Die Fälle, in denen Polizisten auf Menschen schießen, häufen sich. Einer der jüngsten Fälle, der sich am 18. November in Bochum zugetragen hat, erreicht aber eine neue Dimension. Das Opfer ist nämlich nicht nur gehörlos, sondern ein 12-jähriges Mädchen. Wie also können Schüsse auf ein Kind, das obendrein eine Behinderung hat, jemals gerechtfertigt sein – selbst wenn sie zwei Messer in der Hand hatte?
Knapp eine Woche nach der Tat ist der Zustand des Mädchens nach wie vor kritisch. Die Zwölfjährige hatte sich unerlaubt aus ihrer Wohngruppe entfernt und ist bei ihrer Mutter gewesen, der zuvor das Sorgerecht entzogen worden war. Nachdem die Mutter – ebenfalls gehörlos – sich weigerte, die Polizei in die Wohnung zu lassen, zogen die Beamten sie aus der Wohnung und fixierten sie. Das Mädchen – das vollkommen verängstigt von der Situation gewesen sein muss – soll zwei große Küchenmesser geholt und die Polizisten angegriffen haben – ob das stimmt, ist nicht klar, die Bodycams waren aus. Daraufhin benutzte einer der Polizisten einen Taser, ein anderer schoss dem Mädchen zeitgleich in den Bauch. Sie musste zweimal operiert werden. Die Polizei fand es wohl nicht notwendig einen Sozialarbeiter (z.B. aus der Wohngruppe) oder einen Gehörlosendolmetscher mitzubringen, stattdessen schießt sie immer wieder auf Menschen, mittlerweile unabhängig von ihrem Alter. Doch wie sollte es anders sein – die Verteidigung lässt nicht lange auf sich warten.
Die zuständige Polizei in Essen erklärte, dass bei Messerangriffen Schusswaffengebrauch vorgesehen sei und die Beamten „in Sekunden eine Entscheidung treffen“ mussten. Auch der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP NRW erklärte, Messer seien die am schwierigsten abzuwehrende Waffe“. Willkommene Ausreden für ein System, in dem die Staatsgewalt – verkörpert durch die Polizei – das volle Ausmaß ihrer Gewalt gegen die Bevölkerung einsetzt. Sei es, um unliebsame Proteste niederzuknüppeln, wie oft bei palästinasolidarischen Demonstrationen in Berlin oder um Schusswaffen gegen ohnehin vulnerable Gruppen in der Gesellschaft einzusetzen: Migranten, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit Behinderung, Jugendliche, Kinder…
Wer denkt, dass das Ausnahmen seien, sollte sich die sich zuspitzende Spirale von (tödlicher) Polizeigewalt der letzten Jahre anschauen. Die Gewalt hat System. Ein System, in dem die Täter (also die Polizei) nie verurteilt werden, u.a. weil die Untersuchung von ihr selbst durchgeführt wird
. Deshalb ist der einzige, dem die Polizei tatsächlich „Freund und Helfer“ ist, genau dieses System.

