Written by 09:11 DEUTSCH

Wadephul in der Türkei – Zwischen Rüstungsdeals und NATO-Kurs

Eren Gültekin

Der erste offizielle Türkei-Besuch des deutschen Außenministers Johann Wadephul in Ankara verdeutlicht die strategische Bedeutung der Türkei für Deutschland und die NATO. Wadephul bezeichnete beim Treffen mit seinem Amtskollegen Hakan Fidan die Türkei als „zentralen Partner innerhalb der Allianz“ und hob die aktuelle Bedrohung durch Russlands Krieg gegen die Ukraine als „größte Herausforderung für die NATO“ hervor. Deutschland erwartet von Ankara unter anderem, dass das Land dazu beiträgt, Russlands Einnahmen – etwa aus Ölgeschäften – zu verringern, da es durch das Montreux-Abkommen die Kontrolle über den Zugang zum Schwarzen Meer hat. Hier muss betont werden, dass der Bundesregierung bewusst ist, dass die Türkei ihre Geschäfte flexibel hält und wirtschaftlich sowohl westliche als auch östliche Partner einbezieht. Deshalb ist das Ziel Berlins, die Türkei stärker vom russischen Einfluss zu lösen, auch wenn Ankara sich weiterhin alle Optionen offenhält.

Nahost und Ukraine: Vielschichtige Außenpolitik der Türkei

Selbstverständlich waren beim Aufeinandertreffen der beiden Amtskollegen der Nahost- und der Ukraine-Krieg wesentliche Punkte. Wadephul forderte Ankara auf, weiterhin Druck auf die Hamas auszuüben, damit diese ihre Verpflichtungen im Rahmen des Gaza-Friedensplans erfülle und bezüglich Russland, das er als die „größte Bedrohung für die NATO“ bezeichnete, dass die Türkei helfe, Russlands Einnahmen (z. B. aus Ölgeschäften) zu verringern.

Der Blick auf die Türkei zeigt: Sie verfolgt eine vielschichtige Außenpolitik. Sie beteiligt sich nicht an den EU-Sanktionen gegen Russland, liefert aber Waffen an die Ukraine. Präsident Erdoğan gibt sich als Unterstützer der Palästinenser, während die Türkei weiterhin mit Israel Handel treibt – trotz des offiziell verkündeten Embargos. Laut UN-Daten war die Türkei 2024 sogar der fünftgrößte Exporteur an Israel; Exporte in Höhe von 2,86 Milliarden US-Dollar wurden größtenteils über Drittländer wie Griechenland abgewickelt. Zusätzlich fanden zehn Rohöllieferungen von Aserbaidschan über türkische Häfen nach Israel statt, wobei das Öl auch für militärische Zwecke genutzt wird.

Für Deutschland zeigt dies, dass die Türkei trotz widersprüchlicher Politik ein militärisch wichtiger Partner bleibt. Berlin möchte Ankara enger an den Westen binden und innerhalb der NATO aufrüsten lassen.

Deutschlands Rüstungsindustrie soll in Zukunft boomen

Und wie bindet man einen Staat wie die Türkei näher an sich? Natürlich mit militärischer Zusammenarbeit: Deutschland unterstützt den Kauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen durch die Türkei, um die türkische Luftwaffe innerhalb der NATO zu stärken. Geplant sind hierbei 24 gebrauchte Eurofighter Typhoon (Tranche 3A) und 16 neue Tranche-4-Flugzeuge – ein Paket im Wert von mehreren Milliarden Euro. Hintergrund ist die verzögerte Lieferung von US-F-16, frühestens 2030, sodass die Türkei nach einer europäischen Alternative sucht.

Diese Verhandlungen werden von Großbritannien als Vermittler unterstützt. Deutschland hat die zuvor geltende zweijährige Verkaufsbeschränkung bereits vor dem Besuch aufgehoben, sodass nun offiziell Verhandlungen über die Jets aus Katar möglich sind. Wadephul betonte, die Türkei sei ein „verlässlicher NATO-Partner“ und die Lieferung der Jets sei sowohl „natürlich als auch unterstützenswert.

