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Gesundheit ist (k)eine Ware

Deniz Çelik

Als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zählte die Gesundheitsversorgung lange Zeit zu den staatlichen Kernaufgaben. Im Unterschied zu dem Prinzip der Gewinnmaximierung in der Privatwirtschaft ist das Ziel der Daseinsvorsorge die Grundversorgung für ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen zu gewährleisten. Unabhängig vom Geldbeutel soll als Sozialstaatsprinzip allen Menschen der Zugang zu einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung bereitgestellt werden.

Seit Jahrzehnten entwickelt sich aber das Gesundheitssystem zu einer Gesundheitswirtschaft, in der die Gewinnmaximierung – häufig auch zulasten der medizinischen Versorgung – zum herrschenden Prinzip wird. Immer mehr Krankenhäuser werden privatisiert, Konzerne kaufen Arztpraxen auf und finanzstarke Fonds investieren in die Altenpflege. Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus und dem Wegfall der Systemkonkurrenz durch die sozialistischen Staaten hat sich ein finanzmarktgetriebener Kapitalismus entwickelt, wo sich das enorme Vermögen auf den Finanzmärkten sich immer mehr von der Produktion entkoppelt und nach neuen Anlagemöglichkeiten sucht. Der von der herrschenden Politik betriebene Abbau des Sozialstaates dient dem Zweck neue Anlagemöglichkeiten für das überschüssige Kapital zu schaffen. Öffentliche Güter, wie z.B. Bildung, öffentliche Transportmittel oder die Gesundheitsversorgung werden privatisiert und zu Renditeobjekten von privaten Investoren.

Anhand der Krankenhausversorgung lässt sich gut aufzeigen, wie durch die Umstellung der Krankenhausfinanzierung bewusst eine Privatisierungswelle in Gang gesetzt wurde, die verheerende Folgen für die Patientenversorgung hat. Bis Anfang der neunziger Jahre wurden die Krankenhäuser nach dem Selbstkostendeckungsprinzip finanziert. Das bedeutete das alle anfallenden Kosten für die Versorgung der Patienten von den Krankenkassen finanziert wurden. Im politischen Diskurs wurde jedoch immer wieder von explodierenden Kosten im Gesundheitswesen gesprochen. Dabei betragen die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung seit Jahrzehnten konstant 10% bis 11% des Bruttosozialprodukts. Die explodierenden Kosten waren also ein Mythos, was nicht den Tatsachen entsprach, aber die notwendige Legitimation für einen grundlegenden Reform der Krankenhausfinanzierung liefern sollte. Mit der Einführung von zunächst der Budgetierung und dann der Fallpauschalen (DRG) 2004 war die Grundlage geschaffen, dass Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt wurden, die Gewinne oder Verluste machen können. Denn mit den Fallpauschalen werden Krankenhausleistungen nicht mehr nach den tatsächlich entstandenen Kosten oder Verweildauer, sondern nach festgelegten Pauschalen bzw. fixen Summen für Krankheitsbilder entgolten. Dadurch soll der Wettbewerb unter den Krankenhäusern angeheizt werden mit der Folge, dass Krankenhäuser die besonders stark die Kosten senken – z.B. in dem sie am Personal sparen – oder besonders gewinnbringende Operationen durchführen auch noch mit höheren Renditen belohnt werden. Die Aussichten auf hohe Rendite führten dazu, dass viele kommunale Krankenhäuser, die defizitär wirtschaften, privatisiert wurden.

Allein in Hamburg wurden 2005 nahezu alle städtischen Krankenhäuser privatisiert. Das war eine der größten Schandtaten, die der damalige Senat angerichtet hat. Obwohl die Hamburgerinnen und Hamburger sich beim Volksentscheid mit der überwältigenden Mehrheit von 76,8% gegen die Privatisierung der Krankenhäuser ausgesprochen haben, setzte sich der damalige Senat über alle demokratischen Prinzipien hinweg und verkaufte die Mehrheitsanteile an Asklepios. Die Stadt hat über Nacht ihre demokratischen Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten in den Krankenhäusern verloren. Und auch finanziell war der Ausverkauf der städtischen Interessen dreist und maßlos. Der Kaufpreis wurde mit 243 Millionen skandalös niedrig für 6 der 11 größten Krankenhäuser Hamburgs, die ca. 42% der Hamburger Krankenhausbetten stellen, gesetzt. Obendrein wurden die städtischen Grundstücke pacht- und mietfrei für 70 Jahre an Asklepios überlassen.

