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Flüchtlinge willkommen heißen!

 

In Deutschland sind Nazis auf dem Vormarsch – und der Weg wird ihnen von Teilen der etablierten Politik geebnet.

Von Ulla Jelpke
Die Zuwanderung von Flüchtlingen sorgt in Deutschland für intensive Diskussionen über das Asylrecht. Manche halten sich aber nicht mit dem Diskutieren auf: Nazis marschieren wieder und begehen Straftaten in einem immer größeren Ausmaß.
Nach Angaben der Bundesregierung hat es im vergangenen Jahr 13846 rechtsextreme und fremdenfeindliche Straftaten gegeben. Das sind 30 Prozent mehr als im Jahr davor. Und diese Zahlen sind nur vorläufig – durch Nachmeldungen der Polizeibehörden fallen die endgültigen Zahlen noch einmal erheblich höher aus.
Das bedeutet, dass in Deutschland jeden Tag Dutzende rechtsextreme Straftaten begangen werden. Über die Hälfte sind sogenannte Propagandadelikte, wie etwa das Schmieren von Hakenkreuzen. Die Zahl von Gewaltdelikten hat sich aber auf 921 fast verdoppelt, was darauf hindeutet, dass die Nazis nicht nur öfter agieren, sondern auch gewalttätiger werden.
Insbesondere der Hass auf Flüchtlinge ist zum treibenden Motiv geworden, mit dem Nazis Propaganda betreiben und Gewalttaten begehen. So hat es im Jahr 2015 über 1000 Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gegeben, das ist eine Verfünffachung gegenüber dem Jahr davor. Dazu zählen mehr als 90 Brandstiftungen an Unterkünften, aber auch Körperverletzungsdelikte haben stark zugenommen.
Vieles hängt davon ab, wie sensibel die Ermittlungsbehörden einen rassistischen Hintergrund erfassen. In der Vergangenheit war die Polizei hier häufig nachlässig und hat beispielsweise einen rechtsextreme Motivation geleugnet und die Täter lediglich als „betrunkene Jugendliche“ bezeichnet. Diese Verleugnungspraxis – um etwa das Ansehen der jeweiligen Kommune nicht zu schädigen – ist mittlerweile stark zurückgegangen. Auch von den Sicherheitsbehörden und der Bundesregierung wird inzwischen klar die Gefahr eines entstehenden Rechtsterrorismus festgestellt. Woran es aber noch fehlt, ist ein klares Konzept, wie man dem rechten Terror entgegentritt.

Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass all diese Straftaten nur zum geringeren Teil von polizeibekannten Nazis, also dem harten Kern der Szene, begangen werden. Über zwei Drittel der Täter – überwiegend junge Männer – sind bislang nicht polizeilich aufgefallen. Man kann davon ausgehen, dass sie schon zuvor rassistische Einstellungen hatten, und sich so sehr radikalisiert haben und ihre Hemmschwelle so sehr gesunken ist, dass sie ihre Einstellungen jetzt auch gewalttätig ausleben.
Das liegt zum Teil daran, dass faschistische Organisationen ganz gezielt versuchen, vorhandene rassistische Stimmungen zu mobilisieren. Das gilt etwa für Parteien wie die NPD, DIE RECHTE oder den sogenannten „Dritten Weg“ – eine von militanten Neonazis gegründete Splitterpartei, die u.a. Anfang 2015 eine Google-Map-Karte mit den Standorten von Flüchtlingsunterkünften veröffentlicht hat – mit dem kaum verhohlenen Ziel, zu Anschlägen anzustiften. Die Karte wurde von Google zwar im Juli 2015 entfernt, taucht aber an anderen Stellen im Internet immer noch auf.
Es ist aber nicht nur der Agitation typischer Nazivereine geschuldet, dass Rechtsextreme mittlerweile zur realen Gefahr für Leib und Leben von Flüchtlingen geworden sind.

