Yücel Özdemir
Der Wunsch der Türkei, Eurofighter-Kampfflugzeuge aus deutscher, britischer, italienischer und spanischer Produktion zu kaufen, wurde erstmals während des Besuchs von Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 17. November 2023 in Berlin zur Sprache gebracht. Vor diesem Besuch, der im Schatten der Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2023 stattfand, hatte Deutschland Israel und die Türkei die Hamas uneingeschränkt unterstützt. In den offiziellen Gesprächen zeigten sich die Vertreter beider Staaten zwar nicht bereit, von ihrer Haltung gegenüber Israel bzw. der Hamas abzurücken, achteten jedoch darauf, sich nicht direkt zu kritisieren. Aufgrund der gegensätzlichen Standpunkte beider Seiten war die Möglichkeit einer Auseinandersetzung und eines Abbruchs der Gespräche nicht gering. Doch dazu kam es nicht.
Denn für beide Seiten gab es weitaus wichtigere Themen und Interessen als die Hamas, Gaza und Israel.
Als Erdoğan vor zwei Jahren in Berlin eintraf, sorgte die Ankündigung des türkischen Verteidigungsministeriums, 40 Eurofighter kaufen zu wollen, für großes Aufsehen. Erdoğan übermittelte das Angebot hinter verschlossenen Türen an den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz, richtete mit diesem Schritt jedoch seine eigentliche Botschaft an die USA. „Wir sind nicht auf eure F-35 und F-16 angewiesen”, sagte er. In seinem Gespräch mit Scholz erklärte Erdoğan, dass man sich anderen Ländern zuwenden und andere Optionen in Betracht ziehen werde, sollte Europa nicht bereit sein, die Eurofighter zu liefern. Genau zu diesem Zeitpunkt wurden in regierungsnahen Medien Chinas „Geisterkampfflugzeuge“ J-20 und J-35A in den höchsten Tönen gelobt.
Scholz, der bei diesem Treffen 40 Eurofighter-Bestellungen von Erdoğan entgegennahm, lehnte diese weder sofort ab noch nahm er sie an. Die Eurofighter, die von dem britischen Unternehmen BAE Systems, der spanischen und deutschen Niederlassung von Airbus sowie dem italienischen Unternehmen Leonardo gemeinsam hergestellt werden, dürfen nur mit Zustimmung aller vier Herstellerländer an ein Land verkauft werden. Mit Ausnahme Deutschlands waren alle Länder bereits seit Langem mit dem Verkauf an die Türkei einverstanden.
Deutschlands Berechnungen gegenüber der Türkei
Die seit mindestens 2023 von Deutschland ausgesetzte Genehmigung für die Lieferung der Eurofighter an die Türkei wurde am Mittwoch, dem 22. Juli, auch von der neuen deutschen Regierung bestätigt. Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte dazu in Berlin, dass das Verteidigungsministerium in einem Schreiben die Erteilung einer Verkaufsgenehmigung mitgeteilt hat.Jetzt müsse die türkische Regierung entscheiden, ob sie die Flugzeuge bestellt oder nicht. Damit liegt der Ball nun bei Ankara.
Angesichts dieser Situation stellt sich natürlich die Frage, warum Berlin der Türkei ausgerechnet jetzt die „Eurofighter-Genehmigung” erteilt hat.
Die wichtigsten Gründe dafür sind die sich seit November 2023 weltweit rasch verändernden politischen und wirtschaftlichen Gleichgewichte und Bedingungen. Der Verlust der Mehrheit der SPD-Grünen-FDP-Koalitionsregierung in Deutschland und die Bildung einer CDU/CSU-SPD-Koalition unter Führung der Christdemokraten scheinen diesen Prozess erleichtert zu haben.
Die Rolle der Türkei in der europäischen Sicherheitsarchitektur
Die zahlreichen Konflikte zwischen den USA und den europäischen Ländern, insbesondere um die Aufteilung der Ukraine, sowie Trumps Bestreben, die Sicherheit Europas weiterhin selbst zu gewährleisten, haben die europäischen Länder dazu veranlasst, ihre sicherheitspolitischen Strategien zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang wurde lautstark gefordert, die Türkei in die neue Sicherheitsarchitektur einzubeziehen.