Das Prinzip der Gewinnmaximierung führt häufig zur schlechteren Versorgung und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern. Um Renditeziele von 10% bis 12% zu erreichen, wird besonders häufig am Personal gespart, die ca. 60% bis 70% der Ausgaben in einem Krankenhaus ausmachen. Während die Anzahl der Krankenhausfälle seit 1994 allein in Hamburg um 35% gestiegen ist, wurde zunächst das Pflegepersonal massiv abgebaut und ist jetzt durch den leichten Aufwuchs in den letzten Jahren wieder auf dem Niveau wie 1994. Das heißt, immer weniger Personal muss immer mehr Patienten versorgen, was eine eklatante Gefährdung der Patienten mit sich bringt. Die Folgen sind Pflegenotstand, Bettensperrungen und Aufnahmestopps in den Notaufnahmen. Während in Deutschland eine Pflegekraft im Schnitt 12 Patienten betreut, sind es in Norwegen 5 Patienten. Je mehr Patienten eine Pflegekraft zu betreuen hat, desto höher ist entsprechend die Sterblichkeitsrate. Auch Tarifflucht und Auslagerung von Bereichen, wie z.B. die Reinigung oder Küche, an Tochter- bzw. Fremdfirmen sind beliebte Mittel, um Kosten zu sparen. Personalmangel, Arbeitsverdichtung und Überlastung machen Pflegekräfte häufig krank, die durchschnittliche Verweildauer beträgt lediglich 7,5 Jahren. Dabei fehlen mindestens 100.000 Pflegekräfte in ganz Deutschland.

Ein weiteres Instrument zur Profitmaximierung ist der enorme Anstieg von bestimmten, besonders hohen gewinnbringenden Operationen, die medizinisch häufig nicht begründbar oder gar kontraproduktiv sind. Während Operationen an Herzklappen in Hamburg lediglich 98 mal durchgeführt worden sind, waren es im 2015 mit 1469 Operationen extrem hoch. Insgesamt ist die Anzahl aller Operationen seit 2005 um fast 50% gestiegen. Diese Zahlen sind starke Indizien dafür, dass die Profitorientierung zulasten einer guten medizinischen Versorgung geht. Im Gegenzug sind normale Geburten, die eher verlustbringend sind, nicht gut für das Geschäft. Deshalb werden immer häufiger Kaiserschnitte vorgenommen oder die Geburtsstation komplett zugemacht.

Gegen diese Ökonomisierung und Privatisierung haben sich die Beschäftigten angefangen zu wehren, weil sie das nicht länger mit ihrem medizinischen Ethos vereinbar können. Angefangen in der Charite in Berlin hat es bundesweit erfolgreiche Streiks für mehr Personal und eine gesetzliche Personalbemessung in verschiedenen Kliniken gegeben. In Hamburg, Berlin, Bremen und Bayern gibt es aktuell Volksinitiativen für mehr Personal in den Krankenhäusern. In vielen Städten schließen sich Pflegekräfte, Patienten und ihre Organisationen sich zu Pflegeinitiativen zusammen. In Hamburg wurden innerhalb von 30.000 Unterschriften gesammelt. Nun klagt der Senat gegen die Volksinitiative, was einer politischen Bankrotterklärung gleich kommt. Aber die Aktivisten, die eine großen Teil der Bevölkerung hinter sich haben, lassen sich davon nicht beeindrucken und organisieren sich weiterhin in den Betrieben und Stadtteilen.

Die Auseinandersetzung um mehr Pflegepersonal und Personalbemessung ist von zentraler Bedeutung. Denn der Kampf um Personalbemessung in den Krankenhäusern ist zugleich der Kampf gegen die Ökonomisierung und kann die Profitlogik auch ein Stück weit durchbrechen. Die exorbitanten Gewinne der Krankenhaus-Konzerne wären mit Mindestpersonalbesetzungen auf den Stationen schlicht nicht mehr möglich. Die Möglichkeit durch das Einsparen von Pflegepersonal mehr Profit zu erzielen, wäre nicht mehr vorhanden. Und diese Kämpfe können den Ausgangpunkt für weitergehende Forderungen, wie z.B. die Abschaffung des Fallpauschalen-Systems oder Rekommunalisierung von Krankenhäusern, bilden. Denn damit die Gesundheitsversorgung wieder die gute medizinische Versorgung der Menschen statt der Profite in den Mittelpunkt zu stellen, muss die Eigentumsfrage gestellt werden, um die demokratische Gestaltungsfähigkeit im Gesundheitsbereich wieder zu erlangen.

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