Written by 10:55 DEUTSCH

„Diese Welt wird immer ungerechter und kriegerischer“

Im Gespräch mit Alev Özlem Demirel, EU Parlamentsabgeordnete der Linken, zur bevorstehenden EU Asylrechtsreform.

DILAN BARAN / HAMBURG

Am vergangenen Donnerstag hat der europäische Innenrat eine neue Asylrechtsreform beschlossen. Zunächst erst mal, wer sitzt in diesem Rat? Welche Mehrheit braucht es für so einen Beschluss und was passiert jetzt mit dieser Entscheidung?
Ich war verwundert, dass deutsche Medien schrieben, der Asylkompromiss stünde jetzt fest. Es ist so, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten im Europäischen Rat auf eine Position zum Kommissionsentwurf geeinigt haben. Zuvor hatte das Europäische Parlament eine eigene Position dazu beschlossen. Jetzt werden in einem nächsten Schritt Parlament, Rat und Kommission darüber verhandeln, wie die neue Asylpolitik der EU aussehen soll. Für mich steht bereits jetzt fest, dass das, was ist und was ja im Übrigen auch schon im Vorschlag der Europäischen Kommission enthalten war, inakzeptabel ist und auch keine wirkliche Antwort weder auf die Herausforderungen, noch auf die bereits bestehenden inakzeptablen Verwerfungen an den EU-Außengrenzen und bestehenden Lagern wie Moria sein kann. Es sind weltweit Millionen Menschen auf der Flucht. Sie sind auch auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten, vor einer Wirtschaftspolitik der großen Industriestaaten und auch vor den Konsequenzen der EU-Politik als drittgrößter Wirtschaftsmacht. Solange dies so ist, werden Menschen fliehen, und statt etwas an ihrer eigenen Politik hier zu ändern, will man mit diesen Änderungen das Leid verschärfen, will die EU sich weiter abschotten und das hart erkämpfte elementare Menschenrecht auf Asyl quasi abschaffen.
Zur Erinnerung, dieses Recht ist eine Lehre aus dem II. Weltkrieg. Und aktuell ist es leider auch so, dass Militarismus um sich greift und die Kriegsgefahren bis hin zum Weltkrieg steigen.

ProAsyl stellt die Reform mit einer faktischen Abschaffung des Asylrechts gleich. Was ist da dran?
Grundsätzlich ist das Asylrecht ein individuelles Recht für jeden Menschen. Kommt man in einem EU-Mitgliedsstaat an, kann man einen Asylantrag stellen, der dann mit der gebotenen Sorgfalt geprüft werden muss und gegen dessen Ablehnung der Rechtsweg offensteht. Mit den vorgeschlagenen Schnellverfahren, den Internierungslagern an den EU-Außengrenzen und der entsprechenden Kooperation mit Drittstaaten will man jetzt aber Menschen schnell abfertigen können. Man will eben verhindern, dass Menschen, deren Asylantrag angeblich „geringe Aussichten auf Erfolg“ hat, in ihren Zielländern ankommen und dort ein ordentlich geführtes Asylverfahren bekommen. Das bedeutet für diese Menschen de facto die Abschaffung des individuellen Asylrechts. Das lehnen wir ab.
Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass Probleme so nicht gelöst werden können. Die Zustände in Lagern wie Moria sind jetzt schon unerträglich, die Antwort darauf kann aber doch keine weitere Abschottung sein.
Das Mittelmeer ist zudem ein Massengrab geworden. Und die EU militarisiert schon seit Jahren ihre Außengrenzen, um Menschen abzuschrecken und überhaupt nicht ankommen zu lassen. Man arbeitet mit Autokratien wie dem Erdogan Regime zusammen, um Menschen aus der EU rauszuhalten oder baut Küstenwachen, die aus Milizen bestehen, wie in Libyen auf. Daran muss sich etwas ändern, aber was hier vorgeschlagen wird, ist eine Verschlechterung, ein Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte, die hart erkämpft wurden. Es verstetigt das falsche System. Und man soll nicht glauben, dass es nicht auch morgen uns treffen kann, wenn heute die Menschenrechte von Geflüchteten in dieser Weise angegriffen werden.

Die Verschärfung des Asylrechts und die Abfertigung an den Außengrenzen der EU haben bisher die rechten Parteien der EU-Mitgliedstaaten gefordert. Wie begründen SPD und Grüne ihre Zustimmung zu dieser Entscheidung?

