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Zweiter Berliner Volksentscheid – Vergesellschaftung von Wohnraum

2021 befürwortete die Berliner Bevölkerung ein von der Initiative angestoßenes Volksbegehren. Der Berliner Senat hatte hatte die Aufgabe die Vergesellschaftung von Wohnraum voranzutreiben, hatte diese aber immer weiter verschleppt. Am 26. September hat „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ den Entwurf für ein „Vergesellschaftungsgesetz“ vorgestellt und angekündigt einen erneuten Volksentscheid zu beantragen. Wir haben über diesen Entwurf mit Isabella Rogner, Kiezteam Tempelhof-Schöneberg und eine der Sprecherinnen von der Initiative „Deutsche Wohnen& Co Enteignen“ gesprochen.

Sebahat Aslan / Berlin

⁠Wie beurteilen Sie die ausgebliebene Umsetzung des Volksentscheids, welcher mit 59,1 % der Stimmen beschlossen wurde? 

Das ist ein demokratischer Skandal. Der Senat hat die Umsetzung blockiert, sie verschleppt und nur eine Kommission zur Prüfung gegründet. Dann hat diese Kommission gesagt, dass es rechtlich möglich sei und man die Vergesellschaftung umsetzen könne. Und danach ist aber nichts passiert, sondern es gibt nur lange Debatten und noch mehr Gutachten, die eingeholt werden sollen und ein Rahmengesetz, was gar keine Konsequenzen hat und nichts umsetzt. Der Senat ignoriert aktiv den demokratischen Willen seiner Bevölkerung und verschleppt ihn durch sinnlose Maßnahmen.

⁠Welche Pläne haben Sie, um den zweiten Volksentscheid erfolgreich durchzuführen?

Wir haben entschieden, dass wir selbst ein Gesetz erarbeiten werden für die Vergesellschaftung von großen, profitorientierten Immobilienkonzernen. Wir haben zwei Jahre sehr intensiv daran gearbeitet und haben uns viel Expertise dazu geholt. Wir hatten einen wissenschaftlichen Beirat und wir haben mit einer Verfassungsrechtskanzlei zusammengearbeitet. Und jetzt ist der Entwurf endlich da. Wir freuen uns jetzt sehr über Feedback aus der Stadtgesellschaft und aus der Fachöffentlichkeit. Damit wollen wir dann einen zweiten Volksentscheid starten, einen sogenannten Gesetzesvolksentscheid. Und wenn der positiv abgestimmt wird, dann tritt dieses Gesetz auch direkt in Kraft und dann wird die Vergesellschaftung endlich umgesetzt.

Wie soll die neue „öffentliche Institution“ aufgebaut sein? Wie können Bürgerinnen und Bürger bei Entscheidungen mitmachen? 

Wir wollen, dass die Wohnung in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden. Das heißt, die Wohnungen gehören wieder allen Berlin und nicht den privaten Konzernen. Diese AöR soll aber demokratisch aufgebaut sein, durch Mitbestimmungsgremien auf allen Ebenen. Es gibt ganz oben einen Verwaltungsrat, in dem ganz zentrale Entscheidungen getroffen werden. Und dann gibt es aber auch auf Ebene der Siedlungen und Bezirke Räte, in denen Mieterinnen und Mieter sitzen und auch die Beschäftigten der AöR können mitbestimmen. Dort sollen dann demokratische Entscheidungen getroffen werden.

⁠Welche Sicherheiten bekommen die Mieterinnen und Mieter, wenn z. B. 220.000 Wohnungen vergesellschaftet werden?

Wenn die Vergesellschaftung umgesetzt wird, dann ändert sich für die Mieterinnen und Mieter erstmal nichts. Alle Mietverträge sind sicher. Es dürfen keine Kündigungen ausgesprochen werden, es darf keine Mieterhöhungen geben. Dann haben die Behörden 18 Monate Zeit, die Bestände der Wohnungen zu identifizieren und die Entschädigung zu berechnen. Danach werden die Wohnungen in die neue Anstalt öffentlichen Rechts überführt und ab dann demokratisch verwaltet. Die Mitbestimmungsgremien werden eingerichtet und die AÖR kümmert sich um alles, was passieren muss, zum Beispiel Instandhaltung, Mängel zu beheben und die Gebäude zu sanieren.

Mit welchen Entschädigungen für die Firmen rechnen Sie? Und was bedeutet das für den Staatshaushalt?

