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Gleichberechtigung in der Sprache und Medien

Ulli Weish ist Lehrbeauftragte des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Sie ist Geschäftsführerin des freien Wiener Radios ORANGE 94.0, Medienaktivistin und Feministin. Wir haben mit ihr über Gleichberechtigung, Sprache und Medien gesprochen.

Zeynem Arslan

Welche geschlechterstereotypisierenden Bilder werden in den Mainstream-Medien mit Sprache gezeichnet und zum Diskurs gemacht? Was fällt dir aus medienwissenschaftlicher Sicht auf?

Was mir auffällt, ist, dass es in den Mainstream-Medien eine Art „Sprachkulturkampf“ gibt. Seit den 1960/70er Jahren gibt es eine Kritik an einer männlichen Sprache, die für alle gelten soll. Der ganze Diskurs wird stark verzerrt, als hätte es in der Geschichte immer ein generisches Maskulinum gegeben. Das ist natürlich falsch. Erst im 19. Jahrhundert wurde das generische Maskulinum als allgemeiner Sprachgebrauch auch in der Rechtssprache eingeführt. Es hat eine sprachliche Dominanz von etwa 150 Jahren und wird erst seit knapp 50 Jahren wieder in Frage gestellt. Kritik an der geschlechtergerechten Sprache gab und gibt es schon sehr lange. Sie sei zu umständlich, zu ungewohnt, zu kompliziert und klinge nicht gut. Dem möchte ich mich teilweise anschließen, teilweise aber auch völlig widersprechen. Es kommt darauf an, wer mit welcher Intention spricht und was gemeint ist. Wir können eine geschlechtergerechte Sprache so verwenden, dass sie positiv und kraftvoll klingt, dass auch neue Bezeichnungsformen möglich sind oder neue Begriffe populär werden, wie z.B. FLINTA*. Es wäre wichtig, dass auch der Mainstream genauer beschreibt, was Szenen meinen und nicht diese Verwirrung befeuert, dass alles so kompliziert in der Benennung ist, wenn plötzlich ein Teil der Bevölkerung sprachlich sichtbar wird. Dasselbe, wenn ein Sternchen auftaucht, um auf die Heterogenität hinzuweisen und auch darauf, dass es sich vielleicht auch um Konstruktionen handelt, die in der Sprache enthalten sind.

Wie interpretierst du also die beharrliche und ablehnende Diskussion über die sensible und inklusive Sprache?

Wir haben einerseits eine Sprache der Pseudo-Natürlichkeit, die keine Natürlichkeit war und ist, nämlich die männliche Norm. Diese hat sich noch nicht einmal so lange überall dominant durchgesetzt, weil sie auf eine Einfachheit zurückgreift, die abwertend und ausschließend ist. Umgekehrt schafft sie einen komplizierten Kulturkampf, der aber auch so viel wieder in Bezeichnungen bindet, dass wir manchmal gar nicht zu den Kernthemen kommen. Wir halten uns so lange mit sprachlichen Bezeichnungen auf, bis sich jeder damit wohl fühlt. Die inhaltlichen Themen werden sehr oft überlagert von dem scheinbaren Bedürfnis, bestimmte Reizwörter besonders positiv oder negativ zu besetzen. Das ist mir zu unpolitisch. Wir können uns lange mit Nebensätzen aufhalten und haben dann keine Zeit mehr für andere Themen, die zusätzlich in die Sprache eingebaut werden müssen. Die Sprache an sich ist ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten ändern, das ist gut so und gleichzeitig brauchen wir eine Debattenkultur, die das Visavis mit einbezieht. Und das soll kein Skandal sein, sondern eine Form der Höflichkeit, die Erneuerung schafft.

Anlässlich des 8. März werden sehr viele Themen angerissen, die in ihrem Umfang teilweise überfordernd sind. Wie ist – deinen Beobachtungen zufolge – die Effektivität der Diskussionen, die in dieser Zeit ihren Lauf nehmen?

Die Themen, die Feminist*innen über das ganze Jahr hinweg thematisieren müssen, sind vielfältig. Sei es Gewalt gegen Frauen und Mädchen und gegen Menschen, die als Frauen gelesen werden. Sei es die Normalisierung militärischer Tugenden und Polarisierungen in weltpolitischen Zusammenhängen. Das sind alles sehr wichtige Aspekte, die das ganze Jahr über relevant sind. Oder Frauenarmut oder geschlechtsspezifische Segregation in Berufsfeldern. In der Frage des Gender Pay Gap liegt Österreich seit zehn Jahren jedes Jahr auf dem vorletzten Platz. Interessant ist auch die Frage der Repräsentation z.B. in öffentlichen Ämtern, inwieweit Österreich hier hinterherhinkt. Österreich wirkt aufgrund der Sprache kulturell ähnlich wie Deutschland, aber wir haben ganz andere statistische Daten, wo uns z.B. bei der Lohnungleichheit Rumänien und Bulgarien abgehängt haben. Das ist eigentlich ein Skandal und das wird überhaupt nicht thematisiert. Genauso wie die Berufsgruppen im Journalismus all die Jahrzehnte geglaubt haben, dass gut ausgebildete junge Frauen durch ihre Präsenz in wichtigen Positionen zunehmend medienwirksam gegen Rollenstereotype wirken könnten. Das hat sich als Mythos erwiesen. Es geht darum, das ganze Jahr über Ungleichheiten zu sprechen, aber absurderweise soll um den 8. März herum die ganze Expertise in einem Moment herauskommen. Wir sollen alles, was wir wissen, an einem Tag aus uns herausschleudern und das ganze Jahr über ist es egal. Das finde ich schwierig.

