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Die Sexvideos der MHP-Politiker und die AKP

İhsan Çaralan

Der Skandal um Sexvideos mit führenden MHP-Politikern weitet sich aus und erreicht auch den Parteivorsitzenden Devlet Bahçeli. Die Frage, was im Vorfeld der Parlamentswahlen in der türkischen Politik los ist, wird immer häufiger gestellt. Wenn man die Debatte und die Videos berücksichtigt, werden zwei Aspekte der Entwicklungen deutlich.
Der erste Aspekt ist die unmoralische Lebensführung, die über ein Dutzend MHP-Funktionäre, darunter auch mehrere Stellvertreter des Parteivorsitzenden, an den Tag legen und die zu deren Rücktritt führte. Wenn es dabei – wie in diesem Falle – um eine Partei wie die MHP geht, die auf Werte wie “türkischen Nationalismus”, “Moral”, “Tradition” etc. vermeintlich den größten Wert  legt, ist für viele lehrreich.
Der zweite Aspekt dürfte die Öffentlichkeit mehr interessieren als der erste. Und er macht zugleich den moralischen Zerfall deutlich, der nicht nur Einzelpersonen, sondern die gesamte herrschende Politik betrifft. Deshalb ist dieser Aspekt wichtiger als der erst genannte. Denn zwar bezeichnen sich die Verantwortlichen der Aufnahmen mit versteckter Kamera selbst als die “wahren Idealisten”. Aber das eigentliche Ziel ihrer Machenschaften ist nicht die Schwächung der MHP, sondern die Stärkung der AKP. Es kann nicht daran gezweifelt werden, dass die MHP mit dem Skandal unter die 10-Prozent-Hürde gedrückt und der AKP ein grandioser Wahlsieg ermöglicht werden soll. Dies bedeutet letztendlich, dass mit den Videos versucht wird, die Parteienlandschaft neu zu gestalten. Sie beabsichtigen also viel mehr als nur die Schwächung der MHP.
Unter diesen Bedingungen müßte doch die Regierungspartei schon längst die Urheber dingfest gemacht haben, um den Anschein von “gerechten” Wahlen zu wahren. Und danach könnte man die Aufnahmen als einen Auswuchs parteiinterner Querelen bei der MHP abtun. Hätten die Videos also nicht Urheber, die der AKP in die Hände spielen und weiter führende Ziele als die Schwächung der MHP verfolgen, würden sie dann auch schnell in Vergessenheit geraten.
Da aber der Ministerpräsident und seine Regierung bisher keine großen Anstrengungen unternahmen, die Urheber des Skandals aufzudecken, und eher genüßlich die Videos schauten, kann man getrost der These Glauben schenken, dass hinter dem Skandal Kreise stecken, die der Regierungspartei zum Wahlsieg verhelfen wollen.
Die Frage, wem ein solcher Skandal am meisten dient, wird ähnlich beantwortet: Der Nutznießer ist eindeutig die AKP.
Der MHP-Vorsitzende Bahçeli beschuldigt den Ministerpräsidenten Erdoğan und den Sektenführer Fetullah Gülen namentlich. Er nennt zwar in diesem Zusammenhang auch den PKK-Chef Öcalan. Dies ist aber eher rhetorisch zu verstehen. Es ist kein Geheimnis, dass die Nennung des Namens Öcalan eher auf ideologische Gründe zurückzuführen ist. Auch der Ex-Vorsitzende der CHP, Deniz Baykal, der vor einiger Zeit ebenfalls Opfer einses Sexvideos wurde, sieht die Urheber des Skandals in den Regierungskreisen.
Auch wenn die Debatte um die Identität dieser Kreise noch anhält, kann man folgendes festhalten:
1. Solange die AKP in der Regierung ist und ihre Kader Schlüsselpositionen in staatlichen Gremien wie dem Geheimdienst, Telekommunikations-überwahung etc. besetzen, werden die Hintermänner des Skandals nicht ermittelt werden.
2. AKP wird versuchen, mithilfe des Skandals die MHP unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken. Deshalb werden sie neue Sexvideos und andere skandalträchtige Dokumente veröffentlichen, wenn sie welche unter der Hand halten.
3. Die AKP versucht seit Monaten, die kurdische Frage zu instrumentalisieren und die BDP zu bekämpfen. Jetzt wird sie diese Angriffe gegen die BDP verschäfren, um Stimmen von MHP-Wählern zu bekommen.
Die AKP und ihr Chef sehen in den Parlamentswahlen am 12. Juni einen Wendepunkt. Sie hoffen darauf, dass mit dem Wahlausgang das Parlament so zusammengesetzt ist, dass ihnen Grundgesetzänderungen möglich sind. So wollen sie auch den Weg für die Änderung des parlamentarischen Systems ebnen, was ihnen zu weiteren zehn Jahren Regierung verhilft. Allerdings ist dieser Weg länger und mit mehr Hindernissen bestückt, als sie sich vorstellen können.

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