Yücel Özdemir / Köln
Jonah Fischer ist aktiv im Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“. Mit ihm haben wir über ihre Arbeit und das Camp gesprochen, das bis zum 1. September in Köln organisiert wurde.
Warum setzt ihr den Fokus auf Rheinmetall? Es gibt ja mehr Rüstungskonzerne…
„Rheinmetall entwaffnen“, weil Rheinmetall der größte deutsche Rüstungskonzern ist und weil Rheinmetall eine sehr wichtige Funktion in der Militarisierung, die der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft aktuell erfahren, einnimmt. Das Bündnis hat sich allerdings 2018 anlässlich der Angriffe auf Afrin gegründet.Damals hat die türkische Armee Leopard 2-Panzer verwendet, die von Rheinmetall und KMW (Krauss-Maffei Wegmann) hergestellt wurden. Der Gedanke damals war: praktische internationale Solidarität. Wir wollten da protestieren, wo die Waffen hergestellt werden, nämlich bei Rheinmetall in der Lüneburger Heide und so ist auch der Name „Rheinmetall entwaffnen“ entstanden.
Über die Jahre ist der Konzern immer weiter gewachsen und hat von der „Zeitenwende“ wie kein anderer Konzern profitiert. Und tatsächlich nimmt er auch in der Politik eine ganz wichtige Rolle ein. Diese Verzahnung zwischen Politik, Militär und Industrie bietet die Grundlage für den Aufbau einer Kriegsindustrie.
Am Tag, an dem euer Camp begonnen hat, wurde ein neues Werk von Rheinmetall eröffnet. Mit Beteiligung von Politikern…
Ja.Wir habennatürlich direkt unsere Position gegen das neue Werk bezogen. Ich glaube, dass Rheinmetall für den deutschen Staat sehr wichtig ist, um die heimische Rüstungsindustrie jetzt auszubauen. Einerseits, um den Krieg in der Ukraine immer weiter zu führen. Andererseits, um auch selber in diesem Programm der Kriegstüchtigkeit irgendwie eine industrielle Basis zu haben. Ich glaube, dass diese enge Zusammenarbeit zwischen Politik und Rüstungsindustrie auch daher kommt, dass man diese Politik gezielt koordinieren will. Am besten auch auf der europäischen Ebene.
Die EU-Kommission hat ja auch Pläne zum Zusammenlegen europäischer Rüstungskonzerne. Das deckt sich auch sehr mit den Plänen vom CEO von Rheinmetall, Armin Papperger, der davon träumt, ein „europäisches Systemhaus”, wie er das nennt, zu schaffen. Unter der Führung von Rheinmetall und französischen Unternehmen sollen die kleineren Staaten ihre jeweiligen Rüstungsunternehmen unterstellen müssen.
Die Rüstungsindustrie wird immer stärker. Es zeichnet sich die Tendenz zu einem großen Krieg ab. Wie diskutiert ihr in eurem Camp die Prozesse die Kriegstüchtigkeit und die Entwicklungen?
Krieg ist natürlich schon längst Realität in vielen Regionen der Welt. Und es kommen immer mehr Krisen und Krisenherde dazu. Wir haben auf unserem Camp auch unzählige Workshops mit Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt: Palästina, Nordsyrien, Kurdistan, den Sudan, Kongo, Jemen, jetzt auch die Eskalation in Kaschmir und natürlich der Krieg in der Ukraine, der auch weiterhin noch andauert.
Wir sehen: es droht einfach noch immer weitere Eskalation irgendwie voranzutreiben, auch in Europa und in der Konfrontation zwischen Russland und der EU. Und natürlich die USA, die ihre Ansprüche sehr direkt unter der Trump-Regierung expansionistisch durchsetzen wollen.
Ich glaube, dass es immer noch mehr eskalieren kann, z.B. in der Ukraine..Der Krieg wird weiter ausgedehnt, immer wieder ist vom Einsatz von Atomwaffen gesprochen und das wäre dann die große Konfrontation. Oder China und die USA, die, wenn sie sich direkt militärisch bekämpfen würden, dann wirklich auch alles beenden würden. Weil sie zusammen über so viel Zerstörungskraft verfügen.

Foto: Yeni Hayat
Deutschlands Zielist ganz offen von Merz formuliert: Europas größte Armee werden. Diese Woche hat das Bundeskabinett beschlossen, die Tür für die Wehrpflicht zu öffnen. Wie bewertet ihr als Jugendliche diese Entscheidung?
Wir haben uns natürlich stark dagegen ausgesprochen. Die Reichen wollen Krieg, die Jugend eine Zukunft. Die Jugend organisiert sich auch dagegen.
