Written by 14:59 DEUTSCH, TÜRKEI

Treuhänder für die CHP, Drohung mit militärischem Eingreifen in Rojava

YUSUF KARADAŞ

Vor der für den 15. September angesetzten Verhandlung zur Annullierung des CHP-Parteitags wurde ein weiterer Beschluss gefällt, der einem politischen Putsch gleichkommt. Das 45. Zivilgericht erster Instanz in Istanbul setzte den CHP-Istanbul-Vorsitzenden Özgür Çelik und den gesamte Ortsvorstand ab.

An ihrer Stelle wurden fünf Zwangsverwalter eingesetzt, darunter Gürsel Tekin, der zuvor seinen Austritt aus der CHP erklärt hatte. Diese Maßnahme zur Umgestaltung der Innenpolitik fiel zeitlich mit einer Serie von Drohungen seitens der Regierungsvertreter gegen Rojava und die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDG) zusammen.

Zuletzt erklärte MHP-Chef Devlet Bahçeli, der als Sprachrohr des von der Regierung gestarteten Prozesses „für eine terrorfreie Türkei“ auftritt, gemeinsam mit der HTŞ-Führung (Heyet Tahrir esh-Sham) in Damaskus eine mögliche „gemeinsame militärische Intervention“ gegen die SDG. In seiner Rede beschuldigte Bahçeli außerdem die CHP, „ideologische Sabotage gegen den Prozess einer terrorfreien Türkei“ zu betreiben, und warf CHP-Chef Özel vor, sich „am Haken des Imperialismus“ verfangen zu haben. Diese Aussagen machen deutlich, dass beide Entwicklungen enger miteinander verbunden sind, als es zunächst scheint.

Dass das Gericht – ohne dafür zuständig zu sein – die CHP-Provinzleitung absetzte und Treuhänder einsetzte, sowie die anschließenden Erklärungen von Justizminister Tunç, lassen keinen Zweifel daran, dass der Beschluss auf direkte Anweisung der Regierung erfolgte. Tunç selbst erklärte, die Entscheidung könne das Verfahren zur Annullierung des CHP-Parteitags beeinflussen – womit das eigentliche Ziel der Regierung offenliegt. Juristen betonen zudem, dass dieser Schritt gegen die Verfassung, gegen Beschlüsse der Wahlkommission (YSK) und gegen das Parteiengesetz verstößt.

Schon die Absetzung gewählter Bürgermeister und der Einsatz von Treuhändern in Rathäusern war ein Angriff auf das fundamentale demokratische Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Doch die Absetzung einer Parteiführung bedeutet einen noch gravierenderen Eingriff: Das Recht, Politik zu machen, wird damit faktisch von der Willkür der Regierung abhängig. Dieser Schritt markiert eine neue Etappe im Aufbau des autoritären Regimes, das Erdoğan beschönigend „fortgeschrittene Demokratie“ nennt.

Kaum als Treuhänder eingesetzt, erklärte Gürsel Tekin: „Wir sind im Amt.“ Damit schlug er denselben Weg ein wie der ehemalige CHP-Chef Kılıçdaroğlu, der im Verfahren zur Annullierung des Parteitags gesagt hatte: „Soll ich die Partei etwa einem Treuhänder überlassen?“ – und so der Einmischung der Regierung Vorschub leistete.

Dass sich Politiker für ihre persönlichen Vorteile bereitwillig von ihren Grundsätzen abwenden, ist in der bürgerlichen Politik nichts Neues. Viele, die Erdoğan einst für seine Nähe zum Imperialismus, für Ausbeutung, Korruption und Plünderung scharf kritisierten – von Devlet Bahçeli über Süleyman Soylu bis Numan Kurtulmuş – stehen heute fest an seiner Seite.

Vor diesem Hintergrund kann die staatlich gesteuerte Justizkampagne gegen die CHP, die bei den letzten Kommunalwahlen stärkste Kraft geworden war, nicht als reine „innere Angelegenheit“ der Partei gesehen werden. Vielmehr geht es darum, die Opposition insgesamt zu schwächen, sie zu spalten und so die „innere Front“ zu sichern – ein Vorgehen, das die Regierung für ihr eigenes Überleben und ihre hegemonialen Ambitionen im Nahen Osten für unverzichtbar hält.

Die Regierung hatte den Prozess „terrorfreie Türkei“ von Beginn an als Mittel dargestellt, äußere Bedrohungen abzuwehren und die innere Front zu stärken. In Wahrheit aber wurden damit elementare demokratische Rechte wie das Wahlrecht und das Recht auf politische Betätigung eingeschränkt. Dass dieser Prozess jetzt mit Drohungen gegen Rojava und die SDG verbunden wird, zeigt, dass es der Regierung nie um eine Lösung der kurdischen Frage ging.

Bahçeli bezeichnete die SDG als „im Orbit Israels“ und drohte zusammen mit der HTŞ mit einem militärischen Eingriff. Damit zeigt die chauvinistische Staatsdoktrin einmal mehr ihr wahres Gesicht: Wo immer Kurden ihre demokratischen Rechte einfordern, wird sofort von „imperialistischen Einflüssen“ oder „ausländischen Mächten“ gesprochen. Während die HTŞ in der Vergangenheit Massaker an Aleviten und Drusen begangen hat, erwarten Bahçeli und Erdoğan, dass die Kurden ihre Waffen abgeben und ihre Forderungen nach Selbstverwaltung aufgeben – sonst bliebe ihnen keine Wahl.

Wer bereits die bescheidenen Errungenschaften der Kurden jenseits der Grenzen als Bedrohung ansieht, hat offenkundig kein ernsthaftes Interesse an einer demokratischen Lösung im eigenen Land. Und doch hält die Regierung am Prozess fest – weil er nützlich ist: Einerseits, um mit dem „Komitee für nationale Solidarität, Brüderlichkeit und Demokratie“ im Parlament die Illusion einer Lösung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig innenpolitische Eingriffe fortzuführen. Andererseits, um Zeit zu gewinnen, die kurdischen Kräfte zu entwaffnen und zugleich die HTŞ auszurüsten und auszubilden.

Diesen Prozess als Teil einer Politik zu begreifen, die die kurdische Frage nicht lösen, sondern nur die kurdischen Kräfte schwächen und entwaffnen will, um sich mehr Einfluss im imperialistischen Machtpoker zu sichern, ist entscheidend. Denn nur so lässt sich bestimmen, wie man dieser Politik begegnen sollte. Die Lösung der kurdischen Frage ist untrennbar mit dem Kampf für Demokratie im Inneren und für Frieden in der Region verbunden. Der Erfolg dieses Kampfes hängt wiederum davon ab, ob die Kräfte von Arbeit, Demokratie und Bevölkerung ihre Stärke und Einheit gegenüber der Politik der Regierung ausbauen können.

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