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Gottloses Gezwitscher?!

 fazil

Der international renommierte Komponist und Pianist Fazil Say wurde vergangene Woche von einem Istanbuler Gericht wegen „Verletzung religiöser Werte“ zu einer zehnmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Mit anderen Worten: Sollte sich Say in den nächsten fünf Jahren etwas Ähnliches zu Schulden kommen lassen, droht ihm das Gefängnis. Mit mehreren Kommentaren auf Twitter soll Say den Islam und damit auch die Gläubigen beleidigt haben. Bereits kurz nach der Ankündigung löste das Urteil einen Sturm der Kritik aus. Say, der während der Urteilsverkündung in Deutschland auf Tournee war, erklärte, dass er sich Sorgen um den Zustand der Meinungsfreiheit in der Türkei mache.

 

„Ist das Paradies etwa ein Bordell?“

Anlass für die Verurteilung Says, hinter der drei Kläger stecken, die teilweise zu einer bekannten türkischen Kreationistenbewegung gehören, sind einige Tweets, die Fazil Say im vergangenen April postete, in denen er sich über einen Imam lustig macht. Außerdem gehören mit zur Straftat, die retweeteten Verse des mittelalterlichen persischen Dichters Ömer Khayyam (1048-1131), der damals schrieb: „Du behauptest, durch die Bäche wird Wein fließen – ist das Paradies etwa eine Schänke? Du sagst, jeder Gläubige wird zwei Jungfrauen bekommen – ist das Paradies etwa ein Bordell?“ Zwar argumentierte die Verteidigung Fazil Says, die Tweets seien persönliche Meinungsäußerungen, die privaten Charakter haben, da sie ja nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich wären. Das Gericht aber lehnte die Argumentation der Verteidigung ab, und sah die Kläger in ihren „religiösen Gefühlen“ verletzt.

 

Fazil Say – erklärter Atheist

Fazil Say, der schon in etlichen Philharmonien der Welt und mit den großen Orchestern in New York, Tokio und Europas spielte, hat sich bei den türkischen Konservativen schon vor einigen Jahren unbeliebt gemacht, da er auch als erklärter Atheist zu den bekanntesten Kritikern der regierenden AK-Partei gehört. Deshalb wird im Gegenzug von vielen Regierungsnahen seine Musik oft als westlich geschmäht, die vom türkischen Volk abgelehnt werde. Doch anders als es die Kulturpolitiker der Regierung beschreiben, ist seine Musik gerade dadurch erstanden, weil sie eine Symbiose von anatolischer Volksmusik und der westlichen Klassik darstellt. Immer wieder hat er mit seinen Kompositionen auch auf aktuelle sowie auch vergangene gesellschaftliche Geschehnisse reagiert, wie das Massaker von Sivas oder auch zuletzt mit seiner Komposition für den ermordeten armenischen Journalist Hrant Dink.

 

Urteil trotz Protest

International sowie national wurde die Verurteilung von Fazil Say mit Entsetzen aufgenommen. Der bekannte türkeistämmige Bildhauer Mehmet Aksoy, dessen riesige Friedensstatue in der Nähe von der türkisch-armenischen Grenze vor Kurzem abgerissen wurde, erklärte: „Das Urteil gegen Fazil Say wirft uns 900 Jahre, hinter die Zeit von Ömer Khayyam, zurück. Für die Meinungsfreiheit in der Türkei ist die Verurteilung von Fazil Say eine Katastrophe“. Auch der Oscar-Preisträger Costa-Gavras, der für seine politischen Filme bekannt ist, erklärte sich besorgt, während er beim Filmfestival Istanbul als Ehrengast seine Begrüßung hielt: „Wenn die Kunst der Macht untergeordnet wird, ist das gefährlich. Die Kunst muss frei sein. Man kann Kunst nicht vom Menschen trennen, nicht vom Leben und dem, was in der Gesellschaft vor sich geht.“ Er sprach sich auch vor allem gegen den Abriss des Emek-Kinos aus, welches mittlerweile als kulturelles Erbe gesehen wird. Seit 1924 steht es nun in Beyoglu, wo in Zukunft anstelle eine Shopping-Mall entstehen soll. Genco Erkal, Schauspieler, hingegen sagte: „Noch vor der Gerichtssitzung dachte ich, dass eine Strafe nicht fällig sein wird, da die Reaktionen national und international sehr groß waren. Vor allem dachte ich das auch, weil das, was retweetet worden ist, noch nicht einmal Fazil Says eigene Worte sind. Und gerade das ist absurd und unverständlich. Ich denke, dass dieses Urteil gegen uns alle geht – gegen alle, die gegen den Strom reden und handeln. Man ist gerade dabei, ein Land zu kreieren, in dem keiner mehr spricht. Das ist beängstigend.“ Auch in Deutschland erklärten viele Schriftstellervereinigungen, Abgeordnete und Künstler ihren Protest gegen das Urteil. Im vergangenen Jahr hatten bereits über 100 Bundestagsabgeordnete einen Appell an die AKP-Regierung unterzeichneten.

 

Yasemen Ilhan

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