Was sie uns sagen, ist, dass es eine Einigung, ein gemeinsames europäisches System brauche, um die EU zusammenzuhalten. Faktisch sagen sie damit aber: Wer die EU zusammenhalten möchte, der muss Grund- und Freiheitsrechte angreifen. Das ist völlig inakzeptabel und zeigt auf, wie reaktionär sich die Politik der EU gestaltet. Es sind nicht nur die rechten Kräfte, die für Abschottung stehen. Faktisch gab es schon bisher mit Dublin ein System, in dem Deutschland und andere Nicht-Mittelmeer-Staaten quasi keine Verantwortung für Menschen auf der Flucht übernehmen mussten und nur freiwillig konnten. Sie wissen, und das ist doch der Kern der Debatte, dass eine Welt, in der sie selber sich an immer mehr robusten Auseinandersetzungen um den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten beteiligen, in der sie eine Klimakatastrophe antreiben, die die natürlichen Lebensgrundlagen untergräbt, natürlich eine Welt ist, die immer mehr Menschen zur Flucht zwingt. Hier wollen sie schon heute vorbeugen. Das ist für uns Linke inakzeptabel. Unsere Antwort kann darauf nur hier und weltweit lauten, gemeinsam gegen diese ungerechte Politik und Weltwirtschaftsordnung aufzustehen und uns zu organisieren, Fluchtursachen zu bekämpfen und dabei Menschen in Not immer die Hand zu reichen. Klar und deutlich stellen wir uns Ressentiments und Rassismus in den Weg und wehren alle Angriffe auf erkämpfte Menschenrechte ab.

Welche ökonomischen und politischen Bedingungen haben zu dieser Reform geführt und welche Rechtsentwicklungen werden sie noch mit sich bringen?

Wenn die Politik sich rechter Methoden bedient, dann führt das nicht dazu, dass die Rechten geschwächt werden – ganz im Gegenteil. Das hat uns unsere Geschichte gezeigt, das zeigt auch unsere Gegenwart. Das eigentliche Problem besteht darin, dass die politische Entwicklung dahin deutet, dass diese Welt immer ungerechter und kriegerischer wird. Die internationalen Verwerfungen wachsen weiter und die EU will darauf mit noch mehr Abschottung reagieren. In dieser Situation müssen wir die Menschen- und Freiheitsrechte verteidigen. Wir müssen auf die Straße gehen, wenn die EU immer weiter zu Fluchtursachen beiträgt. Wir brauchen ein solidarisches Migrationssystem, auch in der EU, in dem Grenzstaaten wie Griechenland, Italien oder Spanien mit ihren Problemen nicht im Stich gelassen werden. Alle müssen hier ihren Teil der Verantwortung tragen. Und ganz grundsätzlich müssen wir weiter für eine Welt kämpfen, in der kein Mensch gezwungen ist zu fliehen, in der aber alle Menschen sich frei bewegen können.
Klar ist auch, dass Integrationsmaßnahmen von der ersten Minute an beginnen müssen und eine brachliegende Infrastruktur in der EU selber von Rechtspopulisten demagogisch ausgeschlachtet wird um neu ankommende Menschen und Alteingesessene gegeneinander auszuspielen. Konkret brauchen wir beispielsweise bezahlbaren Wohnraum für alle, starke Gewerkschaften, die nicht zulassen, dass Menschen in Not für Lohndumping missbraucht werden können und ein gut ausgestattetes Bildungssystem, das den Herausforderungen gewachsen ist.

Was muss passieren, damit die Reform nicht umgesetzt wird?
Jetzt geht es erst mal in die Verhandlungen des Rates mit dem Parlament. Anders als manche Grüne und Sozialdemokraten behaupten, waren die Vorschläge dort aber auch nicht sehr weit entfernt von der Position des Rates. Es wird in den nächsten Monaten aber mehr Druck brauchen um hier eine Veränderung zu erreichen. Entscheidend wird sein, dass es zu Protesten kommt, immer in dem Bewusstsein, dass dieser Angriff die Schwächsten und Verwundbarsten in der Gesellschaft trifft, müssen wir versuchen die breite der Bevölkerung gegen die auf dem Tisch liegenden Vorschläge zu organisieren. Auch im Bewusstsein, dass ebenso in anderen Bereichen die Abschaffung individueller Rechte droht. Es ist das Gebot der Stunde gegen diese Asylrechtsverschärfung auf die Straße zu gehen, der Druck von links gerade auf Grüne und Sozialdemokraten ist grade jetzt besonders wichtig.

Close