Das Eurofighter-Konsortium, bestehend aus Deutschland, Spanien, Italien und Großbritannien, koordiniert Produktion, Wartung und Exporte, wobei jedes Mitglied zustimmen muss. Airbus plant, die Fertigung von zehn auf zwanzig Jets pro Jahr zu verdoppeln, um sowohl Exportmärkte als auch eigene Beschaffungsprogramme zu bedienen.

Dieser Deal ist ein klarer Ausdruck der Rüstungspolitik der CDU-geführten Bundesregierung, die dort ansetzt, wo die Ampelregierung aufgehört hat: Deutschland möchte seine Rolle als führender Rüstungsexporteur stärken und gleichzeitig die Türkei stärker an NATO-Strukturen binden. Der Besuch diente somit nicht nur der diplomatischen Pflege, sondern – noch offensiver als bei den Vorgängern – der Förderung strategischer Wirtschafts- und Verteidigungsinteressen.

Die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit soll intensiviert werden. Auch die Türkei möchte ein zentraler Bestandteil der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur werden – unter anderem im Rahmen des SAFE-Programms („Security Action for Europe), das bis zu 150 Milliarden Euro für Aufrüstung und Technologieentwicklung bereitstellt. Deutschland ist hier wichtiger Partner, genehmigt den Export von Eurofightern und bindet die Türkei in europäische Sicherheitsprojekte ein.

Grünes Licht für EU-Beitritt?

Auch die EU-Mitgliedschaft der Türkei wird sehr offen signalisiert. Deutschland zielt hierbei auf die Umstrukturierung der Zollunion, Reiseerleichterungen und vor allem – zentral – auf die Beteiligung türkischer Firmen an europäischen Rüstungsprojekten. Seit Jahren erhält Ankara hohe EU-Gelder: rund 10 Milliarden Euro für „Flüchtlingshilfe” (FRIT), 12,3 Milliarden Euro IPA-Mittel (2021–2027) und bilaterale Unterstützungen einzelner EU-Staaten von über 400 Millionen Euro. Es ist klar zu erkennen, dass dies ein Instrument ist, die Türkei strategisch zu binden, ohne ernsthaften Reformdruck auszuüben. Deshalb sind autokratische Erscheinungen der Türkei nicht bedeutend für Deutschland und die EU. Innenpolitische Missstände, die bereits seit vielen Jahren international bekannt sind und kritisiert werden, werden für die Gunst des NATO-Partners Türkei hingenommen. Nichts anderes signalisierte auch Wadephul mit seinem Besuch.

Türkische Innenpolitik für Merz & Co. irrelevant

Wadephul trat im Vergleich zu seiner Vorgängerin Annalena Baerbock (2022) deutlich zurückhaltender auf. Er betonte allgemeine Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, kritisierte Erdoğan jedoch nicht öffentlich und traf keine Oppositionellen, zumal die meisten in Gefängnissen sitzen. Der Fokus liegt auf der strategischen Partnerschaft, nicht auf innenpolitischer Profilierung.

Für die CDU geführte Bundesregierung ist dies Teil einer klaren Linie: Die Türkei unter Erdoğan bleibt als zentraler geopolitischer Partner gewollt, und ein Machtwechsel ist nicht nötig. Politische Einschränkungen werden deshalb bewusst in den Hintergrund gestellt. Auch der Antrittsbesuch von Merz am 30. Oktober in der Türkei wird von dieser Linie nicht abweichen; im Vordergrund wird zusätzlich nur der 64. Jahrestag des Gastarbeiterabkommens stehen, womit die jahrelange Partnerschaft in den Wirtschaftsbeziehungen den Schwerpunkt des Treffens ausmachen dürften. Kritik wird es von beiden Seiten wohl kaum geben, weil sie ihren Interessen nicht dienlich ist.

Close