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2000 – 2010: Verlorenes Jahrzehnt für Arbeitnehmer: 2,9 % Reallohnverlust

Fred Schmid

2010 (jeweils je Arbeitnehmer:

  • Bruttolöhne/-gehälter: + 2,2 %
  • Nettolöhne/-gehälter: + 3,4 %
  • Reallöhne (Kaufkraft): + 2,3 %

Nach fünf Jahren Reallohnverlust in Folge gibt es erstmals wieder ein spürbares Plus bei Nettolöhnen und realen Nettolöhnen. Die Lohnzuwächse sind jedoch nicht zurückzuführen auf echte Tariflohnerhöhungen, sondern in erster Linie die Folge des Zurückfahrens von Kurzarbeit und einer erneuten Zunahme von Überstunden. Deutlich wird das am Anstieg der Stundenzahl je Arbeitnehmer um 2,3% (in der Industrie gar um 5,9%), was im Wesentlichen das Aufholen des im Vorjahr erfolgten Rückgangs (-3,1%; Industrie -7,0%) bedeutet.

Das Lohnplus im Jahr 2010 kann zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erste Dekade des neuen Jahrhunderts für die Arbeitnehmer im Wesentlichen ein verlorenes Jahrzehnt war. Von zehn Jahren waren sieben mit Reallohnverlust verbunden. Die nominalen Nettolöhne stiegen während der gesamten zehn Jahre um insgesamt 13,9% pro Arbeitnehmer, also im Durchschnitt um knapp 1,4% pro Jahr. Und dieser Anstieg wurde durch die Preissteigerung von durchschnittlich 1,68 % (10 Jahre: 16,8 %) mehr als aufgezehrt. Per Saldo ergab sich für die Dekade ein gesamter Reallohnverlust von 2,9%. Die Beschäftigten hatten also am Ende fast drei Prozent weniger an Kaufkraft in der Tasche. (Nach Berechnungen der ILO in ihrem Global Wage Report 2010/11 sind die Reallöhne in Deutschland von 2000 bis 2009 um 4,5% gesunken).

Von wegen Konsumboom
„Privater Konsum beflügelt Konjunktur“ (SZ-Schlagzeile, 15.1.11), Ökonomen sprechen vom Phänomen des „Kaufbürgers“, die „Konsumlaune“ sei zurückgekehrt – so und ähnlich wird zur Zeit in Euphorie gemacht und eine steigende Binnennachfrage beschworen – wohl auch um den Forderungen des Auslandes zu begegnen, endlich den eigenen Verbrauch anzukurbeln.
Sieht man sich jedoch die Zahlen an, dann kann von einem Konsumrausch keine Rede sein. Um mickrige 0,5% stieg im vergangenen Jahr der reale Private Konsum. „Tragende Säulen der Konjunktur“ sehen anders aus. Und auch dieses halbe Prozent Plus kam nur zustande, weil die Arbeitslosigkeit zurückging und die Kurzarbeit weitgehend abgebaut werden konnte. Von den Löhnen selbst ging keinerlei Impuls aus, im Gegenteil: Zunehmende Niedriglöhne verringerten die Kaufkraft der Arbeiter und Angestellten.

Ausblick 2011:
Im laufenden Jahr soll alles anders werden: der Aufschwung hänge nicht mehr allein am Export, sondern werde zunehmend auch vom privaten Konsum getragen, ließ Wirtschaftsminister Brüderle in den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung schreiben. Die konkrete Zahl dazu: 2011: +1,6%. Nicht gerade berauschend. Zudem fragt man sich nach der Quelle für diesen Optimismus. Die begleitenden Zahlen führen zu anderen Schlussfolgerungen. So werden die Bruttolöhne mit einer Steigerungsrate von 2,1% je Arbeitnehmer prognostiziert. Da jedoch ab 1. Januar 2011 für die Arbeitnehmer der Beitragssatz zur Krankenversicherung um 0,6% (plus eventuelle Zusatzbeiträge) und zur Arbeitslosenversicherung um 0,1% erhöht wurden, fällt die Steigerung der Nettolöhne deutlich geringer aus als bei den Bruttolöhnen. Sie dürften sich maximal um 1,5% erhöhen. Zieht man davon die von der Regierung erwartete Preissteigerungsrate von 1,8% (Verbraucherpreisindex) ab, dann bleibt unter dem Strich ein Minus, d.h. die abhängig Beschäftigten werden wieder weniger Kaufkraft in der Lohntüte haben. Der Konsumzuwachs von 1,6% müsste dann voll auf das Konto der Selbständigen und Unternehmer gehen. Soll vom Konsum wirklich ein Anschub für die Konjunktur kommen, dann bedarf es endlich kräftiger Lohnerhöhungen. Nur so kann die Binnennachfrage in Schwung gebracht werden. Hier wäre Brüderle beim Wort zu nehmen: “Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich“, erklärte er gegenüber dem Hamburger Abendblatt (7.10.10).

ILO: Deutschland – Niedriglohn-Land

Deutschland ist neben Japan das einzige Industrieland, bei dem im vergangenen Jahrzehnt die Reallöhne sanken. Wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO in ihrem „Global Wage Report 2010/11“ feststellt, sind die preisbereinigten globalen Durchschnittslöhne von 2000 bis 2009 um knapp ein Viertel gestiegen. In Japan dagegen sind sie um 1,8% gesunken, in Deutschland gar um 4,5%. Spitze! Und die ILO schreibt dazu: „Neben den moderaten Tarifabschlüssen der vergangenen Jahre sind die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen – wie Zeitarbeit und 400-Euro-Jobs – wesentliche Gründe für das schlechte Abschneiden Deutschlands.“ (Global Wage Report, Datenblatt Deutschland, S.2/4). Unter atypischer Beschäftigung werden nach der Definition des Statistischen Bundesamtes alle abhängigen Beschäftigten verstanden, die eines oder mehrere der folgenden Kriterien aufweisen: Befristung, Teilzeitbeschäftigung mit 20 oder weniger Stunden, Zeitarbeitsverhältnis, geringfügige Beschäftigung. Die Zahl der Menschen in atypischer Beschäftigung ist in Deutschland von 5,29 Millionen im Jahr 1998 auf 7,72 Millionen im Jahr 2008 angestiegen – plus 46 Prozent – während gleichzeitig die Zahl der Normalarbeitnehmer von 23,71 Millionen (1998) auf 22,93 Millionen gesunken ist (destatis, Pressegespräch, 19.8.09). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegen die Stundenverdienste atypisch Beschäftigter um rund ein Drittel unter denen von Normalarbeitnehmern.

Wie die ILO feststellt, gehört Deutschland neben Argentinien, Spanien, Polen und Südkorea zu den Ländern, in denen der Niedriglohnbereich am schnellsten gewachsen ist. Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ), waren 2008 18,4% aller Beschäftigten oder 6,55 Millionen Personen im Niedriglohnsektor angesiedelt: knapp 13% aller Vollzeitbeschäftigten, 25% der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten, fast 40% der befristet Beschäftigten und 86% der Minijobber (nach WSI, 12/2010, Seite 638). „Bemerkenswert ist dabei nicht die gestiegene Zahl der Niedriglohnempfänger; mindestens ebenso problematisch ist nach IAQ ihr gleichzeitig gesunkenes Durchschnittseinkommen. Es findet eine Armutsintensivierung in der sich ausbreitenden Armut trotz Arbeit statt.“ (ebenda).

(Vorabdruck aus isw-wirtschaftsinfo 44 „Bilanz 2010 – Ausblick 2011“; erscheint Anfang April 2011).

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