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Erdogans neuer Kreuzzug gegen die Journalisten

Dass die AKP-Regierung die Repressionen gegenüber Journalisten in den letzten Jahren verstärkt und die Zahl der inhaftierten Journalisten in den letzten drei Jahren verdreifacht hat, ist hinlänglich bekannt. So sitzen derzeit über 100 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Dass die Regierung von Erdogan “die Journalisten vom Joch des Militärs befreit” habe und diese nun “die ihnen von der Regierung in Ankara geschenkte Freiheit freiwillig gegen eine neue Unabhängigkeit” eingetauscht hätten, ist allerdings neu. Glaubte man dem Ministärpräsidenten Erdogan, ist bei den türkischen Medienvertretern nd Journalisten nämlich nichts anderes passiert.

So erklärte Erdogan am 27. Mai 2012 auf der Delegiertenversammlung seiner Partei in Istanbul, seine Regierung habe die Journalisten vom Hunde-Halsband befreit, das ihnen die Militärs angelegt hätten. Nun hätten sie sich in den Dienst von neuen, international agierenden Kreisen gestellt und sich freiwillig ein neues Halsband angelegt. Die Journalisten, die ihn und seine Regierung kritisieren, sind demnach treue Hunde, die lediglich auf die Kommandos ihrer vom Ausland agierenden Herrchen hören.

Diese grenzen- und taktlosen Hasstiraden Erdogans gegen die kritischen Journalisten reihen sich in die Kette von ungezügelter Kritik gegenüber allen, die es wagen, Erdogan und seine Regierung zu kritisieren. So warf er den Mitgliedern der BDP-Fraktion, die die Hinhaltetaktik der Regierung im Bezug auf das Massaker von Uludere kritisierten und ihr die Verhinderung der Ermittlungen vorwarfen, selber widerrum vor, “nekrophil” veranlagt zu sein.

Kritik reißt nicht ab

Diese Haßreden Erdogans rufen allerdings auch einen starken Protest hervor. So warf der fraktionslose Abgeordnete Levent Tüzel dem Ministerpräsidenten “unmoralische Beschimpfungen” vor, die an die strafrechtlich zu verfolgende Verunglimpfung grenzten. Auch Gewerkschaften und andere Berufsverbände von Journalisten ließen die Äußerungen Erdogans nicht unbeantwortet.

In einem offenen Brief an Erdogan bezeichnete der Vorsitzende der türkischen Journalistengewerkschaft (TGS), Ercan Ipekci, diese Äußerungen als “Hasstiraden” und “unvereinbar mit der Haltung eines Staatsmannes”. Ipekci erinnerte daran, dass die Vertreter der AKP-Regierung und Erdogan selbst die inhaftierten Journalisten bei jeder Gelegenheit als “Terroristen” bezeichnen. Die Journalisten würden jedoch lediglich ihren öffentlichen Auftrag erfüllen. Recherchen über das Massaker von Uludere, das ein Beispiel für einen tatsächlichen Terrorakt darstelle, dürften nicht, wie das ihnen vorgeworfen wird, als “Unterstützung terroristischer Vereinigungen” bezeichnet werden. Sie jetzt auch noch als Hunde zu bezeichnen, sei ein Ausdruck einer ungezügelten Feidseligkeit gegenüber der Presse- und Meinungsfreiheit.

Auch der Vorsitzende des Vereins zeitgenössischer Journalisten (CGD), Ahmet Abakay, forderte Erdogan auf, seine ganze Kraft für die Aufklärung des Uludere-Massakers einzusetzen, statt sich mit den Journalisten anzulegen”. Erdogan versuche mit der Beschimpfung der Journalisten von den tatsächlichen Problemen des Landes abzulenken. Eines der größten Probleme des Landes sei es heute, dass das Uludere-Massaker auch ein halbes Jahr danach nicht aufgeklärt sei. Da dürfte es auch Erdogan nicht überraschen, dass Journalisten sich auch heute mit dem Thema beschäftigen. Abakay warnte Erdogan und forderte ihn auf, die permanente Verletzung von Pressefreiheit sofort einzustellen.

