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Fischen in braunen Gewässern: Integration (wieder) unter Druck

Sidar Carman

Man kann es als die berühmte Sommerlücke auslegen, aber dafür sind die Folgen der Debatten zu weitreichend. Es geht um die Themenkomplexe Geflüchtete, die Verabschiedung des Bundesintegrationsgesetzes, die Forderung nach Abschaffung der Doppelten Staatsbürgerschaft und der zugespitzten Diskussion um das Burka-Verbot bzw. Burkini-Verbot in Schwimmbädern. Nein, nach einer politischen Selbstbeschäftigung, um die Urlaubszeit zu überbrücken, sieht es nicht aus. Die Beteiligten kommen aus den unterschiedlichsten Kreisen. Vorneweg die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, Kanzlerin Merkel und ihr Bundesinnenminister De Maziere (CDU), die Innenminister der Länder und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Bälle werden gegenseitig zugespielt, mit jedem Mal etwas härter. Es macht sehr nachdenklich, wie das Thema Integration beliebig aus den Schubladen gezogen wird und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie in der öffentlichen, politischen Debatte so schnell zündet. Kann sich unter diesen Umständen ein entspanntes, tolerantes und solidarisches Miteinander überhaupt entwickeln? Schwierig, wenn sie immer wieder durch Vorurteile und neuerdings mit Angstmache derart gestört wird.

Was sind die Streitthemen? Anfang Juli wurden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD das Integrationsgesetz verabschiedet. Das Gesetz wurde hochgefeiert, als Fortschritt und „Meilenstein“, als „echten Paradigmenwechsel“ (Sigmar Gabriel, SPD). Außen hui, innen pfui mag es wohl eher zutreffen. Die Linie in der Integrationspolitik bleibt dieselbe: Kontrollieren, Sanktionieren, nützliche (qualifizierte) Migranten aussortieren, der unnützen Mehrheit mit Abschiebung drohen. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen – der Grundsatz in der deutschen und europäischen Zuwanderungspolitik gilt auch für den Umgang mit den Geflüchteten. Dazu passt auch die Aussage des konservativen bayerischen Finanzministers in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“, der das jetzige Abschiebungsverfahren als zu langsam kritisiert. Statt Familiennachzug fordert er die Abschiebung (oder sanfter formuliert „die Rückführung“) von mehreren Hunderttausend Geflüchteten in den nächsten drei Jahren. Diese oder ähnliche Rufe verstärken die Ängste innerhalb der Bevölkerung, treiben die Vorurteile und Spaltung voran und erteilen den konservativen und rechten Kreisen einen gefährlichen Aktions- und Einflussraum.

So ist es doch auch auffällig, wie einerseits Migranten instrumentalisiert werden, das Misstrauen zwischen Einheimischen und ihnen zu vertiefen, um einen Zuspruch für den strikten Kurs in der Integrationspolitik zu erhalten. Andererseits das entspannte Zurücklehnen auf Seiten der Konzerne und Unternehmen, die seit der ersten Stunde eine schnelle Integration im Arbeitsleben einfordern. Widersprüchlich? Nein, es ergibt einen Sinn. Diejenigen, die nützlich sind, sollen schnell in den Arbeitsmarkt landen. Qualifizierte Geflüchtete sollen vorrangig aussortiert werden. Die „unnützen“ sollen durch Sanktionen und Schikanen wieder abgeschoben werden. Dies kann nur gelingen, wenn es günstige gesellschaftliche Rahmenbedingungen gibt – d.h. wenn der unmenschliche, ungleiche und rassistische Umgang geduldet oder gewollt wird. Am 14. September hat Kanzlerin Merkel Konzern- und Unternehmensbosse zu einem Flüchtlingsgipfel eingeladen. Unternehmen wie Siemens, Opel, RWE und VW sollen bei dem Treffen über ihre bisherigen Aktivitäten in der Flüchtlingsarbeit berichten. Zentral geht es um die Frage, welchen Beitrag die Wirtschaft leisten könne, um die Integration von Flüchtlingen zu „verbessern“. Wieder werden Menschen entlang der Kosten-Nutzen-Frage verhandelt. Mit dem Integrationsgesetz hat unter der Feder der Arbeitsministerin Nahles (SPD) die Regierung ihre Bringschuld gegenüber der Wirtschaft bereits erbracht und ein neues Werkzeug zum Lohndumping eingesetzt. 100.000 Geflüchtete sollen zu 80-Cent-Jobbern werden. Ein neuer Billigsektor wird damit geschaffen. Eine ehrliche Integrationspolitik sieht anders aus – in der Sicherung von sozialversicherungspflichtigen und sicheren Arbeitsverträgen und einem Lohn, das den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreitet.

Beim Treffen der Innenminister der Länder posierten die Unionsminister mit ihrer „Berliner Erklärung“. Sie fordern, „Integrationsverweigerung zu ahnden bis hin zur Ausweisung“. Auch soll die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abgeschafft werden, da sie sich als Integrationsbremse erwiesen habe. Kanzlerin Merkel streckte den moralischen Zeigefinger aus und forderte von den Türkischstämmigen mehr Loyalität zum Land. Ab 2017 sollen Migranten nach Plänen der Bundesregierung bei der Mikrozensus-Befragung dazu befragt werden, welche Sprache sie zuhause sprechen. Anhand der Ergebnisse soll der Stand der Integration abgeleitet werden. Mit dem Burka-/Burkini-Verbot wird die ganze Debatte abgerundet. Nur inmitten solch einer demagogischen Stimmungsmache konnte nun passieren, dass ein Ladenbesitzer aus Selb (Oberfranken) auf einem Ladenschild Hunde mit Asylsuchenden verglich. Das Schild „Hunde müssen draußen bleiben“ wurde durch „Asylbewerber“ ersetzt.

Die Ereignisse von Ansbach und Würzburg gehen sicherlich nicht spurlos vorbei. Der IS-Terror, den wir hier nur durch die Schreckensmeldungen aus Syrien und dem Irak oder in den europäischen Nachbarländern zur Gesicht bekamen, ist plötzlich nah. So ist es das natürlichste Instinkt, sich vor dieser Gefahr schützen zu wollen. Doch der Schutz darf nicht darin liegen, ganze Gruppen von notbedürftigen Menschen unter Generalverdacht zu stellen und universale Grund- und Menschenrechte auszusetzen. Eine Politik mit der Angst hat niemals Früchte getragen. Wenn, dann nur faule! Der Wurm ist drin in der Integrationsdebatte und schadet dem Miteinander.

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