Der Prozess stand von Anfang an auf der Kippe. Eine „unsichtbare Hand“, sprich die Regierung, hatte von Anfang an versucht, den Prozess zu verhindern. Auf der anderen Seite standen die Kräfte, die den Prozess vorantreiben wollten. Beide Seiten hielten sich die Waage. Auch wenn der Prozess weitergeht, ist seine Weiterentwicklung seit gestern gestoppt.
Der hier gemeinte Prozess ist, wie sich der Leser vorstellen wird, der Friedens- und Verhandlungsprozess zwischen dem PKK-Führer Öcalan und der Regierung. Gestern erklärte die KCK-Führung, dass der Abzug von PKK-Guerillas hinter die türkische Grenze gestoppt worden sei.
Für die Beobachter kam das nicht überraschend. Denn seit langem hat die Regierung nichts Konkretes unternommen und lediglich behauptet, der Prozess gehe problemlos weiter. Die Kritik an ihrer Politik wies sie mit der Aussage zurück, der Prozess bestehe hauptsächlich aus den Schritten der Regierung. Sie ließ die Initiativen der PKK unbeachtet und war bemüht, den Prozess zum Stocken zu bringen. Die BDP und KCK hatten diese drohende Gefahr immer wieder unterstrichen. Schließlich erklärte die KCK-Führung gestern, die Regierung beharre auf den früheren Gewohnheiten und der Abzug der PKK-Truppen sei deshalb vorerst ausgesetzt.
Weiter heißt es aber auch: „Wir werden aber am Waffenstillstand festhalten.“ Somit wird betont, dass der Regierung eine Gelegenheit gegeben wird, die Weiterentwicklung des Prozesses zu ermöglichen.
Deshalb ist die Aussetzung des Abzugs von Kämpfern als eine Warnung zu verstehen, mit der man nicht das Scheitern des Prozesses beabsichtigt. Das einzige Thema, bei dem die Regierung Unterstützung des gesamten Volkes, also der Türken und der Kurden genießt, ist der „Friedensprozess“. Der Abzug bewaffneter PKK-Kämpfer ist eine der wichtigsten Säulen dieses Prozesses. Wenn der Abzug aufgrund fehlender Schritte seitens der Regierung ausgesetzt wird, wird sie rasant diese Unterstützung verlieren.
Sollte dieser Schritt der KCK-Führung trotz aller negativen Aspekte als Anlass für neue Initiativen und die Verabschiedung entsprechender erforderlicher Gesetze genommen werden, wird er etwas Positives bewirken. Er bietet also zugleich neue Möglichkeiten. Jetzt ist die Frage, ob die Regierung diese Gelegenheit beim Schopfe packt. Der Ball ist bei der Regierung und sie hat nicht die Möglichkeit, ihn ins Aus zu schießen. Sicherlich ist der Lösungsprozess nicht die einzige Frage. Das Thema Rojawa, die Syrien-Politik, die Erfüllung der Forderungen nach demokratischen Rechten, die bevorstehenden Kommunalwahlen etc. sind weitere Problemfelder, mit denen dieser Prozess eng verknüpft ist. Deshalb ist die Entscheidung der KCK-Führung nicht mit Hinweis auf die vermeintliche „Ausweglosigkeit in der Problematik“ leichtsinnig zu verspielen. Ganz im Gegenteil müssen alle, die den Frieden und die Demokratie befürworten, der Bedeutung des Prozesses gerecht werden.
Ihsan Caralan