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Ein Parteipanorama und der Schluss-Effekt

Dirimsu Derventli

Am 14. Mai wurde in Nordrhein-Westfalen die alte Regierung eindeutig abgewählt. Niederschmetternde Ergebnisse für Rot-Grün. Vor allem war es die SPD, die zehntausende Stimmen an die CDU verlor und selbst Gottkanzler Martin Schulz konnte die SPD davor nicht bewahren. Eine klare Niederlage für Hannelore Kraft (SPD), ehemalige Landesmutter, die nach dem Wahlergebnis nicht nur von dem Landesvorsitz zurücktrat, sondern auch als stellvertretende Bundesvorsitzende ihrem Amt entwich. Ungeniert und feige, denn schließlich stellte sie sich mit dem Wahlmotto „NRWIR“ in den Vordergrund. Heute ist nicht mehr als ein „NRIHR“ davon übrig.

Ex-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) verabschiedete sich einige Tage nach den Wahlen in das politische Jenseits. Nachdem sich auch die Grünen mit einem deutlich Stimmenverlust abspeisen mussten, trat Löhrmann erst als Vorsitzende zurück, später gab sie ihr Mandat auf und machte bekannt, sich von der Politik endgültig zurückzuziehen. In NRW wird anscheinend mit Niederlagen und Verlusten ganz nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ umgegangen.

Die CDU hingegen hatte Grund zur Freunde

Die Christdemokraten konnten unter der Führung Armin Laschets nicht nur als stärkste Partei ins Landesparlament ziehen, sondern gewannen etwa eine halbe Millionen Nichtwählerstimmen und konnten auch einige Stimmen von den Sozialdemokraten einheimsen. Diesen Erfolg verdanken sie vor allem der Kürzungspolitik und der erfolglosen Sicherheitspolitik der alten Regierung. Nach der Silvesternacht in Köln verspricht die CDU „Nie wieder rot-grün!“. Laschets mühsam freundlich dreinblickendes Gesicht bringt zukünftige Massenabschiebungen nach vermeintlich sicheren Herkunftsländern mit sich. Aber vielleicht gibt es ja einen passenden freundlichen Händedruck auf dem Weg zum Flughafen.

Mit der CDU freute sich auch die FDP, da sie nicht nur an Stimmen zulegen konnten, sondern es jetzt für eine schwarz-gelbe Regierungskoalition ganz knapp reichen würde. Fraglich ist, inwiefern Spitzenkandidat Christian Lindner seinem Amt nachgehen kann. Denn: Lindner fährt zweigleisig. Er ist nicht nur Spitzenkandidat des Landes, sondern steht auch an erster Stelle für die Bundestagswahlen. Das gab er schon vor der Wahl bekannt. Die Freidemokraten waren zuletzt 2013 im Bundestag.

Linke verpassen knapp den Einzug

Die Koalitionsmöglichkeit hat die FDP übrigens der Linken zu verdanken. Trotz eines starken Wahlkampfes und der Verdopplung der Stimmergebnisse seit den letzten Landtagswahlen, schaffte die Linke den ersehnten Einzug ins Landesparlament wieder nicht. Özlem Alev Demirel, Landessprecherin der Linken, ist auch nach dem Wahlergebnis unerschöpflich und sieht Hoffnung für die Bundestagswahlen. Mitunter ist es übrigens ihrem Engagement zu verdanken, warum die Linke überhaupt ihr Ergebnis verdoppeln konnte.

Alle Parteien gaben bereits vor den Wahlen bekannt, mit der AfD nicht koalieren zu wollen. Aber Fakt ist, dass sie mit einem Wahlergebnis von 7,4 Prozent unmissverständlich in der Bevölkerung punkten konnte. Was für die AfD nach eigenen Angaben ein schwaches Ergebnis sei, ist für demokratische Kräfte klare Sache: Auch in Nordrhein-Westfalen findet rechtes Gedankengut immer mehr Anklang. Insbesondere Arbeiter und Arbeitslose brachten den Rechtspopulisten eine Menge Stimmen ein, sie gehören zu ihren stärksten Wählergruppen! Und obwohl die AfD noch nie die „Partei des kleinen Mannes“ war, erkennen viele die verborgenen arbeiterfeindlichen Forderungen in ihrem Parteiprogramm nicht. Die Ablehnung eines gesetzlichen Mindestlohns ist nur ein Beispiel.

