Immer mehr junge Menschen wenden sich linken Ideen und Bewegungen zu. Zuletzt merkte man das bei den Bundestagswahlen und den Kommunalwahlen in NRW. Junge Menschen erleben Prekarität, Klimakrise und politische Repression unmittelbar – und suchen nach Alternativen. Doch linke Gruppen tun sich schwer, diese „Offenheit nach einer besseren Welt für alle!“ zu nutzen. Wenn fortschrittliche Kräfte aus ihren Fehlern lernen, könnte sie der Jugend eine echte Perspektive jenseits des Kapitalismus eröffnen und sie für eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse gewinnen.
Oktay Demirel
Die heutige junge Generation wächst in einer Zeit auf, die von tiefen gesellschaftlichen Krisen geprägt ist: Umweltzerstörung, soziale Krise, Krieg und Militarisierung, Mangel an Teilhabe und Perspektivlosigkeit. Das kapitalistische System stößt sichtbar an seine Grenzen – und gerade die Jugend erfährt das am unmittelbarsten.
Wer heute jung ist, findet oft nur befristete Jobs, Praktika oder Leiharbeit. Der Übergang von Schule oder Studium ins Berufsleben bedeutet für viele nicht Aufbruch, sondern Unsicherheit. Planbarkeit – sei es für Beruf, Familie oder Zukunft – existiert kaum noch. 60 % der 15- bis 24-Jährigen lebten 2023 in Deutschland hauptsächlich von familiärer oder staatlicher Unterstützung. Unter Kindern und Jugendlichen ist die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung groß: 2022 war knapp jeder vierte unter 18-jährige in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. In Umfragen hält über die Hälfte (52 %) der Befragten laut einer GfK-Studie (Gesellschaft für Konsumforschung) die Ansicht, dass viele sich nicht leisten könnten oder wollen, eine Familie zu gründen.
Nicht zuletzt hängt das damit zusammen, dass vor allem in den Großstädten die Mieten explodieren. Junge Menschen sind gezwungen, lange in WGs oder bei Eltern zu wohnen. Ein eigenes Zuhause bleibt für viele ein ferner Traum. Nicht zuletzt hängt das damit zusammen, dass in tarifgebundenen Betrieben die Ausbildungsvergütung 2024 über alle Ausbildungsjahre bei ca. 1.133 €/Monat brutto lag. Zeitgleich gaben Haushalte durchschnittlich 27,9 % ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete aus, in Großstädten sogar 29 %.
Naturkatastrophen, Hitzewellen, steigende Lebensmittelpreise – all das zeigt, dass die ökologische Zerstörung längst Realität ist. Die Jugend spürt: Mit kosmetischer Klimapolitik ist das Überleben nicht zu sichern. Im Gegenteil beobachten wir in den letzten Jahren, vor allem auch mit dem Erstarken von rechten Parteien überall auf der Welt, dass die Umwelt noch extremer den Profitinteressen großer Monopole untergeordnet wird. Zunehmende Überwachung, Polizeigesetze und der Aufstieg rechter Kräfte schränken zusätzlich Freiheiten ein. Wer für Vielfalt und Selbstbestimmung steht, erlebt Repression. Identität und Individualität, was bei der heutigen Jugend ausgeprägt ist, wird stark eingeschränkt.
Diese Realität erzeugt ein tiefes Misstrauen gegenüber der bestehenden Ordnung. Während ältere Generationen sich oft an den vermeintlichen „Erfolgsgeschichten“ der Vergangenheit festhalten, spürt die Jugend, dass mit diesem System keine Zukunft möglich ist.
Wie die Jugend politische Kräfte bewertet
In der „Kritik des Gothaer Programms“ (1875) schreibt Marx über die Entwicklung der kommunistischen Gesellschaft, dass das Prinzip gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“. Das bedeutet, dass jede Person nach ihren Fähigkeiten etwas in die Gesellschaft einbringt und im Gegenzug ihren Bedürfnissen das erhält, was sie zum Leben und zur Entfaltung braucht – unabhängig von ihrer individuellen Arbeitsleistung. Somit zeigt sich, dass diese ideale Gesellschaftsform der Wunsch der heutigen Jugend ist.