Die in diesem Monat unterzeichneten militärischen Kooperationsabkommen zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien scheinen eine Gegenmaßnahme zu sein, für den Fall, dass US-Präsident Trump einen neuen Schritt unternimmt. Die Einbeziehung der Türkei, die über die zweitgrößte Armee der NATO verfügt, in diese Gleichung würde die Position der europäischen Imperialisten, insbesondere in Bezug auf die Aufteilung des Kaukasus und des Nahen Ostens, stärken. Der Weg zu einer Türkei, die – anders als Israel, das eher nach den Plänen der USA handelt – im Interesse Europas agiert, führt auch über die militärische Aufrüstung der Türkei. Eine in Europa statt in den USA integrierte Türkei würde eine Neubewertung der Interessenkonflikte und des Gleichgewichts zwischen den westlichen Imperialisten bedeuten.
Wettbewerb in der Region zwischen Europa und den USA durch die Türkei und Israel.
Als Alternative zur Stärkung der Achse USA-Israel im Nahen Osten und im Kaukasus könnte die Annäherung zwischen Europa und der Türkei in kurzer Zeit an Dynamik gewinnen. Die Unterstützung der Türkei durch Europa bzw. Deutschland bei der Gestaltung der Region und der damit verbundenen Gleichgewichte beruht in erster Linie auf den eigenen Interessen. Die israelische Regierung, die dies als störend empfindet, hat die europäischen Länder zuvor davor gewarnt, Eurofighter an die Türkei zu verkaufen.
Vorteilskalkül im Wettbewerb auf dem Waffenmarkt
Ein weiterer wichtiger Grund ist der Wunsch, einen Anteil am Wettbewerb auf dem Waffenmarkt zu erlangen. Die Gesamtkosten der Eurofighter, die jeweils mindestens 100 Millionen Euro betragen, werden für die Türkei auf mindestens 5,5 bis 6 Milliarden Euro geschätzt. Anstelle der F-35 und F-16 würde der türkische Rüstungsmarkt von den USA in europäische Kontrolle übergehen, was neue Möglichkeiten für europäische Rüstungsmonopole eröffnen würde.
In den letzten Jahren ist die Meinung weit verbreitet, dass Konjunkturrückgänge in einigen Industriezweigen, insbesondere in der Automobilindustrie, durch den Ausbau der Rüstungsindustrie überwunden werden könnten. Auch die möglichen Bestellungen der Türkei werden unter diesem Gesichtspunkt bewertet. Die Aussage des britischen Premierministers Keir Starmer, mit der Zustimmung Deutschlands seien „20.000 Arbeitsplätze gesichert“, ist kein Zufall.
Es sind die europäischen Monopole, die vom Wettbewerb zwischen der Türkei und Griechenland profitieren werden
Die europäischen Imperialisten rechnen damit, dass eine militärische Stärkung der Türkei eine Bedrohung für die Länder der Region darstellen würde. Aus diesem Grund wurde vor der Genehmigung des Verkaufs der Eurofighter auch die Zustimmung der griechischen Regierung eingeholt. Griechenland hat zuvor 24 Rafale-Kampfflugzeuge aus Frankreich gekauft und erwägt nun den Kauf von Eurofightern, um sich gegen die „Bedrohung durch die Türkei” zu wappnen.
Die Aufrüstung der Türkei bedeutet also gleichzeitig die Aufrüstung ihres Nachbarlandes Griechenland. In beiden Fällen sind die europäischen Waffenkonglomerate die eigentlichen Gewinner. Die Menschenrechtsverletzungen sowie die Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten in der Türkei sind den europäischen Imperialisten schon lange egal.
Trotz der enormen wirtschaftlichen Probleme des Landes ist es für die derzeitige Regierung kein Problem, Milliarden Euro aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales zu kürzen und für Eurofighter auszugeben. Während die europäischen Imperialisten mit der Lieferung von Eurofightern an die Türkei ihre Taschen füllen, bleiben die Taschen der türkischen Bevölkerung, der Arbeiter und der Jugend leer.
So eindeutig ist die Lage.