Was von der Wahl übrig bleibt, ist nicht unbedeutend. Stark spürbar ist der Rechtsruck in NRW. Fast jeder zweite Mensch in NRW spricht sich für eine deutsche Leitkultur aus, davon 76% Anhänger der AfD, 59% FDP-Anhänger und 52% CDU-Wähler. Sieht man sich die Ergebnisse der Landtagswahlen an, so sieht man ganz deutlich, dass der zunehmende Rechtsruck damit im Einklang steht.

Schulz-Effekt ?

Eine wichtige Frage bleibt unbeantwortet, warum konnte Schulz nicht die SPD vor dem Ruin in NRW bewahren? Ähnlich war es zuvor im Saarland und in Schleswig-Holstein abgelaufen, bei denen nicht die von Schulz vorab gesegneten Sozialdemokraten gewinnen konnten, sondern die CDU als stärkste Partei hervorging. Dabei verzeichnete die SPD doch tausende Parteieintritte seit der Krönung von Schulz. Wieso dann solche Ergebnisse? Binnen von wenigen Wochen stand die Partei mit Schulz für echte Sozialpolitik. Schulz konnte es, ja er sollte es, schaffen! Eine Kettenreaktion löste sich aus, viele Menschen traten in die SPD ein, weil es ihre Freunde taten oder weil es grade Trend zu sein schien. Aber in wenigen Wochen verschwand das Interesse für die SPD wieder. „Schulz-Effekt“ nannten Politikwissenschaftler das kurz und stark aufflammende, aber ebenso wieder schnell erlischende Licht um den Kanzlerkandidaten. Zumal sich die SPD mit drei Komponenten den Wahlerfolg selbst vermasselt hat.

Erstens: Großer Wirbel um die Silvesternacht in Köln. Alarmierend wurde über Nordafrikaner gehetzt, Racial Profiling als würdelose Methode zum Aussortieren von Menschen eingesetzt; aber langfristig wurde von der Landesregierung keine richtigen Konsequenzen gezogen. Die CDU und die AfD versprachen der Wählerschaft eine alternative Sicherheitspolitik, in der sie Rassismus salonfähig machten und bei der immer rassistischer werdenden Bevölkerung Zuspruch finden konnten.

Zweitens: Soziale Gerechtigkeit? Fehlanzeige! Ähnlich wie Schulz umwarb die SPD sich mit dem Thema soziale Gerechtigkeit, doch die Wählerschaft ließ sich nicht beirren. Die SPD war es, die mit Agenda 2010 die Hartz-Reformen einführte. Nun sollte die Hartz-IV-Partei Sozialpolitik machen? Bereits 2012 hatte die SPD in NRW das Motto „kein Kind zurücklassen“. Aus der langanhaltenden Koketterie resultierend gaben über 60% an, dass die SPD sich an ihre Versprechen nicht halten würde. Keine gute Ausgangslage.

Drittens: Sie verwehrten noch lange vor den Wahlergebnissen eine Koalition mit der Linken. Obwohl diese sich eine oder sogar zwei Scheiben von ihnen hätten abschneiden könnten, denn die Linke hätte sicherlich echtere Sozialpolitik betrieben. Dabei hätten die Sozialdemokraten sich mehr um die CDU kümmern müssen, statt stur zu versuchen, die Linke aus dem Landtag rauszuhalten. Den Christdemokraten kam die Wahlstrategie natürlich sehr gelegen, während Kraft iweiter polarisierte, konnten sie still und leise mit einer „Rote-Socken-Kampagne“ immer mehr Wähler gewinnen.

Und die Moral von der Geschicht? Aus dem Schulz-Effekt wurde ganz schnell der Schluss-Effekt. Schulz ist eben kein Magier oder Zauberer, der die Zahlen der Partei auf das Unermessliche erhöhen kann. Die SPD ist Verlierer eines ziemlich ungeschickten Rennens. Höchstwahrscheinlich wird sie jetzt mit den Grünen und der AfD in die Opposition gehen müssen, denn die Großkoalition wird bis auf Weiteres ausgeschlossen. Für die nächsten fünf Jahre heißt es wohl in NRW erst einmal Schluss für die SPD!

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