Die gute Nachricht ist: Der Haushalt wird nicht belastet. Die ganze Entschädigung wird aus den Mieten bezahlt und es werden keine Kredite aufgenommen. Dafür haben wir ein Entschädigungsmodell entwickelt: Die Gebäude werden regulär entschädigt, wie in einem normalen Gutachtenverfahren. Was wir aber nicht so hoch entschädigen werden, sind die Grundstücke. Ab 2013 sind die Bodenpreise in Berlin explodiert, durch Rendite und Spekulation. Der Boden ist immer teurer geworden, weil Berlin beliebter geworden ist. Aber das ist keine Leistung der Konzerne, sondern eine Leistung der Menschen, die hier leben. Die, die Busse und U-Bahnen fahren, die in den Cafés arbeiten, die Kultur machen, deswegen ist Berlin ja lebenswert. Dadurch ist der Boden immer teurer geworden. Das ist Spekulation, das muss man nicht entschädigen. Stattdessen nehmen wir einen Mittelwert der Bodenpreise von 2011-2013. Und ab 2013 berechnen wir dann eine ganz moderate Steigerung von 3,5 % pro Jahr. Das bekommen die Wohnungskonzerne als Entschädigung. Mit dieser Berechnung landen wir bei ungefähr 40-60 % vom regulären Marktwert.

⁠Außer der Begrenzung von Mieterhöhungen – welche weiteren Lösungen schlagen Sie gegen die Wohnungskrise vor?

Es gibt natürlich viele Probleme auf dem Wohnungsmarkt und die Vergesellschaftung ist ein ganz großer Hebel, den wir bewegen wollen. Darüber hinaus gibt es auch andere Sache, die passieren müssen. Wir setzen uns für einen bundesweiten Mietendeckel ein. Auch über Berlin hinaus müssen die Mieten begrenzt werden und dürfen nicht ins Unermessliche steigen. In Berlin gibt es zu wenige Sozialwohnungen. Die sind zeitlich begrenzt und fallen irgendwann aus dieser Sozialbindung raus und es kommen keine neuen nach. Das ist ein riesengroßes Problem für alle Menschen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Da müsste dringend was geändert werden, die Sozialbindung darf nicht aufgehoben werden und es müssen wieder mehr Sozialwohnungen geschaffen werden.

Welche Unterstützung oder welchen Widerstand bzgl. des Volksentscheids erwarten Sie von Parteien und vom Berliner Senat?

Wir erwarten vom Berliner Senat nichts, da sitzen zwei Parteien, die ganz klar den Volksentscheid blockiert haben. Auch auf die anderen Parteien verlassen wir uns nicht, sondern machen die Vergesellschaftung jetzt eben selbst. Wir freuen uns natürlich, wenn sie ihre Unterstützung erklären. Viele der Mitglieder der Parteien stehen auch hinter uns und sind herzlich eingeladen, uns zu unterstützen, bei uns mitzumachen. Ich glaube, insgesamt hat die Berliner Stadtgesellschaft nur darauf gewartet, dass es endlich weiter geht. Wir haben viele positive Zuschriften bekommen und werden jetzt im Herbst viele Veranstaltungen machen.

⁠Gibt es in anderen Ländern Erfahrungen mit Vergesellschaftungsprozessen? 

Es gibt viele Beispiele aus anderen Ländern, wo versucht wurde, Eigentum wieder öffentlich zu machen. Was bei uns besonders wichtig ist, ist die demokratische Kontrolle. Die soziale Infrastruktur soll nicht einfach nur verstaatlicht werden, sondern die Menschen sollen mitentscheiden können, was damit passiert. Ein Beispiel wäre die Landlosenbewegung in Brasilien. Dort geht es auch um Boden. In dem Fall allerdings nicht um Wohnungen, sondern um Landwirtschaft. Das ist ein enorm wichtiges Thema in Bezug auf Klimaschutz und Ernährungssicherheit. Seit es die Landlosenbewegung gibt, sind schon knapp 10 % der Fläche in Brasilien enteignet worden. Das ist ein Riesenerfolg und sehr inspirierend. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Bolivien, kämpfen Menschen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung und in Großbritannien gab es Auseinandersetzungen um die Industrie und den öffentlichen Nahverkehr. Das sind Kämpfe dafür, dass die Daseinsvorsorge nicht privatisiert werden darf, sondern in öffentlicher Hand bleiben muss.