Die Zwangsmaßnahmen sind noch im Vergleich klein und passieren Stück für Stück. Das liegt auch daran, dass die Bundeswehr noch nicht mehr als 5000 im Jahr ausbilden kann. Später werden sie ihre Kapazitäten hochfahren, auch finanziell. Und dann wird es wahrscheinlich auch dazu kommen, dass nochmal eine Wehrpflicht eingeführt wird. Ich kann mir vorstellen, dass die Jugendlichen, die dann direkt davon betroffen sind, sich stark dagegen aussprechen werden. Es hat zum Beispiel hier auch im Rahmen der Aktionswoche von „Rheinmetall entwaffnen“ die Besetzung eines SPD-Parteibüros gegeben, wo die Wehrpflicht auch skandalisiert wurde.
Ich nehme dahingehend viel Bewegung wahr. Es gibt überall lokale und auch schon überregionale Bündnisse, die sich mit der Wehrpflicht auseinandersetzen.
Aber wie steht es um die Friedensbewegung in Zeiten von Kriegstüchtigkeit?
Wir stehen nach meiner Meinung nach erst am Anfang vom Entstehen einer großen antimilitaristischen Bewegung. Im Vergleich zu der Macht, gegen die wir stehen – also gegen die gewaltige Macht von NATO, der EU, des deutschen Staates und der Rüstungsindustrie- haben wir natürlich noch nicht viel Einfluss. Aber dass es langsam und mit immer mehr Klarheit linke Kräfte gibt, die immer mehr in der Bevölkerung Gehör finden können. Wir brauchen eine Stimmung, die gegen den Krieg ist und die es ermöglicht, so eine Bewegung zu schaffen.
Gibt es diese Stimmung in der deutschen Bevölkerung? Jahrelang war die Position gegenüber dem Krieg; „Nie wieder!“
Mittlerweile ist es nicht mehr ganz so einfach. Denn die öffentliche Meinung wird von der Presse und von der Politik stark beeinflusst. Beide betreibenganz einheitlich Kriegspropaganda. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 hat diese Propaganda noch sehr viel mehr gezogen. Auch die Unterstützung für Israel haben mehr Leute mitgetragen.
Aber je länger ein Krieg andauert,desto offensichtlicher ist, wie sinnlos, wie lebensfeindlich das ist und wie das -wie in Gaza- zu einem Genozid ausartet. Die Menschen erkennen auch, dass Krieg nicht so gut sein kann, wie das behauptet wird.
Ich habe den Eindruck, dass sich in den letzten drei Jahren viel getan hat. Damals sind Leute sogar nicht zu unserem Camp gekommen, wegen unseren Positionen zur Waffenlieferungen. Ich glaube, das ist mittlerweile ein bisschen anders, weil sich die Realität der „Zeitenwende“ auch in Deutschland immer mehr abzeichnet: Diese bedeutet starker Sozialabbau und massive Hochrüstung.
Ich glaube, viele Leute sind da instinktiv erst mal vorsichtig. Es gibt Umfragen, bei denen Leute sagen, „Ja“, sie sind für die Wehrpflicht. Aber wenn man sie fragt, ob sie dann auch wirklich selber in den Krieg ziehen würden, da sagen die meisten „Nein“.
Junge Leute, die von der Wehrpflicht betroffen wären, sagen auch alle „Nein“. Sie sind nicht dafür. Und darauf kommt es ja letztendlich auch ein bisschen an. Dass die Leute, die in den Kriegsdienst gezwungen werden, da nicht mitziehen.
Ich glaube, dass sich in den Gewerkschaften auch langsam was regt. Sehr langsam. Nicht von den Hauptamtlichen, aber in der Basis gibt es einige Initiativen.
Wer nimmt denn an eurem Camp teil, woher kommen die Teilnehmenden politisch?
Aus sehr unterschiedlichen Ecken. Es sind linksradikale Gruppen und Strömungen, die hier vertreten sind. Vor allem antifaschistische, feministische, internationalistisch, klassenkämpferisch. Und dann auch sehr breit von marxistisch bis anarchistisch, sind irgendwie alle vertreten. Wir einigen uns aber unter dem Aspekt des Antimilitarismus.
Natürlich gibt es auch praktische Unterschiede in der Aktion zum Beispiel. Oder wie man sich vorstellt, wie ein Kampf gegen Krieg am besten zu machen ist. Mehr Organisation, mehr Klassenkampf, mehr Arbeit mit der Zivilgesellschaft oder eben auch weniger.

