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BETREUTES WOHNEN: ZAHL DER HEIMKINDER STEIGT

 

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„Es ist eine triste Lebenswelt!“ antwortete Alex (Name geändert) auf die Frage, warum er sich für eine Heimerziehung entschied.

Mehr als 65 000 junge Menschen leben in Deutschland in Heimen, deutlich mehr als im Jahre 2010. Früher wurden Mädchen und Knaben zu Heimkindern, wenn sich die Eltern scheiden ließen oder verstarben. Es waren gesunde, aber vom Schicksal geschlagene Kinder. Wer heutzutage in einem Jugendheim untergebracht ist, ist häufig traumatisiert und psychiatrisch auffällig. 70 Prozent der Heimkinder haben einen Elternteil verloren, bei vielen konnte man Anzeichen auf Vernachlässigung aufweisen. In 26 Prozent der Fälle gab es Hinweise für psychische Misshandlung; knapp ein Viertel der Kinder zeigte Zeichen körperlicher Misshandlung und viele wurden Opfer sexueller Gewalt. Je jünger die Kinder sind, desto mehr sind sie betroffen. Jedes vierte war jünger als drei Jahre, jedes fünfte im Kindergartenalter.

Sehr auffällig ist die gegenwärtig hohe Anzahl an Jugendlichen im pubertierenden Alter. Viele leiden an Störungen des Sozialverhaltens, Depressionen, Schizophrenien, Persönlichkeits- und Aufmerksamkeitsstörungen, an Sucht und anderen psychischen Krankheiten. Viele sind wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Sachbeschädigungen oder Diebstählen mit dem Gesetz in Konflikt getreten. Es ist erschreckend, welchen Risikofaktoren die heutigen Heimkinder ausgesetzt sind.

Es ist die Lebenswelt jener jungen Menschen, die es von vornherein schwer haben: Ihre Eltern haben keinen oder nur einen schlechten Schulabschluss, sind oft arbeitslos oder leben an der Armutsgrenze – die Lebenswelt der sogenannten „Prekären“.

Ca. 80 % der Heimkinder erreichen ihre Ziele, die sie sich gemeinsam mit den Betreuern gesetzt haben. Studien haben auch ergeben, dass die psychischen Belastungen der Jugendlichen mit jedem Jahr abnehmen.

Heutzutage treten Jugendliche ins Heim ein, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind. Wie im Gesundheitswesen, so gilt auch in der Kinder- und Jugendhilfe die Maxime „ambulant und stationär“. Den Verantwortlichen in den Institutionen ist dies allerdings nicht bewusst. So scheitert ein Heimaufenthalt oft, weil psychische Störungen nicht als solche erkannt und Verhaltensprobleme nur pädagogisch, nicht aber auch psychiatrisch angegangen werden. Dass dabei die Probleme durch die mangelnde Zukunftsperspektive und hohen Arbeitslosigkeit größer statt kleiner und die Prognosen immer schlechter werden, liegt auf der Hand.

Alex lebt auch in einem Heim. Als Kind einer überforderten, psychisch labilen Mutter, Vater: unbekannt, beginnt er, wie jedes andere Kind auch, die Schule begeistert und voller Motivation. Je älter er wird, desto größer werden die Probleme. Alex ist hyperaktiv, extrem auffällig im Sozialverhalten und nach einer Zeit sogar straffällig. Zudem kommen noch die eingeschränkte Erziehungskompetenz der Mutter und die Zukunftsangst aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit hinzu. Seit Juni 2010 lebt Alex in einer betreuten Wohngemeinschaft.

 

NL:       Alex, wie war es eigentlich zuhause bei deiner Mutter?

Alex:    Ein Zuhause hatte ich bei meiner Mutter nicht. Da gab es leider nur eins: Ärger und Lärm! Meine Mutter hatte höchstens ein paar Gelegenheitsjobs, nie wirklich eine stetige Arbeit. Meinen Vater kenne ich nicht. Ihre ganzen Aggressionen bekam ich immer ab. Meine Mutter hat sich nie für mich interessiert. Sie fragte mich noch nicht einmal, wie es mir geht oder was ich mache. Ich konnte ihr nicht einmal über meine schulischen Leistungen berichten. Stolz war sie nie auf mich. Schlimmer waren aber diese ewigen Streitereien.

 

NL:       Und warum hast du nicht anderweitig Hilfe konsultiert?

Alex:    Ich habe lange versucht, es auszuhalten und zu verzeihen, da sie mir gegenüber auch handgreiflich wurde. Dann ist es plötzlich aus mir herausgebrochen. Ich wurde auffällig, bekam Probleme in der Schule; kam mit den falschen Menschen in Kontakt und hatte dementsprechend auch ein anderes Umfeld. Ich habe angefangen, mich in kriminellen Angelegenheiten einzumischen, habe Drogen genommen und gestohlen. Natürlich wurde ich immer wieder verwarnt und hatte dadurch ein langes Vorstrafenregister. Irgendwann wussten die Richter nicht mehr weiter und schickten mich in eine Jugendstrafvollzugsanstalt.

 

NL:       Wie erging es dir dort?

A:         Sie nahmen uns unsere Freiheit, aber zeigten sie uns auch ständig. Jedem Jugendlichen kam eine Standardbetreuung zu mit persönlichen Gesprächen. Daraufhin folgten die ärztliche Versorgung, die psycho-soziale Betreuung und eine Seelsorge. Klar bekamen wir harte Maßnahmen und man ging sehr streng mit uns um, aber wir bekamen Aufmerksamkeit.

 

NL:       Was hast du nach deinem Aufenthalt gemacht?

A:         Ich wollte endlich etwas verändern; eine erfolgreiche Zukunft aufbauen und habe mich beim Jugendamt gemeldet. Durch meine Vergangenheit war ich etwas geschädigt und musste etwas unternehmen. Die meisten im Jugendheim sind freiwillig hier! Nicht, weil sie unbedingt vernachlässigt wurden, sondern weil ihnen hier in Bezug auf das Kommende, der Zukunft, geholfen wird. Durch die hohe Arbeitslosigkeit wissen die jungen Menschen schon gar nicht mehr weiter. Viele haben neue Hoffnung geschöpft und fangen von vorne an. Hier sind viele untergebracht, die jegliche Ablehnungen seitens Firmen und Vertriebe bekommen haben; sich hier durch die sozialpädagogische und psychiatrische Betreuung weiterbilden. Zudem helfen die Betreuer bei der Vermittlung jeglicher Ausbildungsplätze.

Es gibt Rechte und Pflichten, die wir einhalten müssen, so wie die Hausordnung. Auch haben wir unsere wöchentlichen Sitzungen, bei denen wir unsere „Tagebuch-mäßigen“ Erklärungen abgeben müssen und werden natürlich zur Rechenschaft gezogen, falls etwas nicht so läuft, wie es im Normalfall sein sollte. Letztendlich möchten sie uns zu selbständigen Menschen erziehen.

 

Basak Yildirim

 

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