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Hat Deutschland „Bildungslücke“ wirklich geschlossen?

Şilan Küçük

Seit Jahren ist das deutsche Bildungssystem eine offene Wunde, die „deutsche Schande in der Welt“. Denn jedem ist bekannt, dass es im deutschen Bildungssystem ein Ungleichgewicht gibt. Das dreigliedrige Schulsystem ist veraltet und der Erfolg eines Schülers hängt von seiner ökonomischen und sozialen Herkunft ab. Das Einkommen der Eltern ist entscheidend für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Soweit, so gut, das leugnen nicht mal mehr die Regierenden und Herrschenden.

Doch nun zeigt eine aktuelle OECD-Studie, dass sich hierzulande in den vergangenen Jahren –scheinbar- viel verbessert hat. Die Kluft -zwischen „gut“ und „schlecht“- habe sich verkleinert. Zwar hänge der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland immer noch stark von ihrem Elternhaus ab, aber die Lücke habe sich zwischen den Leistungen von Kindern aus bildungsfernen Schichten und Kindern aus besser situierten Elternhäusern wesentlich verkleinert. Die OECD Studie berichtet diese Information in ihrer neuesten Bildungsstudie und führt Deutschland explizit als Beispiel an für die Möglichkeiten, durch ein entsprechendes Bildungssystem mehr Chancengerechtigkeit herzustellen. „Obwohl kein Bildungssystem hundertprozentige Chancengerechtigkeit herzustellen vermag, können durchaus Verbesserungen dieser Chancengerechtigkeit erzielt werden, selbst wenn gleichzeitig auch die gesamte Performanz des Bildungssystems verbessert wird“, schrieben die Forscher.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler aus einer bildungsfernen Familie schlechte Kompetenzen im Lesen erwirbt, ist im OECD-Durchschnitt doppelt so hoch, als ein Schüler aus einem gebildeten Elternhaus. Das heißt, der Schüler mit sogenannten sozio-ökonomischen Vorteilen, erzielt im Durchschnitt im Lesetest der PISA 88 Punkte mehr, als ein Schüler mit sozio-ökonomischen Nachteilen. Also ist der Schüler aus „bildungsnahem“ Elternhaus seinen gleichaltrigen Mitschülern aus „bildungsferneren“ Schichten zwei Jahre im Voraus.

Schüler aus Kanada, Estland, Finnland, Hong-Kong, Island, Südkorea, Liechtenstein und Norwegen schnitten vergleichsweise besser ab, als der Durchschnitt der Studie. Am ungerechtesten verteilt seien die Chancen dagegen für Schüler aus Argentinien, Österreich, Belgien, Bulgarien, Dubai, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Israel, Luxemburg, Neuseeland, Panama, Peru, Uruguay und den Vereinigten Staaten.

Allerdings sollen sich die Ergebnisse verbessert haben. Dies sei auch in Deutschland der Fall. An dieser Stelle wird Deutschland ausdrücklich als ein positives Beispiel gewürdigt. Die Lücke zwischen Kindern und Jugendlichen mit guten Chancen und den benachteiligten Jugendlichen habe sich hierzulande weitgehend geschlossen. Dies sei ein Indikator, dass in diesem vorhandenen Bildungssystem Verbesserungen zu faireren Chancen für alle Kinder führen könnten. Doch es stellt sich die Frage, kann es denn nicht sein, dass sich die Lücke deswegen geschlossen hat, weil die eigentliche Gesamtleistung der Schülerinnen und Schüler verbessert hat? Schließlich liest man in allen Regionalzeitungen: „Hauptschulen schließen“. Die Häufigkeit eine Hauptschulempfehlung zu bekommen, nimmt von Jahr zu Jahr ab. In den letzten zwei Jahren kamen an den Hauptschulen pro Schuljahr höchstens zwei Klassen zustande, weil eben die Nachfrage auf diese „Restschule“ gesunken ist.

Schließlich geht aus der Studie hervor, dass Schüler aus bildungsnahen Familien zwei Schuljahre im Voraus sind, als Schüler aus bildungsfernen Familien. Inwiefern kann man von einer geschlossenen Lücke reden? Ja, es kann sein, dass der „Zugang“ zur Hauptschule abgenommen hat. Doch dies ist nicht der Erfolg des Bildungssystems, sondern wie oben erwähnt, weil sich eben die Gesamtleistung der Schülerinnen und Schüler verbessert hat. Noch Ende September attestierte die OECD Deutschland miese Bildungschancen und im selben Monat noch eine, worin es hieß, dass Arbeiterkinder nicht den Mut haben, ein Studium aufzunehmen. Kurze Zeit später bezeichnete die Bundesregierung die Indikatoren der Studie als Unding. Die ehemalige Bildungsministerin Schavan kritisierte noch im September im Bundestag die Studie. Jetzt stellt sich die Frage, wie schnell hat sich die große Lücke geschlossen, beziehungsweise verkleinert? Die OECD-Studie hatte doch vieles an dem deutschen Bildungssystem zu kritisieren, viele Fakten und Daten dazu angegeben. Nun sind seit September gerade einmal fünf Monate vergangen. Wie schnell die Bildung hierzulande anscheinend an Qualität gewonnen hat, ist wirklich erstaunlich! Oder soll die aktuelle Feststellung nur zur Versöhnung zwischen den Forschern und dem Bildungsministerium dienen?

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