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Eine ganz „gewöhnliche“ Migrationsgeschichte

Muhsin Omurca ist einer der ersten deutsch-türkischen Kabarettisten in Deutschland. Er hat zusammen mit Sinasi Dikmen das erste deutschsprachige türkische Kabarett in Ulm gegründet und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Der Kabarettist und Cartoonist wird demnächst am 18. Juni beim „Fest der Solidarität – 50 Jahre Arbeitsmigration aus der Türkei“ in Essen auftreten. Wir haben mit ihm über seine künstlerische Laufbahn, sowie auch die Situation nach 50jähriger Migration gesprochen.*

Yasemen Ilhan

Sie sind 1979 nach Deutschland gekommen und  sind nun seit 1985 als Kabarettist beschäftigt. Können Sie uns einwenig von ihrer Migrationsgeschichte erzählen?

Meine Migrationsgeschichte ist nicht unbedingt außergewöhnlich. In den 70er Jahren gab es eine weitere Migrationswelle und ich war eben 1979 dabei. Wie bekannt gab es 1980 den Militärputsch in der Türkei und ich bin auch einer derjenigen, der vom Putsch sozusagen geflohen ist. In der Türkei hatte ich erst neulich angefangen zu studieren und habe mich auch sobald ich in Deutschland ankam an der Universität in Franfurt einschreiben lassen. In Deutschland zu bleiben hatte ich eigentlich nicht vor. Vielmehr wollte ich nach England oder Schweden ziehen. Aber es kam ganz anders. Eine ganze Reihe von Zufällen haben mein Leben sehr geprägt.

Unter diese Zufallskette fällt auch die Zeit, in der Sie als Karikaturist tätig waren. Sie arbeiteten eine längere Zeit bei mehreren deutschen Zeitungen als Karikaturist.
Ich war ganz alleine in Deutschland. Meine Familie ließ ich in der Türkei zurück. Doch dann erhielt ich einen Anruf aus einer Stadt Namens Ulm. Ich kannte diese Stadt nicht, hatte noch nie etwas von ihr gehört. Es stellte sich aber später heraus, dass ich Verwandte in Ulm hatte. Daraufhin luden sie mich ein und ich zog nach Ulm. Ich hatte mich dort recht schnell eingelebt, besuchte eine Sprachschule und beherrschte die Sprache nach knapp zwei Jahren ziemlich gut. Eines Tages sah ich im Fernsehen, dass es eine Karikaturausstellung in Stuttgart gab, die nach einiger Zeit auch in Ulm ankommen sollte. Ich sah, dass der Inhalt der Karikaturen meinen sehr ähnlich waren. Denn in der Türkei war ich zuvor auch als Karikaturist nebenbei tätig und ich hatte meine Zeichnungen auch nach Deutschland mitgenommen.Daraufhin versuchte ich die Organisatoren der Ausstellung zu kontaktieren, was ich auch schließlich schaffte. So wurden zwei Karikaturen von mir in die Ausstellung aufgenommen. Ich war übrigens als repräsentativer Karikaturist der BRD dort und eine von den beiden Karikaturen war es, der ich meine künstlerische Laufbahn zu verdanken habe.

Was war denn auf dieser Karikatur abgebildet?
Ich konnte damals nicht an der Ausstellung teilnehmen. Aber der damalige sowjetische Kulturattache war auch bei der Eröffnung in Bonn da und mit ihm mehrere Diplomaten, aber auch aus der BRD natürlich. Und er stand eine Zeit lang vor meiner Zeichnung forderte schließlich, dass diese aus der Ausstellung herausgenommen werden soll. Seine Begründung dafür war, dass die Karikatur die Sowjetunion zu sehr kritisiere. Auch als man ihm sagte, dass nicht nur die Sowjets sondern auch alle anderen militaristischen Regierungen, wie Amerika, China und Deutschland ebenso kritisiert werden, bestand er trotzdem darauf. Die Organisatoren sagten schließlich, die Ausstellung werde komplett geschlossen, so eine Aufforderung könne man nicht einfach so hinnehmen. Natürlich bekam das alles die Presse direkt vor Ort mit und am nächsten Tag wurden mehrere Seiten über dieses „Skandal“, so wie sie es genannt hatten, berichtet. Später wurde ich auch interviewt und der erste Kontakt zu den Zeitungen wurde somit aufgebaut. Meine Karikaturen wurden unter der Rubrik Politik veröffentlicht. Zuerst arbeitete ich bei der Südwestpresse, eines der bekanntesten Zeitungen in Süddeutschland. Gleichzeitig begann ich auch in der Süddeutschen Zeitung zu arbeiten.

