Nachdem Deniz Çelik (Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft) öffentlich die Einführung der Regelanfrage für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst kritisiert hat, wurde er vom Verfassungsschutz und anderen Parteien ins Visier genommen. Wir haben mit ihm über seine Arbeit und die Rolle des Verfassungsschutzes gesprochen.
Doğuş Birdal
Du hast eine Unterlassungserklärung vom Hamburger Verfassungsschutz bekommen. Kannst du uns erzählen, wie es dazu kam?
Der Hamburger Senat plant, ab dem 1. Januar eine neue Regelanfrage einzuführen – und zwar bei allen Einstellungen, Beförderungen und Versetzungen im öffentlichen Dienst. Das bedeutet: Bevor jemand eingestellt wird, muss das Personalamt beim Verfassungsschutz anfragen, ob es dort Einträge über die betreffende Person gibt. Wenn der Verfassungsschutz zu dem Ergebnis kommt, dass erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue bestehen, wird das gemeldet – und das Personalamt entscheidet dann, ob die Person eingestellt wird oder nicht.
Das erinnert stark an die Berufsverbote der 1970er-Jahre, den sogenannten Radikalenerlass, durch den viele Menschen vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden – etwa, weil sie Mitglied der DKP waren oder sich im linken Spektrum engagiert haben.
Wir haben dazu eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der wir das scharf kritisiert haben – politisch wie auch rechtlich. Wir halten das für Gesinnungsschnüffelei und falsch, dass ausgerechnet der Verfassungsschutz beurteilen soll, ob jemand verfassungstreu ist oder nicht. Schließlich war der Verfassungsschutz in der Vergangenheit in zahlreiche Skandale verwickelt – man denke nur an den NSU-Komplex oder das NPD-Verbotsverfahren.
In der Mitteilung habe ich geschrieben, dass der Verfassungsschutz in der Vergangenheit durch V-Mann-Skandale im Zusammenhang mit dem NSU aufgefallen ist und sich der demokratischen Kontrolle weitgehend entzieht. Und ich habe hinzugefügt – und das ist der entscheidende Satz –, dass der Verfassungsschutz immer wieder durch den Schutz rechter Strukturen aufgefallen sei.
Diesen Satz will der Verfassungsschutz nun unterbinden. Ich erhielt eine E-Mail und einen Brief per Kurier von einer Anwaltskanzlei, die im Auftrag des Verfassungsschutzes handelte.
Ich wurde darin aufgefordert, innerhalb von zwei Tagen eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, in der ich mich verpflichte, diesen Satz künftig nicht mehr zu verwenden. Natürlich habe ich das abgelehnt. Ich habe die Frist verstreichen lassen, mich anwaltlich beraten lassen und bin nun juristisch vertreten. Gleichzeitig haben wir entschieden, die Sache öffentlich zu machen, damit klar wird, wie der Verfassungsschutz in Hamburg agiert.
Wir sehen darin einen Einschüchterungsversuch, eine Beschneidung parlamentarischer Rechte und einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Inzwischen gab es auch Gegenreaktionen anderer Fraktionen, die den Verfassungsschutz in Schutz nehmen – insbesondere SPD und CDU – und mir vorwerfen, ich würde lügen.
Soweit ich weiß, gab es sogar Rücktrittsforderungen?
Genau. Die CDU hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der ich aufgefordert werde, unverzüglich als Vizepräsident der Bürgerschaft zurückzutreten, weil ich angeblich ein „problematisches Verhältnis zur Demokratie“ hätte. Auch die AfD hat sich gemeldet – in gewohnt schräger Manier. Einerseits beklagen sie, dass der Verfassungsschutz die AfD zu oft ins Visier nehme, andererseits fordern sie, mich selbst durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen.
Wie reagierst du darauf?
Ich kommentiere das öffentlich nicht weiter. Wenn ich gefragt werde, sage ich nur: Das ist eine lächerliche Forderung.Mehr braucht man dazu nicht zu sagen.
Du hast dich ja auch in der Vergangenheit für die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses in Hamburg eingesetzt – eines der wenigen Bundesländer, in denen keiner eingerichtet wurde. Denkst du, du bist dem Verfassungsschutz seitdem ein Dorn im Auge?