Wie stehst du zu den Debatten zum Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“?

Als es in Österreich die in der Bevölkerung und in den Medien unbeliebte Große Koalition gab, gab es immer wieder Initiativen, die „Kindergartenmilliarde“ umzusetzen. Dabei hätte der Bund den Ländern eine Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt.

Lange Zeit galt diese Idee als Angriff auf die „heilige Familie“. Denn sie wolle die Kinder aus den Familien reißen und in Zwangskindergärten abschieben. Jetzt, wo Arbeitskräfte fehlen, geht es plötzlich wieder um die „Reservearmee Frau“. Dann ist die Rede von der sogenannten „Wahlfreiheit Familie oder Beruf“ und es geht um „individuelles Aushandeln“ in Beziehungen etc. Es geht also gar nicht um strukturelle Forderungen, die Vereinbarkeit für Familien überhaupt garantieren können, also z.B. dass qualifizierte Teilzeit auch für Männer möglich wird, so dass ein Familieneinkommen in jedem Fall gesichert werden kann. Das Dilemma der Karenz ist nicht, dass die „dummen Frauen“ an ihren Kindern kleben und die „egoistischen Männer“ ihre Kinder nicht wahrnehmen, sondern das Dilemma ist, dass die Einkommensschere eben nicht geschlossen wird, dass es um strukturelle Abwägungen geht, wer zu Hause bleibt, wie sich das dann mit dem gesamten Familieneinkommen ausgeht etc. Ich glaube, ganz wichtig muss sein, dass wir weniger Stunden arbeiten, wenn Menschen Betreuungspflichten haben. Wir haben auch ein anderes Lebensmodell als in den 1950/60er Jahren; es wird Phasen geben, wo Eltern sich auch weiterbilden wollen; wo auch Männer in nicht-traditionelle Berufsfelder gehen, wie z.B. Elementarpädagogik, Care-Arbeit etc. Es geht um Fragen der Durchmischung der segregierten Berufe, um auch die Berufslogiken dahinter zu reflektieren. Für Frauen bedeuten rechtskonservative Mehrheitsregierungen immer, dass traditionelle Diskriminierungsverhältnisse im Grunde weiter normalisiert werden sollen.

Und warum steht dieses Gendern plötzlich so weit oben auf der Agenda?

Weil es ein billiger Aufreger ist. So funktioniert das in diesem rechtskonservativen Land. Man macht eine Umfrage und fragt: „Sind Sie für das Gendern?“, und allein in der Frage wäre es interessant zu wissen, was man die Leute konkret fragt. Die meisten Leute geben an, dass es nicht das Dringendste ist, also ist es irgendwo ganz unten und dann weiß man, dass es ein billiger Aufreger ist, weil es eigentlich nichts kostet. Alles, was man strukturell ändern müsste, bräuchte auch Budgets und ob man geschlechtergerechte Sprache abschafft oder zulässt, ist eigentlich eine Frage von Formalia, die wenig ins Budget eingreifen. Bei den Rechtskonservativen hat bekanntlich die Mehrheit immer Recht, egal was man fragt. Ich halte das insgesamt für eine billige Debatte, die uns überhaupt nicht weiterbringt. Das ist symbolisch so wichtig wie die Nationalhymne. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir eine sensible oder exakte Sprache verwenden. Wo nur die Männerquote regiert, können wir auch das männliche Genus lassen. Wenn es nur um Vorstandsvorsitzende Männer geht, kann man das sichtbar machen, aber die vielen Systemerhalter*innen können wir auch so ansprechen, wie sie sind, nämlich in der Heterogenität.

Was hat es mit der Idee auf sich, dass die Welt eine Bessere sein würde, wenn Frauen an die Macht kommen und Führungspositionen übernehmen würden?

