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„Distanz und klare Kante gegen Erdogans Lobbyorganisationen in Deutschland“

Sevim Dagdelen ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag. Wir sprachen mit ihr über die Türkeipolitik der Bundesregierung und ihre Kritik daran.

In ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage räumt die Bundesregierung ein, die türkische Regierung habe „vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme (…) auf die hier lebende türkeistämmige Bevölkerung“ mithilfe von „in Deutschland tätigen Verbänden“. Welcher Institutionen bzw. Verbände bedient sie sich dabei?

Abhörprotokolle und Observationsberichte belegen, wie unter den Augen der deutschen Sicherheitsbehörden Präsident Erdogan ein Netzwerk bestehend aus türkischem Nachrichtendienst MIT, der Lobbygruppe „Union der europäisch-türkischen Demokraten“ UETD, der Moscheevereinigung DITIB, aus Islamisten, rechtsextremistischen Grauen Wölfen sowie den „Osmanen Germania“-Rockern aufbauen konnte.

Welche Gründe machen Ihrer Ansicht nach die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland empfänglich für deren Botschaften?

Seit Jahren werden auf Integrationsgipfeln und Islamkonferenzen von der Bundesregierung ausgerechnet reaktionäre islamistische Kräfte hofiert. Statt säkulare Kräfte und liberale Muslime zu stärken, werden lieber der von der türkischen Regierung gesteuerte Moscheeverband DITIB oder Organisationen wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs unterstützt. Hinzu kommt eine Politik, die Ausgrenzung und Armut produziert. Integration wird sichergestellt durch gute Bildung, gute Arbeit, von der man leben kann und die Stärkung des Miteinanders. Notwendig ist eine soziale Offensive für alle. Doch genau das Gegenteil passiert.

Was unternimmt die Bundesregierung, um hier gegenzusteuern? Was müsste hier Ihrer Ansicht nach gamacht werden?

Das Wenigste ist der sofortige und umfassende Stopp der Rüstungsexporte. An den Despoten Erdogan darf keine Pistole und kein Panzerrohr mehr gehen. Die Bundesregierung muss sich in der EU endlich für die Beendigung der Beitrittsgespräche stark machen. Nur so können auch die jährlich 630 Millionen Euro umfassenden sogenannten „Vorbeitrittshilfen“ eingefroren werden. Diese Gelder stärken das Erdogan-Regime, nicht die Opposition in der Türkei. Notwendig sind aber auch innenpolitische Konsequenzen: Die von Ankara aus gesteuerte Moscheevereinigung DITIB darf als Außenstelle Erdogans nicht weiter mit deutschen Steuergeldern gefördert werden und nicht länger Kooperationspartner sein. Das gilt auch für andere Organisationen wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs.

Wie erklären Sie die Diskrepanz zwischen der jüngsten Erkenntnis der Bundesregierung und der Passivität, die Sie ihr vorwerfen?

Die Bundesregierung hält an dem engen Bündnis mit der Türkei fest. Geostrategische, aber auch wirtschaftliche Interessen spielen da eine wesentliche Rolle. Denken Sie nur an das Panzergeschäft von Rheinmetall mit dem Erdogan-Regime. Der Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Präsidenten hat die Bundesregierung erpressbar gemacht und einen Kuschelkurs gegenüber dem Erdogan-Netzwerk fahren lassen. Erdogans unheilvolle Allianz aus Agenten, Spitzeln, Internettrollen und DITIB-Imamen ist eine ernste Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland. Es ist ein Skandal, dass Teile des Netzwerks wie DITIB auch noch mit öffentlichen Geldern unterstützt werden.

Worin liegt Ihrer Ansicht nach die größte Gefahr angesichts des wachsenden Einflusses des Erdogan-Netzwerks in Deutschland?

Es liegt auf der Hand, dass sich die Bedrohungslage für all jene verschärft, die in Deutschland Zuflucht vor Erdogans islamistischem Autokraten-Staat suchen. Letztlich verschlechtert sich die öffentliche Sicherheit aller. Denn die „Osmanen Germania“ sind ja nicht nur fünfte Kolonne Erdogans. Die Schlägergruppe ist in schweren Menschenhandel, Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Zuhälterei verwickelt.

Werden Migrantenselbstorganisationen oder Parteien bzw. Organisationen wie z.B. Gewerkschaften ihrer Rolle gerecht, die sie gegen die Einflussnahme spielen könnten?

Ich beobachte in Teilen eine falsche Toleranz gegenüber islamistischen Organisationen, wie zum Beispiel gegenüber den Muslimbrüdern. Dabei sind diese reaktionär und antiemanzipatorisch, sie können mithin keine Bündnispartner für fortschrittliche Kräfte sein. Islamistische Organisationen stehen rechts. Unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit machen sie ihre frauenfeindliche, reaktionäre, antidemokratische und antisozialistische Politik. Linke Organisationen müssen diese Politik bekämpfen und aufklärerisch gegen diejenigen wirken, die im Namen der Religion die Unterdrückung der Arbeiterklasse verstärken. Aktuell etwa ist zu beobachten, wie Erdogan und sein Netzwerk erfolgreich zu antiisraelisch getarnten, aber vom Wesen her antisemitischen Hassprotesten anstiften. Erdogan, der islamistische Terrororganisationen in der Region fördert und Minderheiten unterdrückt, versucht als angeblicher Schutzpatron der Palästinenser von seiner korrupten und antidemokratischen Politik abzulenken. Mit antisemitischen Klischees versucht Erdogan gezielt türkeistämmige Menschen und Muslime in Deutschland aufzuwiegeln. So wird häufig über antisemitische Hetze in DITIB-Gemeinden geklagt, die vom türkischen Staat finanziert und gesteuert werden und mit denen viele Organisationen bis heute eng zusammenarbeiten. Das ist fatal. Hier ist Distanz und klare Kante angesagt – und Druck auf die Bundesregierung. Außenpolitisch brauchen wir eine tatsächliche Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik, innenpolitisch geht es um die Zerschlagung des Erdogan-Netzwerkes. Ein Verbot der „Osmanen-Germania“ ist zwingend, ein Ende der Kooperation mit DITIB überfällig.

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