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Erdoğan und Trump: Teure Freundschaft auf Kosten der Bevölkerung

Wenn Recep Tayyip Erdoğan nach Washington reist, dann geht es selten nur um diplomatische Höflichkeiten. Auch dieses Mal kehrte der türkische Präsident mit schwer bepackten Taschen zurück – Verträge, Abkommen, Milliardenversprechen. An seiner Seite: Donald Trump, der sich selbst als „Deal-Maker“ inszeniert und das Präsidentenamt wie einen Chefsessel im Aufsichtsrat führt. Was beide Autokraten miteinander verbindet, ist ein Verständnis von Politik als Geschäft: Wer Freundschaft mit Amerika will, soll einkaufen; wer in Ankara herrscht, verkauft solche Einkäufe als „strategische Meisterleistung“.

Boeing-Deal: Prestige für Erdoğan, Milliarden für US-Konzern

Der spektakulärste Vertrag war der mit dem US-Flugzeugbauer Boeing. Turkish Airlines unterschrieb den Kauf von 225 Maschinen, Gesamtvolumen: mehr als 20 Milliarden Dollar. Erdoğan inszenierte den Schritt als historischen Erfolg, als Beweis für die Stärke der türkischen Wirtschaft und die internationale Anerkennung des Landes.

Tatsächlich jedoch gleicht der Deal einer Zwangsjacke: Turkish Airlines verpflichtet sich, über Jahrzehnte Milliarden in die US-Luftfahrtindustrie zu pumpen. Während Boeing mit den Aufträgen seine Produktionslinien auslastet und Trump stolz „amerikanische Arbeitsplätze“ feiert, bleibt für die Türkei eine gigantische Verschuldung. Hinzu kommt die Abhängigkeit: Ersatzteile, Wartung, Technikschulungen – all das bindet Turkish Airlines langfristig an US-Lieferketten. Für Erdoğan ist es dennoch ein Prestigeprojekt, das er im Inland ausschlachten kann: Neue Flugzeuge als Symbole einer „aufstrebenden Türkei“, während Millionen Bürger kaum ihre Miete zahlen können.

LNG-Deal: Teures Gas als politische Loyalität

Noch gewichtiger ist die Energiefrage. Trump drängte Ankara, sich von russischem Öl und Gas zu lösen. Seit Jahren importiert die Türkei rund zwei Drittel ihres Erdöls und fast die Hälfte ihres Erdgases aus Russland. Erdoğan weiß: Eine völlige Abkehr würde die türkische Wirtschaft erschüttern. Dennoch unterzeichnete er einen 20-jährigen LNG-Liefervertrag mit US-Unternehmen. Umweltschädlich durch Fracking gewonnenes Flüssiggas aus Amerika soll künftig einen Teil der russischen Lieferungen ersetzen – allerdings zu deutlich höheren Preisen.

Trump präsentierte das Abkommen als geopolitischen Sieg: weniger Abhängigkeit Ankaras von Moskau, mehr Einnahmen für die US-Energiebranche. Erdoğan wiederum verkaufte es im Inland als „strategische Diversifizierung“. Doch für die türkische Bevölkerung bedeutet es schlicht steigende Heiz- und Stromkosten. LNG ist nicht nur teurer, sondern auch logistisch aufwendig: Es muss verflüssigt, verschifft, wieder regasifiziert werden. Für die USA ist das Geschäft goldwert, für Ankara bedeutet es wachsende Importkosten und ein weiterer Schlag gegen die ohnehin ausgeknockte Lira.

Atomenergie: Ein riskantes Spiel

Neben Gas stand auch Atomkraft auf der Agenda. Nach dem Bau des ersten Kernkraftwerks in Akkuyu durch Russland liebäugelt die Türkei nun mit einer zweiten Anlage – diesmal in Kooperation mit US-Konzernen. Trump bejubelte die Verhandlungen als Beweis, dass Amerika der „wahre Partner“ in der Energiezukunft Ankaras sei.