Wenn wir auf die weltpolitische Ebene schauen, haben wir im Moment sehr toxische Männer als Führungsfiguren. Stark involviert in Kriegspropaganda und Kriegspraktiken, die zum Beispiel einhergehen mit der Normalisierung von Debatten, dass Frauen immer weniger legale Möglichkeiten haben, über ihre eigene Reproduktion zu verfügen. Zum Beispiel, wie viele Kinder sie gebären wollen. Somit ist in der Welt rigoros ein konservativer Trend in Sachen Anti-Abtreibungsdiskurs da, also eine „heilige Lebensdebatte“, die vor 20 Jahren undenkbar war. Auf der anderen Seite gibt es die Bereitschaft, junge Männer in den Krieg zu schicken, die für das Vaterland oder für Ressourcen oder für einen Kolonialdiskurs ihr Leben lassen. Wir haben sehr alte, fast archaisch anmutende Rollenbilder, die anscheinend keine Aufklärung in dieser Polarisierung erschüttert hat. Das ist sehr absurd. Gleichzeitig hören wir zu Recht die Kritik, dass sehr machistische oder auch antifeministische Frauenbilder von rechten Frauen als Führungsfiguren vertreten werden. Das ist schwierig für alle, die Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit, Friedenspolitik, Partnerschaft, Partizipation und Solidarität in der Welt leben wollen. Was ich insgesamt auch so schwierig finde, ist, dass die Geschlechtersozialisation in die Richtung geht, dass wir gerne „Held*innen“ wollen. Heldinnen, das heißt, dass die Frau an der Spitze alles anders machen soll, als es möglich ist. Dann kann es bitter sein, wenn Frauen auch nur die Linie ihrer Partei oder die Interessen ihrer Konzerne an die Spitze bringen. Niemand würde von Männern erwarten, dass sie eine Einheitspolitik haben oder eine Einheit per se darstellen. Bei Frauen ist es ein Riesenproblem, wenn eine Frau Le Pen (Marine Le Pen, rechtspopulistische französische Politikerin der rechtsradikalen Partei „Front National“) das sagt und eine radikale linke Politikerin das Gegenteil.

Was ist unter diesen Gesichtspunkten also als „normal“ anzusehen?

Auch bei Frauen wie bei Männern gibt es diese Bandbreite an Meinungsverschiedenheiten, Diskursen, Konflikten etc. Das ist die Normalität, um einen Normalitätsbegriff zu beanspruchen. Natürlich gibt es die Heterogenität unter Frauen, wie sollte es auch anders sein? Es gibt auch hier keine einheitliche Meinung und gleichzeitig gibt es eine große Sehnsucht, auch von Feminist*innen, dass Frauen in Führungspositionen es für andere besser machen. Und das gibt es teilweise, nämlich wenn Frauen sich als Feministinnen definieren und selbstkritisch bleiben und sensibel bleiben, was ihre Macht betrifft, also auch Macht abgeben können, wenn Fehler gemacht werden, auch zu Fehlern stehen, wenn sie da sind und da glaube ich, dass es einen unterschiedlichen Umgang mit Fehlerkulturen gibt. Frauen neigen sehr schnell dazu, Fehler zuzugeben und zu gehen oder sich mehrfach zu entschuldigen und das ist sehr oft ein Indiz dafür, dass andere diese Personen nicht als stark lesen. Wir erwarten also eine andere Art von Heldentum, auch in der Politik, die eigentlich Verantwortungslosigkeit verlängert und das wirkt dann scheinbar sicher. Die Art von Überforderung „Frauen sollen alles machen: Liebe, sozialen Wandel, perfekte Leistung im Beruf usw.“ ist unrealistisch. Es braucht also eine Normalisierung von Gleichberechtigung, dass es auch unsympathische Frauen in Führungspositionen geben soll, darf und muss, weil es nicht geht, dass es eine Einheitssympathie gibt. Auch das ist ein männlicher Stolperstein. Natürlich lieben sich nicht alle Frauen, aber es gibt doch die Sehnsucht, dass aus einer Unterdrückungskultur eine Verbesserung erwachsen kann. Gleichzeitig wissen wir es empirisch nicht, wir haben leider das Matriarchat empirisch nicht als Messlatte. Da können Frauen viele Phantasien entwickeln. Vielleicht ist es auch schwieriger, mit diesen überladenen Phantasien umzugehen.

Wie kann die Bildung von Solidaritäten zwischen Frauen und Frauengruppen – auch auf internationaler Ebene – heute im 21. Jhdt. funktionieren?

Die letzte große öffentliche UN-Weltfrauenkonferenz fand 1995 statt. Dann kam „war against terror“, dann kamen ganz andere Themen der Fragmentierung etc. Ich wünsche mir, dass wir eine Frauen-Friedens-Solidaritäts-UN-Debatte haben, die quer zu all den aktuellen Konflikten und auch den Ressourcenkriegen unserer Zeit auf der Gender-Ebene sensibel reflektiert: Wer stirbt, wer rennt, wer wird versorgt, wer bekommt welches Stück vom Kuchen. Ich glaube, es ist an der Zeit, auch auf UN-Ebene, auch wenn es verdammt schwierig erscheint, dass sich verschiedene Frauen zusammensetzen. Wir brauchen keine Beschlüsse, die hinter den Beschlüssen von Peking zurückbleiben. Es muss weltweit symbolisch sichtbar werden, dass feministische Politik gleichzeitig Friedens- und Verteilungspolitik sein muss!

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