Vor und nach der Wahl des türkischen Präsidenten Anfang August fiel die Diskussion über die im Ausland lebenden türkischen Wahlberechtigten stark auf. Zum ersten Mal durften die in Ausland lebende türkische Staatsbürger nicht nur am Zoll/Grenzübergang, sondern auch in dem Land in dem sie leben, wählen. Speziell dafür wurden Wahlurnen aufgestellt. Deshalb war man sehr gespannt, wie die Wahlbeteiligung ausfallen und wer die Stimmen bekommen würde.
Die unklaren Aussagen zu den Stimmen und den Wahlergebnissen nach den Wahlen zeigen jedoch, dass die Rechnung der Regierung in hohem Maße nicht aufgegangen ist. Demnach haben sich von den 2,78 Millionen im Ausland lebenden Wahlberechtigten nur 530116 an den Wahlen beteiligt. Das entspricht nur 19 Prozent. Von diesen haben aber lediglich 232 852 ihre Stimme in dem Land, in dem sie leben, abgegeben. Die erstmalige Durchführung der Stimmabgaben im Ausland hat nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Somit ist die Wahlbeteiligung in den jeweiligen Ländern allgemein unter zehn Prozent geblieben. Bezogen auf Deutschland haben nur 8,1 Prozent der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger gewählt. Davon fielen ca. 62,53 Prozent auf Erdogan, 29,19 Prozent auf Ekmeleddin Ihsanoglu und 8,27 Prozent auf Selahattin Demirtas. Somit hat Erdogan aus dem Ausland prozentual mehr Stimmen, als in der Türkei.
Warum so geringe Beteiligung?
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb ein großer Teil der in Deutschland und Europa lebenden Wahlberechtigten dieser taktisch wichtigen Präsidentenwahl fernblieben. Neben bürokratischen Hindernissen zur Wahlzulassung, der Sommerferienzeit und den 7 ausgewählten Orten für die Urnen kann man sicherlich als den wichtigsten Grund folgendes Aufzählen: Desinteresse an der türkischen Politik. Das wiederum hat zwei Aspekte. Der erste Aspekt: Wie in der Türkei auch, blieben viele CHP-MHP-Anhänger der Wahl fern, weil sie dem gemeinsamen Kandidaten Ihsanoglu nicht trauen.
Der zweite und wichtigere Aspekt ist sicherlich, dass ein großer Teil der türkischen Migranten, vor allem die Jugendlichen, die in Europa und an erste Stelle in Deutschland leben, ein begrenztes Interesse an den Wahlen in der Türkei und der Politik haben und es eher als störend empfanden, dass die Wahlen nach Europa getragen wurden. In einem Land ein Wahlrecht zu haben in dem man nicht lebt, wird für das eigene Leben keine neuen Wege öffnen, noch mehr, mit dem Gang zur Wahlurne wird sich für die Migranten selbst nichts ändern, aus dieser Sicht heraus sind viele nicht zur Wahlurne gegangen und dies hat das Ausmaß der Wahlbeteiligung beeinflusst. Man kann sagen, dass diese Neigung in Zukunft weiterhin Bestand haben wird. Auch wenn sich die Zahl der Stimmen durch die Wahlmöglichkeit am Zoll/Grenzübergang erhöht hat, wurde die erwartete Beteiligung im Land nicht erreicht.
SCHON JETZT DIE VORBERETUNG FÜR 2015
Wenn man sich die Erklärungen gleich nach dem 10. August anschaut, sieht es so aus, dass die Regierenden in der Türkei sich bemühen werden, das Interesse und die Wahlbeteiligung zu erhöhen, statt auf die Stimmen aus dem Ausland zu verzichten. Z.B. ist die Rede davon, dass im kommenden Jahr im Juni für die angesetzten allgemeinen Wahlen bei allen Konsulaten ohne Termin gewählt werden könne. Die Abgabefrist legt die Wahlbehörde fest. Aus diesem Grund sieht es so aus, dass die am 10. August begonnenen Wahlkampagnen in der Türkei nach Europa getragen werden und im Laufe des kommenden Jahres sich noch steigern werden.
Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, mit den Arbeits- und Demokratiekräften in der Türkei eine starke Solidarität zu organisieren, den Einfluss der Parteien des Systems auf die türkischen Migranten zu unterbinden und es ist wichtiger, sich zu bemühen, dass die Migranten in den Ländern in den sie leben mehr soziales und politisches Interesse entwickeln.
Yücel Özdemir
Das Bild der Abstimmung am Zoll/Grenzübergang der letzten 12 Jahre
Seit Jahren geben die türkeistämmigen Migranten, die im Ausland leben, ihre Stimmen am Zoll/Grenzübergang ab. Doch bei der Wahl des Präsidenten am 10. August war die Wahlbeteiligung höher als zuvor.
Bei den allgemeinen Wahlen am 12. Juni 2011 gaben am Zoll/Grenzübergang 121 989 ihre Stimme ab, bei dieser Wahl waren es 297 263 Stimmen.
Die allgemeinen Wahlen im Jahr 2007 waren zur Urlaubszeit und deshalb lag die erreichte Zahl der Wahlbeteiligung bei 228 000.
Wenn man sich vor Augen hält, dass bei den Wahlen 2002,114 035 ihre Stimme abgegeben haben, dass also außerhalb der Ferienzeit etwas mehr als 100 000 Stimmen abgeben wurden, kann also während der Ferienzeit diese Zahl bis zu über 200 000 steigen.
Bei den allgemeinen Wahlen 2011 ist die AKP am Zoll/Grenzübergang die Gewinnerpartei geworden. Mit den gültigen Stimmen hat die AKP 61 Prozent, die CHP 26 Prozent und die MHP 8 Prozent erhalten. Die AKP hat bei den Wahlen 2007 am Zoll/Grenzübergang 56,75 Prozent der Stimmen erhalten und 2002, 32,9 Prozent erhalten.
Wenn man die Stimmen der letzten drei Wahlen addiert, zeigt sich, daß innerhalb der letzten 9 Jahre die Unterstützung der AKP von den im Ausland lebenden türkischen Migranten sich verdoppelt hat.
Von den Wahlen 2002 abgesehen ist das Ausmaß der Stimmen 2007 und 2011 um 10 Prozent höher, als die der abgegebenen Stimmen in der Türkei.