Wenn man sich mit den Hintergründen dieser rechtsextremen Radikalisierung beschäftigt, muss man sich auch mit dem Mainstream der politischen Diskussion befassen.

Dieser ist von Reflexen der Angst und der Abwehr durchzogen. Die noch nicht im Bundestag aber bereits in fünf Landesparlamenten vertretene rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) setzen ebenfalls auf Rassismus als Zugpferd, um sich in den bevorstehenden Wahlkämpfen zu profilieren. Ihre Umfragewerte sind mittlerweile auf über 10 Prozent gestiegen. Ihre Vorsitzende hatte im Januar gesagt, Polizisten sollten den illegalen Grenzübertritt verhindern, und dabei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen.“ Eine Europaabgeordnete der AfD ergänzte, es solle dabei durchaus auch auf Frauen mit Kindern geschossen werden.
Rassistische Stimmungsmache gibt es aber auch von Teilen der Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten auf Bundesebene, insbesondere von der bayrischen CSU. Seit Monaten fordert sie eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge, ohne erklären zu können, wie rechtlich, praktisch und humanitär gehandelt werden sollte, wenn dann doch mehr Flüchtlinge als „erwünscht“ an der Grenze stehen. Die CSU setzt ihren Koalitionspartner CDU massiv unter Druck, erst vor wenigen Tagen hat ihr bayrischer Ministerpräsident Horst Seehofer der Bundeskanzlerin vorgeworfen, eine „Herrschaft des Unrechts“ zu praktizieren. Damit bezieht sich Seehofer darauf, dass die Flüchtlinge eigentlich nach dem Dublin-Abkommen nicht in Deutschland, sondern in dem EU-Land, das sie zuerst betreten, ihr Asylverfahren durchlaufen sollten. Das ist praktisch aber gar nicht möglich, und selbstverständlich hat Deutschland das Recht, die Verfahren selbst durchzuführen. Der Vorwurf der „Unrechts“-Herrschaft zeigt aber, wie sehr die Gegner der Flüchtlingsaufnahme einer regelrechten Hysterie verfallen sind. Diejenigen, die gewalttätige Anschläge gegen Flüchtlinge begehen, können sich dann im Glauben wähnen, sie handelten gleichsam in Notwehr gegen ein „Unrechtsregime“.

Die anfänglich in der Gesellschaft herrschende Willkommensbereitschaft für Flüchtlinge droht zunehmend von einem Klima der Ablehnung oder der Angst verdrängt zu werden. Gefördert wird dies auch durch die Regierungsmehrheit, wenn auch wesentlich subtiler als vom rechten Rand. Zahlreiche Gesetzesveränderungen zielen auf Abschreckung und Diskriminierung von Flüchtlingen. Dazu gehört etwa die Einstufung aller Westbalkan-Länder als sogenannte „sichere Drittstaaten“, in denen es angeblich keine Verfolgung gibt. Flüchtlinge von dort werden jetzt in speziellen Lagern untergebracht und dürfen sich bis zu ihrer Abschiebung nicht mehr frei im Land bewegen. Außerdem wird über Leistungskürzungen und die Einschränkung des Familiennachzugs diskutiert. Abgeschoben werden soll künftig auch in Länder wie zum Beispiel Afghanistan, obwohl die Lage dort immer unsicherer wird. Mit all diesen Maßnahmen wird das politische Signal ausgesandt, dass die Flüchtlinge eine Bedrohung darstellen – für Rassisten ist diese Botschaft wie Wasser auf die Mühlen.
Um ihnen das Wasser abzugraben und nicht weiter ein Klima gedeihen zu lassen, in dem sich rechte Gewalttäter als Verteidiger des „Abendlandes“ wähnen können – unter diesem Motto etwa mobilisiert die rassistische und islamfeindliche Pegida-Bewegung regelmäßig zu Aufmärschen – muss die Politik eindeutig klarstellen: Flüchtlinge sind keine Bedrohung, sondern bedrohte Menschen, die unsere Hilfe verdienen.

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