Rosa Logar, Gewaltschutzexpertin und Frauenrechtlerin, ist u.a. Mitbegründerin des WILPF-Austria „Women´s International League for Peace and Freedom.“ Sie hat uns von ihrer Arbeit, dem Kampf gegen Gewalt und für Frieden erzählt.
Zeynep Arslan
Wer oder was ist WILPF und was ist die Bedeutung von Frauenfriedensbewegungen im 21. Jahrhundert?
WILPF wurde 1915 von über 1000 Frauen in Den Haag und mitten im ersten Weltkrieg gegründet. Frauen haben gegen den Krieg protestiert und verlangt, dass der Krieg aufhört. Dieser Krieg, der Millionen von Menschenleben gefordert hat, ist dann noch drei Jahre weitergegangen. Es gab damals auch schon andere internationale Frauenorganisationen und das vorranginge Thema der Frauenbewegungen war das Frauenwahlrecht. Durch den Krieg ist eine Nationalisierung von manchen Frauenorganisationen entstanden; d.h. es gab auch viele Frauenorganisationen, die den Krieg unterstützten. WILPF ist aus Opposition zu dieser Haltung entstanden. Diese grundsätzliche Haltung gegen Krieg war feministisch-pazifistisch und damit der Grundpfeiler von WILPF, im Gegensatz zu Frauenorganisationen, die patriotisch auf der Seite ihres Landes gekämpft haben.
Auch im 21. Jahrhundert braucht es die Friedensorganisationen von Frauen. Wir sehen, dass es immer wieder Kriege und bewaffnete Konflikte, sowie Verletzung von Menschen- und Frauenrechten gibt. Ich freue mich sehr, dass ich 1993 gemeinsam mit Mina Ahadi, die aus dem Iran flüchten musste, an der Kampagne „Frauenrechte sind Menschenrechte“ gearbeitet habe.
Siehst du Zusammenhänge zwischen den gegenwärtigen Dynamiken der Eskalation und angestiegener Gewalt in der Sprache an sich auf der einen Seite und Verdichtung des Gewaltpegels in den Gesellschaften, die sich vermehrt auch wieder gegen die Frauen richtet?
Ich sehe diese Zusammenhänge, es gibt einen Backlash für Frauenrechte und wir sehen in verschiedenen Ländern die Entwicklung, dass Rechte, die sich Frauen erkämpft haben, z.B. das Recht auf Abtreibung, wieder in Frage gestellt werden. Es sind sehr starke Tendenzen von ultrakonservativen und rechten Gruppen, die Frauen in ihre traditionellen Rollen drängen wollen, das ist eine weltweite Bewegung. Wir sehen, dass es in vielen Ländern Strukturen gibt, die ein sehr traditionelles Frauenbild unterstützen und das sind nicht nur Länder, wie die Türkei, sondern auch Länder wie z.B. Österreich. Wir haben hier Parteien, die der Meinung sind, dass Frauen am besten an den Herd zurückgehören. Das sind sehr problematische Entwicklungen, die nicht nur frauenfeindlich, sondern auch rassistisch und homophob sind und sich auch gegen Personengruppen richtet, die nicht dem heteronormativ-binären Geschlechterkonstrukt entsprechen.
Kriegsführung dient oft dem Kampf um die Vorherrschaft in der Welt und sie ist eine zutiefst patriarchale Idee. Es geht dabei um die ökonomische und politische Vorherrschaft. Patriarchale, ausbeuterische und kapitalistische Strukturen treten zusammen mit Rassismus und Imperialismus sowie Sexismus auf. Diese Strukturen schaffen Ungleichheiten, die nicht nur Frauen betreffen. Sie stellen das Menschenrecht, dass jeder Mensch, jede Frau frei und mit gleichen Rechten geboren ist, in Frage. Diese Diskurse, die die Gesellschaft spalten und zerstören, betreffen in besonderer und mehrfacher Weise Frauen, aber eben nicht nur Frauen.
Wie sind die internationalen Solidarisierungspraxen von Frauen heute und lassen sich aufgrund der Möglichkeiten des Einsatzes von Social Media eine Verstärkung/Verbesserung von Kooperationsbemühungen nachvollziehen?
Einerseits gibt es viel mehr Möglichkeiten zu kommunizieren, denn früher mussten die Frauen sich Briefe schreiben. Andererseits war die Frauensolidarität immer stark. Auch wenn Frauen früher Schwierigkeiten hatten zusammenzukommen, waren sie immer schon international verbunden. Auch türkische Frauen haben sich im 19. Jahrhundert international für Frauenrechte eingesetzt, so wie dies auch in vielen anderen Ländern der Welt der Fall war. Es ist richtig, dass nicht alle Frauen gleich sind und sie haben auch nicht gleiche Positionen. Klischees und Stereotypen, die Frauen pauschal zugeschrieben werden, stimmen also nicht. Es gibt auch Streit und viele Unterschiede in der Frauenbewegung und das ist auch wichtig, denn politische Bewegungen dürfen und können nicht „gleichgeschalten“ sein. Frauen, die in den eigenen Ländern Verachtung, Gewalt und Unterdrückung erfahren, haben oft das Gefühl, keine Heimat zu haben, ihre Heimat ist die Solidarität in der internationalen Frauenbewegung. Ich habe oft erlebt, dass diese Solidarität und diese Verbundenheit den Frauen Kraft gibt. Frauen wissen, dass es in anderen Ländern auch Frauen gibt, die so denken wie sie; sie sind füreinander da und unterstützen sich. Das ist ein sehr wichtiges Element von Frauenbewegungen, die keine ethno-kulturellen Grenzen kennen und international sind. Social Media erleichtert den Kontakt weltweit und es ist großartig, dass wir kooperieren können mit unseren Schwestern, die in Ländern sind, in die wir nicht reisen können. Social Media dient leider auch der Unterdrückung von Frauen, aber wir nützen sie um Frauen miteinander zu verbinden!
Welche Potentiale stecken aus deiner Sicht in Frauenfriedensbewegungen für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft?
WILPF arbeitet auf allen Kontinenten und wir haben auch sehr viele WILPF-Gruppen in Afrika und in der MENA Region. Die zunehmende Militarisierung der Welt ist eine Erscheinung patriarchaler Systeme. Armeen, Kriege und Waffen haben immer zur patriarchalen Herrschaft gehört. Bei der Abrüstung haben wir im vergangenen Jahrhundert Fortschritte gemacht, doch sind diese heute wieder in Gefahr. Über den Krieg reden hauptsächlich Männer und es wird so getan, als ob Frauen nichts davon verstehen würden. Allerdings verstehen Frauen sehr viel davon, sie kennen männliche Gewaltherrschaft und deren ökonomische und ökologische Zusammenhängen nur zu genau. Wir verstehen genau, was die Folgen von steigenden Militärausgaben sind. Kürzungen in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit sind die Folge wenn enorme Summen in Aufrüstung und Militär und damit in Zerstörung gesteckt werden. Die größte Bedrohung ist die Atomwaffe, die jetzt sogar als Kolonisierungsinstrument eingesetzt wird, um Angst und Schrecken zu verbreiten und Unterordnung zu erreichen. Wir Frauen sollten uns gegen diese Dynamiken, die Kriege als unvermeidbar sehen, organisieren und in den Streik gehen. Es ist enorm wichtig, dass Frauen und Feminist*innen genauer hinschauen, sich zu Wort melden und aufstehen, denn wir kennen die Mechanismen von Macht und Gewalt.