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Die symbolische Gewalt – wie Herrschaftsverhältnisse unterschwellig etabliert werden

Dogus Ali Birdal

So ziemlich jeder kennt die körperliche Gewalt und ihre Auswirkungen auf den Menschen. Doch die Wenigsten erkennen Gewalt, wenn sie nicht physisch, sondern unterschwellig oder gar symbolisch auftritt. Pierre Bourdieu, welcher zu den einflussreichsten Soziologen in der zweiten Hälfte de 20. Jahrhunderts zählt, befasste sich mit diesem Phänomen. Der Soziologe Robert Schmidt und Kultur – und Literaturwissenschaftler Volker Woltersdorff gehen in ihrem Buch „.Symbolische Gewalt – Herrschaftsanalysen nach Pierre Bourdieu“ den Ursachen und Auswirkungen der symbolischen Gewalt auf den Grund.

Pierre Bourdieu beschreibt mit seinem Konzept der symbolischen Gewalt Erscheinungsformen von Gewalt und Herrschaft, die sich tagtäglich im Verborgenen abspielen. Diese Form der Gewalt wird sowohl von denen, die sie ausüben, als auch von denen, über die sie ausgeübt wird, gar nicht als Gewalt wahrgenommen, im Gegenteil sogar als etwas Selbstverständliches und Naturgegebenes erlebt. Zentrales Element der symbolischen Gewalt sind die Unterschiede der Menschen untereinander, die verschiedene Formen annehmen können. Diese Unterschiede, ob ethnische, kulturelle, geschlechterspezifische, ökonomische und Unterschiede zwischen den sozialen Klassen nehmen die Gestalt von Herrschaftsverhältnissen an. Die Durchsetzung dieser Herrschaftsverhältnisse gelingt mithin aus zwei Gründen: Erstens, sie stützt sich auf die Anerkennung durch die Beherrschten und zweitens, die Verkennung der Willkürlichkeit der Herrschaftsordnungen, alleine durch die Kraft des Symbolischen.

Nehmen wir zur Verdeutlichung als Beispiel das Arbeiterkind, welches durch harte Arbeit und Bildung die „soziale Leiter“ zur akademischen Bildungselite hinaufklettern möchte. Nun gibt es zwischen seiner sozialen Herkunft und der Schicht, in die er eintreten möchte viele grundlegende Unterschiede. Er muss seine Sprache, seine Kleidung und sein Auftreten der von ihm angestrebten Schicht anpassen. Diese Form der Gewalt, die von ihm nicht als solche aufgefasst wird, zwingt ihn, sich von seiner sozialen Herkunft zu entfremden und löst gar eine Art „Herkunftsscham“ in ihm aus.

Diese Entfremdung von der eigenen sozialen Herkunft ist gleichzeitig auch eine Bestätigung für die Herabwürdigung der Kultur und der Lebensweise der unteren Schichten durch die Eliten. Somit trägt er mit seinem Sprung in die elitäre Gesellschaft dazu bei, dass Herrschaftsverhältnisse etabliert und beibehalten werden, erkennt somit die Herrschaftsordnung an.

Chefsessel als Thron

Doch die versteckten Mechanismen der symbolischen Gewalt sind noch weitaus vielschichtiger. Sie können räumlich auftreten, in Form von Gegenständen zum Beispiel. Ein Bürostuhl, sorgfältig bearbeitet, mit einem bequemen Sitz und platziert in der besten Etage des Hauses: Nur eines Chefs würdig. Er verdeutlicht dem, der ihn ansieht, wer auf diesem Sessel sitzen darf und viel wichtiger noch, wer nicht auf ihm sitzen darf. Übrigens ist das keine Erfindung der Moderne, denn schon Könige und Fürsten benutzten den Thron als Demonstration ihrer Macht und höheren Stellung. Sie übten Gewalt aus und zollten Ehrfurcht, einzig und allein durch den Platz an dem sie saßen. Gesellschaftlich ist dieser Gedanke, dieses Symbol des „Chef-Sessels“ jedoch schon so akzeptiert, dass es nicht mehr als Gewalt wahrgenommen wird, obwohl jeder Angestellte, der für ein Gespräch in das Büro seines Chefs geladen wird, dieser Gewalt unterliegt. Die symbolische Herrschaft ist jedoch viel leichter durchzusetzen, wenn sie nicht auf Missbilligung stößt, im besten Fall sogar auf Anerkennung stößt.

„Chef“ statt „Chefin“

Auch die Sprache ist ein Mittel zur Ausübung symbolischer Gewalt. Bewusst habe ich zuvor das Wort „Chef“ und nicht „Chefin“ verwendet. Wenn man einmal die Häufigkeit der männlichen und der weiblichen Form des Wortes Chef in der Sprache unserer Gesellschaft vergleicht, wird man auch erkennen warum. Der Begriff des Chefs, der eine hohe gesellschaftliche Stellung suggeriert, taucht so selten in der weiblichen Form auf, dass man automatisch einen Mann mit dieser Position assoziiert. Ob in Geschichten, Werbungen oder Serien, nur selten stößt man auf eine Frau in der Chefposition. Doch auch gesellschaftlich noch nicht etablierte Wörter zur Ausübung symbolischer Gewalt können durch Hoheitsträger legitimiert werden. Bestes Beispiel hierfür ist die Kölner Polizei, welche in der Silvesternacht 2016 twitterte: „Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris (= Nordafrikanische Intensivtäter) überprüft.“ Durch zweierlei Arten übte die Polizei symbolische Gewalt aus. Durch diese öffentliche Kundgabe und Diffamierung half sie der Festigung von Vorurteilen und dem Rassismus gegenüber Nordafrikanern und legitimierte zugleich das Wort „Nafri“ in der Gesellschaft. Wenn schon die Polizei abfällig über bestimmte Ethnien reden darf, dann kann das jeder ohne weitere Bedenken.

Staat und symbolische Gewalt

Laut Robert Schmidt kommt insbesondere dem Staat in der modernen demokratischen Gesellschaft die entscheidende Rolle zu. „Der Staat beansprucht das Monopol des legitimen Gebrauchs symbolischer Gewalt für sich und übt eine wirklichkeitserzeugende symbolische Macht aus“, indem er Personalausweise, Pässe, Flüchtlingsausweise verleiht und schulische, universitäre Titel oder die Ehe anerkennt. Er nimmt quasi willkürliche Unterscheidungen der Menschen vor und schafft soziale Identitäten, betitelt jemanden als „verheiratet“, „Flüchtling“, „Akademiker“ usw.

Diese Unterscheidungen werden durch die staatliche Hoheitsgewalt legitimiert und als naturgegeben und selbstverständlich anerkannt, obwohl sie willkürliche Setzungen von Identitäten sind.

Doch wie soll man sich nun gegen diese Art der symbolischen Gewalt wehren? Pierre Bourdieu formuliert den Lösungsansatz in der Bewusstwerdung der symbolischen Gewalt und der „Gegendressur“, d.h. das kollektive Verlernen von Verhaltensweisen und Handlungsmustern, auf die sich die Wirkung symbolischer Gewalt gründet.

Abgesehen davon, dass die Umsetzung so einer „symbolischen Revolution“ unmöglich erscheint, verkennt dieser Lösungsweg die Widersprüche in der modernen Gesellschaft und die ökonomischen und politischen Verhältnisse zwischen Herrschern und Beherrschten, ohne deren Beseitigung die Gewaltausübung, ob sie nun physisch oder symbolisch stattfindet, kein Ende finden wird.

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