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NRW: Kommunalwahl gibt Stimmungsbild für Bundespolitik

Oktay Demirel

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 14. September wirkten in weiten Teilen wie ein politisches Stimmungsbild für die Bundesebene. Mit einer Wahlbeteiligung von 56,8 Prozent – deutlich höher als vor fünf Jahren und die höchste Beteiligung seit 1994– setzten die Wählerinnen und Wähler ein Signal: Die Unzufriedenheit wächst und die Größenverhältnisse der Parteien haben sich verändert.

Die AfD ist längst keine Randerscheinung mehr, sondern Teil der politischen Landschaft geworden. Die jahrelange Etablierung der rassistischen AfD-Positionen seitens SPD und CDU geführter Bundesregierungen haben letztendlich dafür gesorgt, dass Menschen die AfD im Spektrum der wählbaren demokratischen Parteien verorten. Auch wenn Teile der AfD gesichert rechtsextrem, nationalistisch und faschistisch sind, wird sie weiterhin als „Aufstand gegen das Establishment “ wahrgenommen, was sie aber keinesfalls ist.

In den Kommunen, wo die AfD bereits in den Gemeinde- und Stadträten saß, stimmte sie regelmäßig gegen jede soziale Initiative, die einkommensschwachen Familien, Arbeitslosen oder Obdachlosen helfen würde, gegen den sozialen Wohnungsbau, gegen faire Löhne für städtische Beschäftigte, gegen Investitionen in Kitas und Schulen in benachteiligten Vierteln.

Die AfD, die behauptet, für die „einfachen Menschen“ zu sprechen, spricht in Wirklichkeit eine andere Sprache: Eine Sprache der Ausgrenzung, der Spaltung und der sozialen Kälte. Sie hat noch nie einen Antrag eingebracht, der Mietpreise senken oder Arbeitsplätze sichern würde. Stattdessen hetzen sie gegen Geflüchtete und instrumentalisieren soziale Probleme für ihre rassistische Agenda. Statt einen Plan für bezahlbaren Wohnraum, für Kinderbetreuung, Schulen oder Gesundheitsversorgung zu präsentieren, verlagert die AfD die Debatte: Es sind die Migranten, die „unser Sozialsystem belasten“, „uns die Jobs wegnehmen“, „unsere Kultur gefährden“. Kein Konzept gegen Kinderarmut, gegen prekäre Beschäftigung, gegen wachsende wohnungspolitische Not – nur Schuldzuweisungen gegen Migranten.

AfD hat ihre Stimmen fast verdreifacht

Doch dieses „nach unten treten“ zieht anscheinend, zumindest bei einem Teil der Menschen. Die AfD erreichte landesweit 14,5 Prozent und fast eine Verdreifachung gegenüber 2020 (5,1 %). In Gelsenkirchen, Duisburg oder Hagen ziehen ihre Oberbürgermeister-Kandidaten sogar in die Stichwahl. Diese werden am 28. September stattfinden. Der Protest in den Arbeiterstädten des Ruhrgebiets ist real – aber nicht automatisch eine Zustimmung zu einem Programm. Vielmehr schlägt hier die soziale Krise durch: Armut, Arbeitslosigkeit, Zerfall der Infrastruktur.

Dass die AfD mit rassistischer Hetze die Wut umlenkt, ist brandgefährlich – aber keine neue Strategie. Schon vor über 100 Jahren hetzte der Alldeutsche Verband gegen „fremde Arbeiter“ im Revier. Damals Polen und Italiener, heute Geflüchtete. Das Muster bleibt gleich: Spaltung statt Lösung.

CDU stabil, SPD ohne Kraft – Grüne im Sinkflug

Die CDU konnte ihr Ergebnis mit gut 33 Prozent halten und feiert das als Erfolg. Die SPD erreichte rund 22 Prozent – verglichen mit 1994, als sie noch über 42 Prozent hatte, ein dramatischer Abstieg. Dass SPD-Chefin Bärbel Bas im Wahlkampf selbst zu AfD-Parolen griff und Bürgergeldempfänger als „mafiöse Strukturen“ bezeichnete, ist mehr als ein Ausrutscher: Es ist Ausdruck der Orientierungslosigkeit einer Partei, die ihre Funktion als Vertreterin der Arbeiter längst aufgegeben hat.

Die Grünen stürzten auf 13,5 Prozent ab. Ihre Rolle als Beiwagen der CDU in der NRW-Landesregierung und eifrige Unterstützerin der Kriegs- und Aufrüstungspolitik auf Bundesebene hat sie viele Stimmen gekostet. Etwa ein Drittel ihrer kommunalen Mandate ging verloren – ein deutliches Signal, dass ökologisches Etikettenschwindeln, wie das die Grünen professionell betreiben, nicht mehr zieht. Die FDP blieb auch hier unter vier Prozent.

Linke mit leichter Belebung – doch Widersprüche bleiben

Die Linkspartei gewann leicht hinzu (5,6 %). Besonders junge Menschen – fast ein Fünftel der unter 25-Jährigen – setzen auf sie. Doch die Partei bleibt im Zwiespalt: Während sie an der Basis glaubwürdig soziale Politik fordert, stimmen ihre Regierungsvertreter im Bundesrat Kriegskrediten zu und Spitzenpolitiker diffamieren palästina-solidarischen Protest. Diese Anpassung an die SPD-Logik – „links reden, rechts regieren“ – zerstört Vertrauen und ob die Wahlloyalität lange hält, steht mit einem großen Fragezeichen über den Köpfen.

Ruhrgebiet: Zentrum der Krise, Zentrum der Wut

Die Ergebnisse im Pott oder Revier (Ruhrgebiet) sind keine Überraschung. 290.000 Menschen ohne Arbeit, eine Armutsquote weit über dem Bundesdurchschnitt, kaputte Straßen, geschlossene Schwimmbäder, bröckelnde Schulen. In Duisburg stehen bei ThyssenKrupp 11.000 Jobs auf dem Spiel. Hier wächst nicht von selbst die Armut – sie ist das Ergebnis einer systematischen Umverteilung von unten nach oben, eines Klassenkampfes gegen die Städte der Arbeiter.

Die etablierten Parteien reden von „Integration“ und „Sicherheit“, werfen Millionen in Polizeiapparate – während Kommunen keine Mittel für Bildung oder soziale Infrastruktur haben. So wird bewusst Spaltung gefördert.

Kein Rückenwind, sondern Warnsignal

CDU und SPD verkünden nach der Wahl „Stabilität“ und „Rückenwind“. In Wahrheit zeigen die Ergebnisse, dass ihre Politik an Kraft verliert. Die SPD kann ihre alte Rolle – Arbeiter einbinden und befrieden – nicht mehr erfüllen. Die Grünen verlieren ihre Sonderstellung. Die AfD profitiert, ohne Lösungen zu haben.

Die eigentliche Lehre lautet: Solange Armut, Arbeitsplatzabbau und Kriegspolitik das Leben in NRW prägen, wird der Protest wachsen. Wer Veränderung will, muss sich auf linke, antirassistische und konsequent soziale Alternativen stützen – jenseits der Parteien, die nur verwalten und vertrösten.

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