Die Poteste in der Türkei gehen auf einer anderen Ebene weiter. Eine neue Well des Protestes entwickelt sich. Viele Studierende, Arbeiter, Jugendliche, Mütter und Familien sind wieder auf den Straßen und geben sich nicht geschlagen. Die Schauspieler und Sänger spielten und spielen bei der ganzen Bewegung keine zu unterschätzende Rolle. Auch ihre Situation als Schauspieler unter der Regierung von Erdogan lässt zu wünschen übrig. Wir haben einige Schauspieler über ihre Arbeitsbedingungen und die Bewegung in der Türkei befragt.
Önder Cakar, ein türkischer Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent, war in Istanbul bei den Ereignissen dabei und hat selber gegen die AKP-Regierung protestiert. 2006 gewann er für das beste Filmdrehbuch von Takva-Gottesfurcht die Goldene Orange. Seit Ende der 1990er ist er mit Fatih Akin befreundet und ist seit dem sein geschätzter Berater.
Wie ist die allgemeine Arbeitslage in Ihrem Sektor?
Die Arbeitsbedingungen in meinem Sektor, also im Filmsektor sind sehr schwer. Es ist eine Kunst, die viel Geld und auch technologische Arbeit erfordert. Man muss erst das Geld auftreiben, was sehr schwierig wird und dieses danach noch gerecht zu verteilen, ist schwerer, als man denkt. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Filme die Zuschauer nicht erreichen oder die Zuschauer es eventuell auch nicht sehen möchten. So werden zwar Filme gedreht, die uns gefallen, aber wir können nicht sagen, dass die Arbeiter hinter der Kamera wie auch die Schauspieler das Geld auch letztendlich bekommen, was sie mit der Arbeit verdienen.
Was sind Ihre Eindrücke vom Gezi Park?
Die Bewegung im Gezi Park war das schönste, das ich in meinem Leben je miterleben durfte. Ich bin glücklich, dass ich so was vor meinem Tod noch miterleben konnte. Ich habe dort meine Geschwister, Brüder und Arbeitskollegen kennen gelernt, ich habe dort das Volk kennen gelernt. Ich kann sagen, dass ich bisher nicht wusste, dass meine Arbeitskollegen im Bereich Theater/Film so stark sind, Ihre Entschlossenheit und Stärke hat mich ebenfalls stark gemacht. Es ist noch nicht zu Ende und ich bin glücklich und froh darüber, dass es noch weiter geht und bin voller Hoffnung, dass es besser und erfolgreich wird.
In wie weit hat Sie die Bewegung persönlich betroffen?
Es war ein Wendepunkt für die Türkei und wie bereits gesagt, hat diese Bewegung mich mit Hoffnung und Stärke gefüllt. Mittlerweile achtet jeder mehr auf die Arbeit, die er macht oder auf die Vereine, in denen er eventuell aktiv ist. So hat es mich persönlich nicht nur betroffen, sondern alle.
Sarp Levendoglu, ein türkischer Schauspieler und Regisseur, war auch bei den Protesten auf dem Gezi Park dabei. Der junge Schauspieler ist bekannt durch seine unzähligen Serien und Filme.
Wie bewertest du die Arbeitsbedingungen in deinem Sektor?
Wir haben leider zu lange Arbeitszeiten, das geht so weit, dass sogar der, der sich um unser Essen kümmert, bis Nachts mit uns bleiben muss. Es ist nicht so, dass ich es schlecht reden möchte, jedoch gibt es eine Zeit, in der man eine Folge oder eine Szene drehen kann, doch diese Zeit wird überschritten. Wir haben jede Woche eine 90-minütige Folge zu drehen, die muss danach zur Montage etc. das braucht seine Zeit und wir machen das alles in einer Woche. So gesehen ist das wirklich ein Wunder. In Hollywood braucht man Monate für einen 90-minütigen Film. Deshalb haben wir in den Serien aber auch viele Lückenfüller und Zeit-Totschläger. Was am Ende raus kommt, ist natürlich eine gute Arbeit aber sie könnte besser sein. Wir könnten das besser machen. Das ist das Problem in der Türkei: so verlieren unsere Filme und Serien an Qualität.
Wie hast du die Proteste auf dem Gezi Park erlebt?
