Dirim Su Derventli
Am 15. Mai demonstrierten Schüler aus ganz NRW gegen die Schulzeitverkürzung G8, Leistungsdruck und Turbo-Abitur. Die LandesschülerInnenvertretung NRW rief mit ihrer Kampagne „Gute Nacht G8“ zur Demo in Düsseldorf auf. Aus dem größten Bundesland der Republik nahmen nur knapp 400 Schüler aus verschiedenen Schulformen teil. Dabei hat NRW über drei Millionen Schülerinnen und Schüler.
Nicht nur die Schul- und Weiterbildungslaufbahn der Gymnasiasten wird durch die Auswirkungen der Schulzeitverkürzung beeinflusst, sondern auch die der anderen Schüler. Das Gegenteil zu behaupten, wäre gutgläubig: Die G8-Reform bringt nämlich nicht nur einen langen unstrukturierten Schultag mit sich. Alleine durch den diesjährigen gymnasialen Doppeljahrgang werden Arbeitsmarkt und Studiengänge überflutet. Die Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz wird von Jahr zu Jahr schwieriger und für Schüler mit geringen Chancen auf Förderung nahezu unmöglich. Der Lehrplan wurde außerdem nicht ausreichend überarbeitet. Ein Schuljahr in Form von Nachmittagsunterricht nachzuholen erweist sich als Glückssache. Der Stoff bleibt kaum hängen, Experten nennen das „Bulimie-Lernen“. Das schnelle Lernen von neuen Inhalten erfordert viel Kapazität, deshalb soll der Schüler nicht verstehen, sondern auswendig lernen, schnell vergessen und Platz für Neues schaffen.
Schule ist mittlerweile keine Nebenveranstaltung mehr, dass muss zum Bewusstsein werden. Schule ist ein Lebensraum und Lebensräume müssen entsprechend gestaltet werden. Das weiß jeder, auch die Politiker. Immerhin hat die NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann bei einer Rede betont: „Denn auch für die Gymnasien gilt: Kein Kind darf verloren gehen.“ Aber wieso gibt es dann keine Verbesserung? Ganz einfach: Das Land braucht junge Pioniere auf dem Arbeitsmarkt, die Besten der Besten. So lernen wir schnell, dass wir uns im Wettbewerb Schule alles erkämpfen müssen. Das Sprichwort „Wer zuerst kommt, malt zuerst“ zahlt sich aus. Schüler sollen nicht denken, nicht handeln, nichts sagen. Sie sollen möglichst früh lernen, zu arbeiten und „zu funktionieren“. Das wird nicht laut gesagt, aber gedacht. Warum sonst sollten nur 400 Schüler an einer landesweiten Demonstration teilnehmen? Wieso sollten sich nur 400 Schüler über ihren Zustand empören? Nicht etwa aus mangelndem Interesse, sondern aus Angst. Sie haben Angst, zu versagen. Angst, aussortiert zu werden. Angst, nicht mehr der Beste sein zu können. Sie können es sich nicht leisten, zu fehlen. Und diese Kinder, die gehen verloren. Egal ob auf dem Gymnasium oder anders wo.
Leistungsdruck, Konkurrenzkampf, wenig Freizeit und Angst; daraus besteht der Alltag aller Schüler. Es gibt weder Möglichkeiten zur Entfaltung der Persönlichkeit, noch Zeit für soziales Engagement. Schule hat einen Erziehungsauftrag, aber der wird lange nicht mehr erfüllt. Wie sollen sich aus diesen jungen Menschen noch mündige Erwachsene entwickeln? Was sich hierbei entwickelt, sind Marionetten der Gesellschaft und Solidarität am späteren Arbeitsplatz wird zum Fremdwort. Das Hauptproblem ist hierbei nicht nur G8. Sicherlich kann es eine Lösung für das Problem geben, wie es für jeden Baustein im System eine Lösung geben kann. Die eigentliche Frage ist: Wann werden die Schüler ernst genommen, damit diese Bausteine aus dem Weg geräumt werden können?