Es fehlt jedoch heutzutage an einer politischen Kraft, die diesen Wunsch als politische Agenda verteidigt. Der Jugend reichen Lippenbekenntnisse nicht. Wer eine soziale oder ökologische Politik ankündigt, muss sie konsequent verfolgen. Opportunismus wird schnell durchschaut: Massenhafte Austritte aus den Grünen waren kein Zufall, sondern die logische Konsequenz des Verrats der Grünen an ihren eigenen Werten zugunsten des Systemerhalts. Doch genau hier offenbart sich die Schwäche: Linke Organisationen verstehen sich als Alternative, erreichen die Jugend aber oft nicht oder nur begrenzt.
Viel zu oft wird in dogmatischen Floskeln gesprochen, die für junge Menschen nicht nachvollziehbar sind. Anstatt Inhalte in heutige Sprache zu übersetzen, werden alte Formeln wiederholt. Es fehlt in Schulen, Unis, Betrieben und Bewegungen an dauerhafter Präsenz in Basisgruppen, wo man direkt mitgestalten und verändern kann, quasi die Zeit, aktiv zu werden ist längst da, braucht eine konsequente Umsetzung.
Was Linke lernen und verändern müssen
Damit die Jugend eine reale gesellschaftliche Alternative findet, müssen linke Kräfte ihre Schwächen überwinden und Neues entwickeln: Gesellschaftskritik muss an den konkreten Erfahrungen der Jugend anknüpfen – unsichere Jobs, steigende Mieten, Klimakrise. Nur so wird die Analyse greifbar und konkret. Eine Zukunftsvision jenseits des Kapitalismus muss ökologisch ausgerichtet sein. Ohne Bruch mit der Profitlogik gibt es keine Lösung der Klimakrise. Aber sie darf sich auch nicht nur an politische Arbeit beschränken. Es braucht Räume, in denen junge Menschen alternative Lebensformen und solidarische Kultur erfahren können. Kämpfe hier und weltweit müssen verbunden werden, den besonders migrantische Jugendliche – nahezu ein Drittel aller Jugendlichen im Land- brauchen Strukturen, die ihre Erfahrungen, Herkunft und Verbindungen ernst nehmen.
Reformillusion bekämpfen
Eines ist entscheidend: Junge Menschen dürfen nicht in der Illusion gelassen werden, dass Wahlen allein grundlegende Veränderungen bringen, wie es die Linkspartei oft versucht. Wahlergebnisse können Stimmungen sichtbar machen, aber sie verschieben nicht die Machtverhältnisse.
Die eigentliche Macht liegt in den Händen der Konzerne, Banken und des Staatsapparats. Wer glaubt, dass das Kreuz auf dem Stimmzettel die Welt verändert, wird schnell enttäuscht. Wirkliche Veränderungen entstehen durch Organisierung, durch Streiks, durch Bewegungen – und letztlich durch den Bruch mit dem bestehenden System.
Die Jugend muss erleben, dass sie Teil einer Kraft sein kann, die nicht nur protestiert, sondern auch eine gesellschaftliche Alternative aufbaut.
Die Linkswendung der Jugend ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer tiefen Krise der bestehenden Ordnung. Sie zeigt, dass das Vertrauen in das System schwindet. Doch ob diese Orientierung in eine revolutionäre Bewegung mündet, hängt davon ab, ob die politische Linke es schafft, glaubwürdig zu werden. Die Jugend ist nicht nur die Zukunft, sie ist ein aktiver Teil der Gegenwart. Wenn es gelingt, ihre Energie, Kreativität und ihren Freiheitsdrang mit einer Strategie zu verbinden, die die gesellschaftlichen Verhältnisse anzugreifen, dann können aus Protest und Orientierung die ersten Schritte zu einer neuen Gesellschaft entstehen.