Es war eine Auferstehung des Volkes, es fing mit 23 Personen an, die gegen den Abriss von Bäumen dort protestiert haben. Gegen sie wurde mit Pfefferspray, Tränengas etc. vorgegangen, dann sind wir als ihre älteren Brüder und Schwestern hingegangen und standen bei ihnen. Gegen uns wurde danach ebenfalls mit Pfefferspray etc. vorgegangen, diesmal kamen unsere Brüder, Schwestern und gegen sie wurde das gleiche gemacht, letztendlich kamen unsere Mütter, die hinter uns standen und uns unterstützt haben. Nach dem unsere Mütter da waren, haben viele Menschen sagen können wir haben keine Angst. Es war ja so, dass man immer, wenn man Polizisten sieht, eine Angst verspürt, wobei es eigentlich nicht so sein sollte. Im Gegenteil sollte man sich bei der Polizei sicher fühlen. In der Türkei ist es mittlerweile so, dass du dich dort frei fühlst, wo die Polizei nicht ist. Der Grund, warum die Proteste zu so einer großen Bewegung geworden sind, sind die sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook. Ein Professor sagte mal, dass das Internet da ist, damit die Welt euch erreicht, nicht ihr sie, doch im Gezi Park passierte genau das Gegenteil. Wir haben so Kontakt zur Welt bekommen und unsere Stimmen hören lassen. Aus der ganzen Welt erhielten plötzlich Solidaritätsgrüße und Nachrichten, was uns nur noch mehr motivierte.
Wir haben gehört, dass du durch die Bewegung bei einigen Projekten in den Hintergrund gedrängt wurdest. Stimmt das?
Mir wurden zwei Projekte abgesagt, weil ich an den Gezi Protesten teilnahm. Die Begründung war zwar eine andere, aber es war klar, dass sie meine Teilnahme an der Bewegung gestört hat. So ist das, wenn der Sektor bestimmten Kreisen gehört. Aber diese Bewegung hat die Angst der Menschen genommen, so wie auch meine, es war so, dass ein Kind kam und sagte der König ist nackt und das erklärt einiges.
Güven Kirac, der türkische Schauspieler spielte in vielen bekannten Filmen mit. Unter anderem Gegen die Wand, Kebab Connection, Gönül Yarasi (Verwundete Seelen), Sinav (Die Prüfung)….
Kannst du etwas vom Alltag in deinem Sektor berichten?
Es kommt auf die unterschiedlichen Sektoren an z.B. im Bereich der Serien herrscht ein zu hohes Tempo. Man erwartet Übermenschliches von den Arbeitern. Von den Arbeitern wird erwartet, dass sie in einer Woche ein Wunder vollbringen und das bringt alle Arbeiter vor der Kamera so wie hinter der Kamera in Schwierigkeiten. Das, was man nach der Woche im Fernsehen sieht, unterschätzt man als Zuschauer, aber Hunderte von Menschen arbeiten täglich Hunderte von Stunden. Teilweise für einen Hungerlohn. Im Bereich Film ist es etwas sanfter, denn dort wird von Anfang an alles geklärt und man hat eine realistischere Zeit für den Dreh. Man kann sagen, dass man dort freier und etwas flexibler sein kann. Man hat auch freie Tage und kann einiges noch mal und noch mal drehen, was bei Serien ein Luxus ist. Das Theater hat es am schlimmsten, weil dort die Angst besteht, dass das Theater schließt, in dem man arbeitet. Denn Recep Tayyip Erdogan hat darauf hingewiesen, dass er die öffentlich staatlichen Theater schließen und in den privaten Sektor überführen lassen möchte. Das ist die Politik, die in der Türkei geführt wird.
Was sind deine Eindrücke vom Gezi Park?
Die Bewegung war was wundervolles, sie war die schönste Erfahrung, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Vor allem sind wir als Schauspieler wahrscheinlich zum ersten Mal so stark organisiert gewesen. Es war für alle eine tolle Erfahrung, die gezeigt hat, wie stark wir sind. Einige Freunde haben auch die Politik Erdogans aggressiver beobachten können. Denn ihnen wurden Projekte abgesagt. Mir wurden zum Glück bis jetzt keine Projekte abgesagt oder ich wurde bislang auch nicht wegen irgendeinem Tweet vor Gericht gebracht, was aber nicht heißt, dass es nicht passieren wird.
Die Interviews führte Hatice Görfidan