Ja, das denke ich schon. Ich habe den Verfassungsschutz immer wieder scharf kritisiert, und damit trete ich manchen Leuten natürlich auf die Füße. Ich glaube, mit dieser Aktion will der Verfassungsschutz auch zeigen, dass Kritik an ihm nicht erwünscht ist und im Zweifel unterbunden werden soll. Dass man mich als gewählten Abgeordneten auf diese Weise angreift, finde ich bezeichnend. Der Verfassungsschutz hat Kritik nie angenommen, es gab nie eine echte Auseinandersetzung damit – weder beim Verfassungsschutz selbst noch in der Hamburger Innenbehörde oder beim Innensenator.
Viele Skandale der Vergangenheit sind nie wirklich aufgearbeitet worden. Und ein weiterer Skandal ist aus meiner Sicht, dass der Hamburger Verfassungsschutz sich nie einem Untersuchungsausschuss stellen musste, weil er politischen Schutz durch die Regierungsfraktionen genießt. Dass ich diese Punkte immer wieder anspreche und den Verfassungsschutz deutlich, aber berechtigt kritisiere, hat man, glaube ich, jetzt zum Anlass genommen, um ein Exempel zu statuieren. Denn es geht hier nicht nur um meine Person, sondern auch darum, ein Signal an die Zivilgesellschaft zu senden.
Man kann sich vorstellen: Wenn ein Abgeordneter in Zukunft so etwas nicht mehr sagen darf – wie sieht es dann erst bei Journalisten, Wissenschaftlern oder Aktivisten aus, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, etwa im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex oder mit rechtem Terror? Diese Menschen müssten künftig noch stärker mit Repressalien rechnen. Und genau dieses Signal soll meiner Meinung nach ausgesendet werden. Das ist politisch gefährlich. Und dagegen wollen wir uns wehren – wir lassen uns nicht mundtot machen.
Zurück zur geplanten Wiedereinführung der Regelanfrage. Was bedeutet das konkret und wen würde das treffen?
Der sogenannte Radikalenerlass wurde 1972 eingeführt – und richtete sich damals klar gegen linke Menschen, aus Sicht des Verfassungsschutzes also gegen sogenannte Linksextremisten.
Damals gab es zwischen 1,5 und 3,8 Millionen Abfragen – zu jeder Person, die sich für eine Stelle im öffentlichen Dienst beworben hat.
Viele Menschen wurden nicht zugelassen. Zum Beispiel: Wenn jemand Lehramt studiert, muss er oder sie das Referendariat an einer staatlichen Schule absolvieren – und es gibt kaum Alternativen dazu. Wenn dann jemand ausgeschlossen wird, nur weil er vielleicht Mitglied der DKP ist oder sich antikapitalistisch oder antimilitaristisch engagiert, kommt das einem Berufsverbot gleich.
Über 1.000 Menschen waren damals betroffen – sie wurden gar nicht erst zugelassen oder sogar aus dem Staatsdienst entfernt. Das hat ein Klima der Angst geschaffen. Viele Menschen wurden dadurch abgeschreckt, sich kritisch mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen oder sich politisch zu engagieren. Und genau das ist die Funktion solcher Maßnahmen: Abschreckung. Wer sich engagiert, soll Angst haben, dass das negative Folgen hat – etwa beim Referendariat oder bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst.
Damals wie heute richtet sich das vor allem gegen linke Menschen, nicht gegen Rechte oder Islamisten. In Hamburg gab es etwa den Fall, dass die Marxistische Schule bzw. die Rosa-Luxemburg-Schule als „extremistisch“ eingestuft wurde. Wenn der Verfassungsschutz also in Zukunft meint, es reiche schon, wenn jemand an einem Marx-Lesekreis teilnimmt, dann werden Menschen Angst haben, überhaupt noch an so etwas teilzunehmen.
Wir wissen, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist und stattdessen immer wieder Antifaschisten, Antikapitalisten und Antimilitaristen ins Visier nimmt. Darum befürchten wir, dass Hamburg mit dieser neuen Regelanfrage wieder in die Zeit der Berufsverbote zurückfällt – und dass dadurch Menschen vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden oder sich gar nicht erst trauen, sich kritisch zu engagieren.
