Written by 12:00 HABERLER

Diese Musik wurde nicht abgebildet in den Hitparaden, sie war unsichtbar

„Liebe, D-Mark und Tod“ (Aşk, Mark ve Ölüm) heißt der Dokumentarfilm von Cem Kaya, der die Geschichte der Musik der sogenannten türkeistämmigen „Gastarbeiter:innen“ bis zur heutigen Zeit behandelt. Wir haben mit dem Regisseur gesprochen.

Wie kam dein neuer Dokumentarfilm zustande? 

Das Thema Musik von türkeistämmigen Migrant:innen und ihren Nachkommen in Deutschland war seit der Publikation der Musikcompilation „Songs of Gastarbeiter“ bereits bekannt. Bülent Kullukcu und Imran Ayata, die Herausgeber, haben Pionierarbeit geleistet. Ich hatte bereits begonnen den Film zu schreiben, als mich Mehmet Akif Büyükatalay anrief, einer der Autoren und Koproduzenten des Films. Er und sein Produzent Claus Reichel hatten die gleiche Idee für diesen Film und haben mich als Regisseur angefragt. Dann haben wir mit Ufuk Cam, unserem Ko-Autor und Archive Producer, gesprochen, der auch die selbe Idee hatte. Und so haben wir unsere Kräfte gebündelt und diesen Film verwirklicht.

Wir hatten letztes Jahr 60 Jahre Migration aus der Türkei. „Acı vatan Almanya“ (die schmerzhafte Heimat) ist zur Heimat geworden. Wie hat die türkische Musik diesen Wandel durchgemacht?

Für Migrant:nnen aus der Türkei war Musik immer sehr bedeutend als Heimatanker und Trost in der Fremde. In den sechziger Jahren begannen die ersten Aşıks (Volkssänger) Lieder über Deutschland zu singen. Sie kommentierten die Zustände hier, ihre Wohn- und Arbeitsbedingungen und die Interaktion mit den Deutschen. Manche dieser Sänger und Sängerinnen wurden sehr berühmt, wie zum Beispiel Yüksel Özkasap, die Nachtigall von Köln. Gleichzeitig begannen die ersten türkischen Musiklabels Platten zu veröffentlichen in Deutschland und legten den Grundstein für ein florierendes Musik-Business. Sie importierten Musik aus der Türkei, aber produzierten auch türkeistämmige Künstler und Künstlerinnen in Deutschland. Über die Jahre hinweg entwickelte sich eine eigenständige Musik-Kultur. In den siebziger Jahren, vor allem nach dem Anwerbestopp 1973, als über den Familienzuzug Deutschland tatsächlich zu einem Einwanderungsland wurde, brauchte es Musiker und Musikerinnen für Festlichkeiten, wie Beschneidungen und Hochzeiten, aber auch für Gazinos, die türkischen Musikrestaurants. So entstand hier eine große Szene von Amateurmusiker:innen, die später zu Profis wurden.

In den achtziger Jahren dann wurde Hip-Hop zur bestimmenden Musik der zweiten und dritten Generation. Sie brauchten eine andere Ausdrucksmöglichkeit, als ihre Eltern, die noch Arabesk Musik hörten. Die Anfänge waren schwer, da die großen deutschen Labels in den 90er Jahren deutsche Hip-Hop Bands bevorzugten. Doch seit den Zweitausender Jahren haben viele Künstler:innen mit Migrationsgeschichte die deutsche Hip-Hop und Pop Szene mit geprägt.

In deinem Film bestätigt sich wieder das Zitat „Wir haben Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“. Welchen Beitrag haben die Musik und die Kultur zum Zusammenleben hier geleistet? 

Das Zitat ist von einem Lied von Cem Karaca, der in Deutschland im politischen Exil lebte. Er gründete hier eine Band namens „Die Kanaken“ und nahm ein Album ganz auf Deutsch auf. Darin singt er über die Nöte und Sorgen der Gastarbeiter:innen hier in Deutschland. Dennoch ist die türkeistämmige Musik kaum durchgedrungen in den deutschen Mainstream. Deswegen hat sie auch nicht diese Brückenfunktion erfüllen können, um die Kulturen näher zu bringen. Es gab immer wieder Fusion Bands, sie hatten aber keine Reichweite. Der Grund dafür war die weitgehende Ignoranz der Medien der Musik gegenüber. Sie wurde nicht in den Radios gespielt, die Künstler und Künstlerinnen wurden selten zu Fernsehshows eingeladen.

Musik und Widerstand nehmen eine Rolle in deinem Film ein. Junge Gastarbeiter-Kinder fangen an zu rappen, um sich Gehör zu verschaffen. Was waren die Wendepunkte im Leben dieser Jugendlichen? 

Die zweite Generation, also die Gastarbeiter Kinder hatte es sehr schwer, weil viele später im Kindesalter nach Deutschland gekommen sind und sich an eine neue Umgebung anpassen mussten. Sie hatten nicht die gleichen Chancen, wie die deutschen Kids, da die Eltern immer arbeiten mussten und sich um sie nicht kümmern konnten. Sie mussten früh erwachsen werden. Sie waren meist Schüsselkinder, sie schmissen den Haushalt und fungierten als Übersetzer ihrer Eltern. Meistens bekamen sie keine gute Ausbildung. Man kann auch sagen, dass ihnen die Zukunft systematisch verbaut wurde. Die Frustration war groß und brauchte eine Artikulation. Als in den achtziger Jahren die rassistischen Anschläge begannen, fanden sie in Hip-Hop den eigenen Ausdruck für ihre Frustration und ihre Wut. Die migrantischen Kids, beziehungsweise die Kids aus der Arbeiterklasse identifizierten sich sofort mit dieser Musik aus den USA und begonnen ihre eigene Version zu kreieren.

Es wird vom fließenden Geld und Champusflaschen gesprochen. Was war der Preis für so ein Leben einiger, die im türkischen Bazar Zeit verbringen konnten?

In den achtziger Jahren, zur Zeit der D-Mark, konnte sich eine Familie, wenn beide Elternteile gearbeitet haben, alle zwei Wochen einen Besuch in einem Musik Restaurant leisten. Das war durchaus erschwinglich auch mit Trinkgeldern.

Was hat die Dreiteilung des Films zu bedeuten?

Der Film ist benannt nach einem Gedicht von Aras Ören, das von der Gruppe Ideal vertont wurde. Anette Humpe, die Sängerin von Ideal, hatte Aras Ören um den Liedtext gebeten und sie haben es dann 1982 in phonetischem Türkisch aufgenommen. Wir kannten das Lied, es beschreibt die Quintessenz unseres Films. Wir haben dann um Erlaubnis gefragt, den Titel des Gedichtes im Film benutzen zu dürfen. Die Dreiteilung steht für drei Generationen und ihre Musik.

Wie hat sich dein Blick auf die Musik Branche geändert?

Ich fand es erstaunlich, dass es parallel zur deutschen Musikbranche eine migrantische gab, die über die Jahre hinweg Millionen von Tonträgern absetzte. Mit eigenen Stars, eigenen Hits und eigener Infrastruktur. Diese Musik wurde nicht abgebildet in den Hitparaden, sie war unsichtbar. Noch erstaunlicher finde ich es, dass es 60 Jahre gebraucht hat, um diese Geschichte zu erzählen.

 

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