Der Chefredakteur der Tageszeitung “Evrensel”, Ihsan Caralan, bezeichnete die Rede Erdogans als die logische Folge einer Propagandaarbeit der Regierung, die darauf angelegt sei, sich in ihrer Zügellosigkeit immer wieder zu überbieten. “Erdogan und seine Regierung haben einen Weg eingeschlagen, auf dem sie ihre Kritik an der Opposition immer zügelloser formulieren müssen. Sie müssen bei jeder neuen Hetzkampagne gegen bestimmte Berufs- oder Bevölkerungsgruppen neue Geschütze auffahren, die stärker als ihre Vorgänger sind. Nur so glauben sie, ihre Glaubhaftigkeit bei der Bevölkerung verfestigen zu können.”

Caralan verglich diese Haltung mit dem Bedürfnis eines Drogenabhängigen, der gezwungen sei, sich immer größere Dosen zu verabreichen. Am Ende dieser Steigerung stehe der “Goldene Schuß”. Auch Erdogan und die AKP-Regierung würden an dem Punkt ankommen, sich diesen “Goldenen Schuß” zu setzen.

 

 

 Was war in Uludere passiert?

Am Mittwoch den 28.12.2011 zwischen 21.00-22.00 Uhr wurden mehr als 35 Menschen in der kurdischen Kreisstadt Uludere durch türkische Kampfflugzeuge ermordet. Größtenteils handelte es sich bei den Opfern um Jugendliche und Kinder, die aus dem Irak Zucker und Gas in die Türkei schmuggelten. Sie wurden Opfer eines „neuen Sicherheitskonzepts“ der kurz davor und danach durch den Türkischen Staatssicherheitsrat weiter verschärft wurde. Nach stunden- und tagelangem Schweigen erklärte die Regierung, es handele sich dabei um „PKK-Terroristen“. Jedoch wurden bisher jegliche Mühen verhindert, das Massaker auszuklären. Die Kreisstadt Uludere liegt mit seinen knapp 35 Tausend Einwohnern im Provinz Şırnak an der Grenze zum Irak. Die prokurdische Partei BDP (Partei für Frieden und Demokratie) ist in Uludere sehr stark, die BDP-Bürgermeisterin Şükran Sincar wurde mit 72.61 % der Stimmen ins Amt gewählt. Die inhaftierten Journalisten schrieben in ihren Artikeln kritisch über die Haltung der Militär und der Erdogan-Regierung und forderten eine Aufklärung.

 

Die Politik macht es vor, wir machen es nach. Und nach wessen Pfeife hat die Politik in unserer Gesellschaft zu tanzen? Richtig, nach der der Wirtschaft. Genauso wie der autoritäre, konservative Vater von den traditionellen Geschlechterrollen profitiert, weil er dadurch seine Kinder in Schach halten kann und wenn nicht, sein Sohn als Ehrenverteidiger ihm zur Seite steht, profitieren auch die Autoritäten unserer Gesellschaft davon. Denn Rollenbilder beeinflussen das Sein und die Persönlichkeitsbildung von jedermann.

 

Wirtschaft und Politik brauchen in vielen Bereichen billige Arbeitskräfte in prekären Verhältnissen, seien es Reinigungskräfte, Altenpflege, Friseurinnen oder auch Kassiererinnen. Frauen haben die Qual der Wahl: Karriere oder Kinder. Mit Kindern ist es besonders schwierig in Berufen mit größerer Verantwortung durchzukommen. Es fehlen Kita-Plätze und die gesellschaftliche Unterstützung. Diese Selbstverständlichkeit würde der Politik und Wirtschaft jedoch viel Geld kosten und vor allem ihre billigen Arbeitskräfte. Genau in dieser Situation bricht die Diskussion über das Betreuungsgeld aus und CSU-Chef Horst Seehofers „Frauenfreund“-Fassade ist geradezu grotesk. Bestimmte Herrschaftsverhältnisse brauchen eben andere Herrschaftsverhältnisse, die ihre Autorität untermauern. Männlichkeit, Chauvinismus und Androzentrismus ist dabei ein lang bewährtes Mittel, wie man es schon im Faschismus gesehen hat.

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