Danach fängt für Sie die Zeit des Kabaretts mit Sinasi Dikmen an.
Wir haben uns mit ihm durch die Zeitung kennengelernt und haben uns dann entschlossen das Kabarett zu gründen. Mit dem Namen „Knobi-Bonbon“ fielen wir auch ziemlich auf. Aber unser Glück war es auch, dass bei unserer ersten Aufführung Dieter Hildebrandt unter den Zuschauern war. Er war von unserer Performance begeistert und bot uns auch ein Tournee mit ihm an. Danach ging alles nur noch aufwärts. Anfangs hatten wir nie türkeistämmiges Publikum. Sie kamen nur, wenn man sie einlud.

Danach haben sich ihre Wege mit Sinasi Dikmet getrennt und Sie waren nun mit dem Stück „Das Tagebuch eines Skinheads in Istanbul“ allein auf der Bühne. Wie kam es dazu?
Ursprünglich war das Stück für Knobi-Bonbon gedacht. Doch in dieser Zeit kam die Trennung und ich formulierte das Stück, welches ein Dialog war, zu einem Monolog um. Es gab damals ein Projekt in Kiel. Dabei wurden ca. 20 Skinheads für 15 Tage nach Istanbul gebracht, um die „Türken“ und die Türkei besser kennenzulernen. Das war 1995, als gerade mehrere Angriffe seitens der Skinheads auf Migranten stattfanden. Ich fand diese Art von „Völkerverständigung“ ziemlich interessant und so entstand auch das Stück. Ich integrierte auch meine Karikaturen in das Stück, damit ich nicht all zu alleine auf der Bühne stand, woran ich zunächst gar nicht gewohnt war. So entstand auch eine neue Art vom Kabarett. Mit dem Stück erreichte ich sehr viele Menschen und bekam dafür auch den Deutschen Kabarettpreis. Das interessante in diesem Stück war aber, dass, ein die Skinheads begleitender Pädagoge, ein Sozialdemokrat, jedes Mal, wenn er wütend wurde ein zwei Härchen verlor und schließlich auch eine Glatze hatte. Ich wollte einfach zeigen, dass sich die „Sozialdemokratie“ sowie die Intellektuellen ändern bzw. sich im Laufe der Zeit ändern werden. Das war im Jahre 1998.

Wie sehen Sie die Situation heute?
Ja, sie haben sich verändert. Stichwort Sarrazin.

In den letzten Jahren erleben wir einen Aufstieg von Kabarettisten mit Migrationshintergrund. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Die Menschen wissen, dass es kein zurück mehr gibt. Keiner kommt auf die Idee zu sagen, dass er noch einpaar Jahre arbeiten, Geld sparen und danach in die „Heimat“ zurückkehren will. Denn Deutschland wurde im Laufe der Zeit zu ihrem neuen Heimatland. Deshalb beteiligt man sich nun auch am kulturellen Leben – und genauso ist es auch beim Kabarett. Aber diese positive Entwicklung wird leider weder in der Türkei noch in Deutschland nicht wahrgenommen.

Wie ist die heutige Situation nach 50 Jahren Arbeitsmigration aus der Türkei zwischen Migranten und Einheimischen? Was stellt das größte Problem im Bereich Integration dar?
Ein großer Schritt muss auch seitens der Deutschen Bevölkerung gemacht werden. Man muss erst einmal überhaupt einsehen, dass der Migrant mit dem Einheimischen gleichgestellt ist. Derjenige, der einst gekommen ist, um meine Straßen und mein Haus zu bauen, hat nun selbst ein Haus neben meinem stehen. Plötzlich haben wir einen ganz anderen Kontakt zueinander, wir sind Nachbarn, Arbeitskollegen usw. Wenn das nicht eingesehen wird, kann es zu keiner Gleichstellung kommen und der Migrant wird sich dementsprechend weiterhin weigern zusammen zu leben.

* Aus  dem Interview mit Hayat TV

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