauen wir uns einmal um und betrachten unsere Umgebung. Wo fällt uns ein traditionelles Männlichkeitsbild besonders direkt auf? Es ist wohl die anatolische Kultur, in der die meisten von uns aufgewachsen sind. Besonders junge türkeistämmige Männer aus sozial schwächeren Familien neigen dazu, Stärke, Ehre, Männlichkeit und Stolz nach außen hin zu verteidigen. Aber ist es nicht vor allem ein Zeichen einer gesellschaftlichen Zwangsjacke? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass junge Männer die ständige Rolle des Ehrenbeschützers satt haben? Wieso halten sie dann trotzdem an diesen Bildern fest?

Einige Sozialarbeiter wissen die Antwort darauf: Es sind die fehlenden Alternativen, die dafür sorgen, dass diese jungen Männer nicht ausbrechen können. Auf der einen Seite steht meist die konservative, traditionelle und strikte Erziehung seitens der Eltern, auf der anderen Seite steht die westliche kapitalistische Kultur, die oft Sexualität öffentlich vermarktet und die Geschlechterrollen genauso ausnutzt für Werbung und Wirtschaft. Übrig bleiben Institutionen wie Schule oder Freizeit, die eine Alternative bilden könnten. Ziemlich jeder hatte nur eine weibliche Grundschullehrerin, pädagogische Berufe gelten heute immer noch eher als „weiblich“. Gesellschaftliche Institutionen bieten also keine Alternative, sondern sind selbst noch in den traditionellen Mann-Frau Rollen gefangen. Für freizeitliche Alternativen fehlen die finanziellen Mittel oder auch letztendlich der Bezug und das Bewusstsein, dass es eine Alternative geben könnte. Partizipation fehlgeschlagen. Was für die fehlende Persönlichkeitsbildung bleibt, sind der falsche Stolz und der Glaube an eine männliche Überlegenheit, um das Selbstbewusstsein nicht zu verlieren. Gehen wir bei der Betrachtung einen Schritt weiter.

 

Chauvinismus in der Politik: Unser weißer, blonder, männlicher homo oeconomicus

„Frauen verdienen die gleichen Arbeitsmarktchancen wie Männer. Und wissen Sie warum? Um mit ihrem Vorbau die Männerwelt am Arbeitsplatz zu beglücken.“ Diese Meinung teilte Gerward Claus-Brunner, Abgeordneter der Piraten, als er die Forderung der Frauenquote wie folgt auf Twitter beschrieb: „die pro quote Frauen zeigen ihr wahres Gesicht und wollen lediglich auch nur Posten mit Tittenbonus”. Chauvinismus und Sexismus sei nur ein Problem von bildungsarmen Menschen aus sozialschwachen Familien? Nein. Schön wär‘s…

Tatsächlich ist Sexismus und Chauvinismus ein Problem, das sich durch unsere gesamte Gesellschaft zieht. Wir haben schon ein Beispiel aus der Politik gesehen. Ein anderes hervorragendes Beispiel ist die FDP: Wenn die FDP gerade keine blonden, attraktiven Frauen zur Wahl aufstellt, stellt sie eben gar keine auf. Seit Jahren werden Frauen in der Männerpartei benachteiligt. Nicht umsonst trat die hessener Vorsitzende der Liberalen Frauen aus der Partei aus und die Bundesvorsitzende stimmte zu, dass die Partei „ein Männerverein“ sei. Paradebeispiel: Dr. Martin Lindner, der vor kurzem vom Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Jan van Aken, während dem Plenum kritisiert wurde: „Zu Herrn Lindner muss ich sagen, dass ich das unerträglich finde: Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich die Eier. Das ist wenig zu ertragen. Das geht überhaupt nicht.“ Es ist wirklich ein sehenswertes Video.

Die Politik macht es vor, wir machen es nach. Und nach wessen Pfeife hat die Politik in unserer Gesellschaft zu tanzen? Richtig, nach der der Wirtschaft. Genauso wie der autoritäre, konservative Vater von den traditionellen Geschlechterrollen profitiert, weil er dadurch seine Kinder in Schach halten kann und wenn nicht, sein Sohn als Ehrenverteidiger ihm zur Seite steht, profitieren auch die Autoritäten unserer Gesellschaft davon. Denn Rollenbilder beeinflussen das Sein und die Persönlichkeitsbildung von jedermann.

Wirtschaft und Politik brauchen in vielen Bereichen billige Arbeitskräfte in prekären Verhältnissen, seien es Reinigungskräfte, Altenpflege, Friseurinnen oder auch Kassiererinnen. Frauen haben die Qual der Wahl: Karriere oder Kinder. Mit Kindern ist es besonders schwierig in Berufen mit größerer Verantwortung durchzukommen. Es fehlen Kita-Plätze und die gesellschaftliche Unterstützung. Diese Selbstverständlichkeit würde der Politik und Wirtschaft jedoch viel Geld kosten und vor allem ihre billigen Arbeitskräfte. Genau in dieser Situation bricht die Diskussion über das Betreuungsgeld aus und CSU-Chef Horst Seehofers „Frauenfreund“-Fassade ist geradezu grotesk. Bestimmte Herrschaftsverhältnisse brauchen eben andere Herrschaftsverhältnisse, die ihre Autorität untermauern. Männlichkeit, Chauvinismus und Androzentrismus ist dabei ein lang bewährtes Mittel, wie man es schon im Faschismus gesehen hat.

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