Am 22. und 23. September fand in Frankfurt am Main der „Gewerkschaftspolitische Ratschlag der Gewerkschaftslinken“ statt. Bis zu 100 aktive bzw. Mitglieder aus verschiedenen Einzelgewerkschaften kamen zusammen und diskutierten über die Situation der Gewerkschaftsbewegung.
Heinz Kroha, Gewerkschaftssekretär der Verdi, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass die Lasten der Krise europaweit auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, die Abhängigbeschäftigten in vielen europäischen Ländern aber sich gegen die sogenannten „Eurorettungspläne“ wehren. Er sagte weiter „auch wenn die Bewegung in Deutschland nicht so stark ist, wird sich diese Ruhe nicht lange halten können…“. Kroha unterstrich in diesem Zusammenhang die Rolle und Aufgaben der Gewerkschaften noch einmal. Ein weiterer Referent war Prof. Frank Deppe, der die Gewerkschaften dahingehend kritisierte, viel über Missstände und Krise zu reden, aber wenig gemacht haben, die Gegenbewegung zu stärken.
Bernd Riexinger, Gewerkschaftssekretär in Baden-Württemberg und Vorsitzender der Partei Die Linke, der ebenfalls bei dem Vernetzungstreffen dabei war, sagte: „Die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist trotz etwas besserer Tarifabschlüsse weit davon entfernt, ihre strukturellen Probleme zu überwinden. Die Regulierungsfähigkeit der Gewerkschaften bei Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen hat deutlich abgenommen“, so Riexinger weiter. Von den Gewerkschaftsspitzen werde dieser „gigantischen Umverteilung von unten nach oben“ zu wenig entgegengesetzt.
Die Teilnehmer des Gewerkschaftspolitischen Ratschlags sprachen sich dafür aus, dass es notwendig ist, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich wieder auf die Tagesordnung der Gewerkschaften zu setzen. Kritik gegenüber der DGB-Führung gab es hinsichtlich der Unterstützung für die Politik der „Euro-Rettung“, die auf Kosten der Beschäftigten und Erwerbslosen getragen wird.
Auf dem Ratschlag wurde folgende Resolution verabschiedet, die wir hier gekürzt wiedergeben:
Die beim gewerkschaftspolitischen Ratschlag in Frankfurt versammelten KollegInnen und Kollegen aus den verschiedenen DGB-Gewerkschaften haben sich mit den aktuellen Herausforderungen auseinandergesetzt, vor denen die Gewerkschaften in der Krise stehen. Gewerkschaften in der Krise in doppelter Bedeutung: Zum einen, weil es sich nicht nur um eine tiefgreifende Wirtschaftskrise handelt, es ist auch eine ökologische Krise, eine Ernährungskrise usw. Zum anderen, weil ganz unübersehbar die Gewerkschaften – auch in der Bundesrepublik – selbst in der Krise sind: Ihre faktische Gestaltungsmacht ist gesunken. Die Mitgliedsverluste der letzten 20 Jahre in den meisten Einzelgewerkschaften sind nicht gestoppt, geschweige denn wieder ausgeglichen.
Zweifellos gibt es objektive, gesellschaftliche Gründe, die zum Bedeutungsverlust beigetragen haben […]. Ganz wesentlich aber erscheint uns die seit Jahren praktizierte Politik des Stillhaltens, der Konfliktvermeidung und oft auch des Co-Managements. Die Gewerkschaften sind auf diese Weise sehr weit von einer Position der Gegenmacht abgerückt.
Dies erweist sich vor allem bei folgenden Fragen:
• In der Frage der Euro-Krise vermissen wir bei den Gewerkschaftsführungen eine klare Positionierung internationaler Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in den südeuropäischen Ländern, die unter der grausamen Sparpolitik der Troika leiden. Stattdessen haben die Gewerkschaftsführungen sogar an die Bundestagsabgeordneten appelliert, dem Stabilitätspakt zuzustimmen, der genau diese Politik fortsetzt und verschärft. Das halten wir für skandalös. Wir engagieren uns für eine breite internationale Solidaritäts- und Widerstandsbewegung gegen die Politik der Troika ein und werden uns dafür einsetzen, dass europaweite Aktionstage auch hier eine breite Beteiligung erfahren.
• Wir begreifen prekäre Beschäftigung als Herausforderung an alle GewerkschafterInnen. Sie ist eine Bedrohung und ein Druckmittel auf alle Beschäftigten. Speziell die Leiharbeit müsste unmöglich gemacht werden, was mit Bezug auf den Grundsatz „gleicher Lohn und gleiche Behandlung für gleichwertige Arbeit“ eigentlich leicht zu machen wäre. […]Wir machen uns für die Abschaffung der Leiharbeit stark.
• Wir setzten uns dafür ein, den fortgesetzten Reallohnabbau zu stoppen und die Verteilungsfrage neu zu stellen. Wir erwarten dies auch von unseren Gewerkschaftsvorständen. Allerdings haben Ver.di und IG Metall es auch dieses Jahr versäumt, ihre Tarifrunden offensiv zu führen, miteinander zu verschränken und zu einer politischen Auseinandersetzung zu machen. […] Dabei scheuen wir uns auch nicht, die Systemfrage zu stellen.
• Wir betrachten die Arbeitszeitverkürzung als ein zentrales, wenn nicht das zentrale Instrument im Kampf gegen Erwerbslosigkeit und Unterbeschäftigung und erwarten eine solche Haltung auch von den Gewerkschaftsführungen. Wir sind uns bewusst, dass es keine einfache Aufgabe ist, aber wir setzen uns dafür ein, den Kampf für Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten bei vollem Personal- und Entgeltausgleich wieder aufzunehmen und wollen entsprechende Initiativen in den Gewerkschaften vorantreiben. […]
• Das Streikrecht ist bedroht, u. a. durch die Aktivitäten des Kapitalverbandes BDA, der dies
durch Gesetzesänderungen massiv einschränken will. Hier darf keine Gewerkschaft
mitspielen! […]
• Die Gewerkschaften müssen sich mehr der Jugend öffnen und sich flexibler zeigen, um sie
zum aktiven Engagement zu ermutigen.
Die an dem Ratschlag beteiligten Organisationen, Arbeitsgemeinschaften und Netzwerke sprechen sich ausnahmslos dafür aus, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren. Dabei wollen wir in nächster Zeit unsere Initiativen untereinander absprechen, um sie möglichst wirksam voranzubringen. Dazu werden wir uns zu verschiedenen Kampagnen verabreden, die wir gemeinsam in den verschiedenen Einzelgewerkschaften einbringen wollen. Wir unterstützen die Kampagne zur Abschaffung der Leiharbeit sowie zur Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro lohnsteuerfrei.