Doch die Risiken sind enorm: Atomkraftwerke verschlingen Milliarden, schaffen jahrzehntelange Abhängigkeiten in Technologie und Brennstoffversorgung. Während Russland Ankara bereits durch das „Build-Own-Operate“-Modell in Akkuyu fest an sich bindet, würde eine Kooperation mit US-Unternehmen die Türkei zusätzlich zwischen zwei Großmächten zerreißen. Für Erdoğan ist es ein willkommenes Druckmittel: Heute kauft er in Washington, morgen in Moskau. Für die Bevölkerung aber bedeutet es steigende Staatsschulden, potenzielle atomaren Sicherheitsrisiken und eine Energiepolitik, die primär geopolitischen Erwägungen folgt, nicht sozialen Bedürfnissen.

Waffen und Flugzeuge: Zwischen S-400 und F-35

Ein weiterer zentraler Punkt der Gespräche war die Rüstung. Trump machte keinen Hehl daraus, dass er Ankara wieder stärker an US-Waffentechnik binden will. Die Türkei war nach dem Kauf russischer S-400-Raketenabwehrsysteme aus dem F-35-Programm ausgeschlossen worden. Nun versprach Trump, über einen „Wiedereinstieg“ zu verhandeln, sollte Ankara amerikanisches LNG bevorzugen und sich klar von Moskau distanzieren.

Parallel wurde über die Modernisierung der türkischen F-16-Flotte gesprochen. Auch hier gilt: Verträge im Milliardenumfang, die Trump im Wahlkampf als „Jobmaschine für Amerika“ anpreisen kann. Erdoğan wiederum verkauft sie als Sieg über die „Heuchelei des Westens“, da Ankara trotz aller Kritik an Menschenrechtsverletzungen wieder Zugang zu Hightech-Waffen erhält.

Politische Inszenierung: Zwei Autokraten auf einer Bühne

So wie die Deals finanziell gewaltig sind, so theatralisch war auch ihre Inszenierung. Trump schwärmte von Erdoğan als „großartigem Führer“, lobte die Türkei als „verlässlichen Partner“ und rückte ihm bei der Pressekonferenz sogar persönlich den Stuhl zurecht, bevor er erklärte, dass der Mann ja was von Wahlfälschungen was verstehe. Die Bilder waren Symbolpolitik pur: Zwei alte Männer, vereint in der Überzeugung, dass finanzielle Deals wichtiger sind als Menschenrechte, Rechtsstaat oder demokratische Institutionen.

Erdoğan wiederum nutzte die Bühne, um sich im Inland als Staatsmann von Weltformat zu präsentieren. Dass Trump ihm eine Plattform bot, ohne ein Wort über die Inhaftierung von Oppositionellen, die Einschränkung der Pressefreiheit oder die wirtschaftliche Misere der Türkei zu verlieren, war für Ankara ein unbezahlbares Geschenk. In der Türkei selbst stilisierte Erdoğan die Reise als „historischen Erfolg“, als Beweis, dass sein persönliches Gewicht die Türkei wieder zu einem unverzichtbaren Akteur mache. Beide mieden es, das Thema Gaza und Israel auch nur im Geringsten anzusprechen.

Die Frage bleibt: Wer profitiert eigentlich von dieser vermeintlichen strategischen Partnerschaft? Für Donald Trump ist die Antwort eindeutig. Außenpolitik wird für ihn zur Bühne, auf der er die Interessen amerikanischer Konzerne direkt in Wahlkampfargumente verwandelt. Auch Erdoğan hat seinen Nutzen. Er gewinnt internationale Anerkennung, präsentiert sich als globaler Player und lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit im Inland von der tiefen wirtschaftlichen Krise ab. Die milliardenschweren Deals liefern ihm Prestige, selbst wenn sie die türkische Wirtschaft langfristig belasten. Für Konzerne wie Boeing oder ExxonMobil ist die Lage noch klarer: Sie sichern sich jahrzehntelange Einnahmen, profitieren von Abhängigkeiten und von einem Verhandlungspartner, der sich aus politischem Kalkül auf teure Verträge einlässt.

Doch ebenso klar ist, wer die Rechnung bezahlt. Die türkische Bevölkerung muss mit steigenden Energiepreisen, höheren Staatsschulden und immer neuen Abhängigkeiten leben. Die demokratische Opposition wiederum erlebt einmal mehr, wie internationale Partner Erdoğan hofieren und seine autoritäre Politik ignorieren. Und langfristig ist sogar die Stabilität des Landes gefährdet: Die Türkei reibt sich zwischen den Interessen Russlands und der USA auf, während sie zugleich in Verpflichtungen verstrickt wird, die Generationen überdauern wird.

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