Das würde also auch Studierende betreffen, die kurz vor dem Examen stehen?
Ja, genau. Diese Regelanfrage soll nicht nur für Beamtinnen und Beamte gelten, sondern auch für Angestellte im öffentlichen Dienst. Das betrifft zum Beispiel studentische Hilfskräfte, Erzieherinnen oder sogar den Hausmeister an der Uni. Also eine enorme Zahl an Menschen.
Und es ist wirklich eine Schande, dass Hamburg hier wieder eine Vorreiterrolle einnimmt.
Kein anderes Bundesland hat eine so weitgehende Regelung. Schon dass es überhaupt Regelanfragen gibt, ist schlimm genug – aber Hamburg will sie jetzt auf alle Angestellten ausweiten. Das zeigt, wie autoritär die Innenbehörde geführt wird – und das unter einem SPD-Innensenator, das muss man auch klar benennen.
Und wie sieht in Hamburg jetzt gerade der Widerstand gegen diese Regelung aus? Formiert sich da was? Habt ihr Pläne, wie es jetzt weitergehen soll?
Es gibt ein breites Bündnis, das Hamburger Bündnis gegen Berufsverbote, wo insbesondere die Gewerkschaften vertreten sind, aber auch DIDF, die Linke, Fridays for Future, die Grüne Jugend, die DKP und auch viele Einzelpersonen sind dabei.
Es werden verschiedene Aktivitäten geplant. Es gibt jetzt eine Volkspetition, um 10.000 Unterschriften zu sammeln. Es wird Kundgebungen geben und es gibt die Idee, eine Veranstaltung durchzuführen und auch möglichst Prominente zu gewinnen, die sich gegen diese Regelung aussprechen und dadurch auch Druck auf die Zivilgesellschaft auszuüben, damit dieses Gesetz nicht durchkommt.
Als Abgeordnete der Linken sehen wir unsere Aufgabe darin, diese Kritik auch in die Parlamente zu tragen. Im Innenausschuss und in der Bürgerschaftsdebatte werden wir die Gefahren der Regelanfrage deutlich machen und auf die autoritären Tendenzen hinweisen.
Die Regelung betrifft viele Menschen in unterschiedlichen Arbeitsbereichen und ist ein schwerwiegender Eingriff in die Berufsfreiheit und Grundrechte. Deshalb ist Widerstand dringend notwendig.
Im Bundestag wurde kürzlich der Beitritt der Linkspartei in das parlamentarische Kontrollgremium, das die Geheimdienste überwacht, abgelehnt. Das zeigt erneut, wie sehr oppositionelle Stimmen blockiert werden, während rechte Strukturen oft unangefochten bleiben.
Wie beurteilst du das jetzt in diesem Kontext?
Die Vorgehensweise der CDU folgt dabei der Hufeisentheorie: Linke und rechte politische Positionen werden gleichgesetzt, und systemkritische Politik wird schnell als Extremismus eingestuft. Gleichzeitig sollen die Geheimdienste unbehelligt bleiben, während kritische Abgeordnete unter Druck gesetzt werden. Auch in Hamburg zeigt sich dieses Muster: Während die AfD in vielen Fragen kaum kritisiert wird, werden Linke, die den Verfassungsschutz hinterfragen, sofort mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.
Wir setzen daher auf Gegenöffentlichkeit: Menschen sollen sich organisieren, ihre Stimme erheben und Protest sichtbar machen. Dazu gehören Demos, Pressearbeit, Kundgebungen und Veranstaltungen, die diese autoritären und repressiven Maßnahmen anprangern und Alternativen sichtbar machen.
Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Militarisierung, sowohl nach außen als auch nach innen. Maßnahmen wie Aufstandsbekämpfungsübungen im Hamburger Hafen dienen der Kontrolle und Einschüchterung von Protestierenden. Wir müssen dagegenhalten und unsere Rechte verteidigen.
Es ist entscheidend, dass möglichst viele Menschen sich beteiligen, sich dem Widerstand anschließen und diesen sichtbar machen. Nur gemeinsam können wir autoritäre Tendenzen zurückweisen und demokratische Freiheiten sichern.

