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Bundesregierung sind die Rechte türkischer Staatsangehöriger egal

Sevim Dağdelen

Keine gute Nachricht zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens: Der Bundesregierung sind die Rechte türkischer Staatsangehöriger egal. Was der Bundesregierung die Rechte türkischer Staatsangehöriger wert sind, zeigen ihre Antworten auf zahlreiche parlamentarische Anfragen meinerseits zum so genannten Assoziationsrecht, infolge des Abkommens der EWG (EU) mit der Türkei aus dem Jahre 1963, über dessen korrekte Umsetzung der Europäische Gerichtshof (EuGH) wacht. So wird ein Großteil meiner Fragen zum EU-Assoziationsrecht bezüglich der Türkei nur unzureichend oder gar nicht beantwortet. Türkische Migrantinnen und Migranten können so ihre Rechte aus Unkenntnis nicht effektiv geltend machen. Und das ist auch gewollt und ganz im Sinne der Bundesregierung, die eine Politik der Entrechtung verfolgt. Ungeachtet der Rechtsprechung des EuGH hält sie an juristisch höchst zweifelhaften Positionen fest, nur um türkischen Staatsangehörigen Rechte vorenthalten zu können, die ihnen nach dem Assoziationsrecht zustehen. Beispielsweise besteht im Zusammenhang mit dem Assoziationsrecht ein so genanntes Verschlechterungsverbot. Das Verschlechterungsverbot besagt, dass Zugangsregelungen zum deutschen Arbeitsmarkt und damit verbunden auch zu einem Aufenthaltsrecht, gegenüber dem Stand von 1980 nicht verschlechtert werden dürfen.

Die Vermutung steht im Raum, dass zahlreiche weitere Gesetzesverschärfungen der vergangenen Jahre mit dem Verschlechterungsverbot nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats im Rahmen des Abkommens (ARB 1/80) unvereinbar sind. D.h. einmal eingeführte Verbesserungen für türkische Staatsangehörige dürfen nicht wieder rückgängig gemacht werden. Keine Anwendung dürften deshalb Verschlechterungen wie etwa die Einführung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug und die Anforderung von Sprachkenntnissen des Niveaus B1 für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis, aber auch z.B. die massive Erhöhung von Gebühren für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen finden. Ein weiteres Beispiel bietet das sogenannte Soysal-Urteil des EuGH. Hierbei ging es um die Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit. Auch hier steht das Bundesinnenministerium mit den meisten seiner juristischen Auslegungen der EuGH-Rechtsprechung in der Fachwelt allein auf weiter Flur. Doch das stört die Bundesregierung nicht. Sie zwingt wie ihre Vorgängerregierungen türkische Staatsangehörige, ihre Rechte einzuklagen. Der EuGH hat in den letzten Jahrzehnten türkischen Staatsangehörigen in etwa 40 Entscheidungen zu ihrem Recht verhelfen müssen. Regelmäßig widersprach der EuGH dabei den von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Argumenten und restriktiven Auslegungen des Assoziationsrechts.

Die Beachtung verbindlichen Europarechts müsste eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit sein. Doch alle Bundesregierungen hatten mehr damit zu tun, das Aufenthaltsrecht zu verschärfen. Rechtsstaatlich geboten wäre nach meiner Auffassung aber nicht nur die Beachtung verbindlichen Europarechts. Der Linken im Bundestag geht es um mehr, nämlich um eine Entrümpelung des gesamten Aufenthaltsrechts, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen.

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