Wenn das Referendum erfolgreich ist, welche Veränderungen erwarten Sie kurz- und mittelfristig auf dem Berliner Wohnungsmarkt?

Wir holen uns 220.000 Wohnungen zurück, das ist eine große Sache. Damit können wir viel bewegen, für die Menschen, die dort schon wohnen und natürlich in der Vergabe von neuen Mietverträgen. Die Wohnungen sollen danach vergeben werden, wer dringend eine Wohnung braucht und nicht, wer das meiste Geld hat. Langfristig gehen wir davon aus, dass die Vergesellschaftung einen dämpfenden Effekt auf den Mietspiegel haben wird und damit Auswirkungen auf den gesamten Berliner Wohnungsmarkt. Das bedeutet, die Miete kann auch in anderen Wohnungen nicht mehr so stark erhöht werden und das bringt Erleichterung für alle. Im Moment gibt es auf dem Berliner Wohnungsmarkt auch einen sogenannten Lock-in-Effekt. Das bedeutet, dass Menschen in ihren Wohnungen bleiben müssen, obwohl sie vielleicht eigentlich lieber eine größere oder kleinere Wohnung hätten. Aber sie finden keine mehr, die sie noch bezahlen können. Das sind zum Beispiel Menschen, deren Kinder erwachsen und ausgezogen sind, und sie würden gerne in eine kleinere Wohnung ziehen. Aber sie finden nur noch Wohnungen, die dreimal so viel kosten, wie ihre jetzige und die sie sich nicht leisten können. Das heißt, wir haben auch ein Verteilungsproblem beim Wohnraum. Wir gehen davon aus, dass mit der AöR Bewegung reinkommen wird, weil Menschen wieder umziehen können und der Lock-in-Effekt aufgehoben wird.

⁠⁠Wie wollen Sie sicherstellen, dass Migrantinnen und Migranten in Berlin – trotz Diskriminierung und hohem Mietdruck – besser über das Referendum informiert und einbezogen werden und später leichter Zugang zu sicheren und bezahlbaren Wohnungen haben?

Der erste Schritt ist, alle richtig zu informieren. Beim letzten Volksentscheid war es uns wichtig, auch Unterschriften zu sammeln von Menschen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und deswegen nicht abstimmen dürfen. Wir sammeln diese Unterschriften trotzdem, als politisches Zeichen, und achten darauf auch Menschen mit anderen Staatsbürgerschaften einzubeziehen. Dafür haben wir auch viel Material übersetzt, Veranstaltungen gemacht und mit migrantischen Organisationen zusammengearbeitet, wie DIDF und dem Bloque Latino. Dann gibt es noch einen zweiten Schritt: Wenn die Vergesellschaftung dann umgesetzt ist, wie werden die Wohnungen vergeben? In unserer Broschüre „Gemeingut Wohnen“ über die AöR haben wir ein Vergabeverfahren beschrieben. Es soll ein gewichtetes Losverfahren sein. Das bedeutet, es sollen verschiedene Kriterien gewichtet werden, etwa welche Miete man sich leisten kann oder ob man eine barrierefreie Wohnung braucht. Ein Kriterium, das berücksichtigt werden soll, ist die Erfahrung mit rassistischer Diskriminierung. Menschen, die erschwerten Zugang auf dem Wohnungsmarkt haben, sollen besonders berücksichtigt werden. Daneben soll es auch noch einen Anteil von Wohnungen geben, die nach einer Härtefallregelung vergeben werden.

Darunter fallen zum Beispiel Menschen, die geflüchtet sind und die eigentlich schon Anspruch auf eine Wohnung in Berlin haben, aber immer noch in einer Unterkunft für Geflüchtete leben. Und schließlich soll die Anstalt öffentlichen Rechts eine Antidiskriminierungsstelle bekommen. Das ist einerseits eine Beschwerde- und Beratungsstelle, an die man sich wenden kann, wenn man Diskriminierung erfahren hat. Sie soll aber auch Förderpläne entwickeln, wie zum Beispiel in den Mieterräten besonders Menschen einbezogen werden können, die Migrationsgeschichte haben. Dafür orientieren wir uns am Berliner Gesetz zur Förderung der Partizipation. Gleichzeitig wollen wir uns an der Bevölkerungsstruktur vor Ort orientieren, also zum Beispiel, dass in Kreuzberg und Neukölln besonders türkische, kurdische und arabische Menschen einbezogen werden.

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