Doğuş Birdal
Sümeyra Akdeniz Ordu ist Mitglied im Participant Comitee der „Freedom Flottila Coalition“ und Ehefrau von Şuayb Ordu, einem der Aktivisten, die auf dem Hilfsschiff „Madleen“ vom israelischen Militär entführt worden sind. Şuayb ist mittlerweile (bevor dieses Interview geführt wurde) sicher in Deutschland angekommen.
Kannst du uns von eurer Aktivität bei der „Freedom Flottila Coalition“ (FFC) erzählen und wie du selbst dazu gekommen bist, aktiv zu werden – bis zur Entführung eures Hilfsschiffes?
Nach dem Abi habe ich Theologie und Soziale Arbeit studiert und arbeite jetzt als Religionsbeauftragte und Sozialarbeiterin. Mit meinem Mann Şuayb sind wird schon seit einem Jahr aktiv bei der FFC, weil wir einfach nicht weiter zusehen konnten, aktiv handeln und etwas gegen das Elend in Gaza tun wollten. Auch während dem Erdbeben in der Türkei waren wir vor Ort und haben versucht, zu helfen. Auch in Bezug auf den Genozid in Gaza, der sich vor unser aller Augen seit Jahren abspielt, haben wir das selbe gedacht und nach einer Möglichkeit gesucht, aktiv etwas zu tun und sind dadurch bei der FFC gelandet. Wir kannten die FFC schon seit 2010, als sie mit der „Mavi Marmara“ zusammengearbeitet haben. 10 Zivilisten an Bord der „Mavi Marmara“ wurden damals auf internationalen Gewässern von der israelischen Armee umgebracht. Deshalb waren wir uns der Risiken auch schon bewusst. Wir wollten uns dennoch, koste es was es wolle, für Gaza einsetzen. Im April letzten Jahres trafen wir uns in Istanbul, von wo aus 3 Schiffe mit einer Kapazität von 1000 Menschen Hilfsgüter nach Gaza bringen sollten. Menschen aus 52 Ländern wollten an der Aktion teilnehmen und wir haben alle möglichen „Non-Violence-Trainings“ abgeschlossen, um eine mögliche Wiederholung einer Situation wie bei der „Mavi Marmara“-Mission zu verhindern. In dem ganzen Prozess wurden uns bürokratische Hürden vorgeschoben, die wir allerdings Schritt für Schritt überwunden haben. Kurz bevor wir einsteigen wollten, wurde uns allerdings durch Bestechungen der israelischen Regierung die Flagge weggenommen. Wir haben dennoch nicht aufgegeben und haben uns weitere Missionen vorbereitet.
Kannst du uns bisschen mehr über die FFC erzählen? Aus wie vielen Nationen nehmen Aktivisten an der FFC teil?
Entstanden ist die FFC im Jahre 2008 aus dem „Free-Gaza-Movement“. Bei uns sind wirklich Aktivisten aus allen erdenklichen Nationen aktiv. Amerika, Brasilien, Russland Japan, Irland, Skandinavien, Malaysia, Spanien – insgesamt Aktivisten aus 52 Nationen sind an dem Projekt beteiligt.
Ihr macht eigentlich das, was auf Staatsebene passieren müsste. Wie hast du das in Bezug auf den deutschen Staat wahrgenommen, wie wurdet ihr hier behandelt?
Wir werden direkt als Hamas Schiff genannt, was natürlich wieder die Klischee-Propaganda ist, weshalb ich deswegen immer betonen möchte, dass wir eine friedliche Initiative von Menschen sind, die sich zusammen tun, um die illegale Blockade aufzubrechen und die Menschen, die immer noch am schlafen sind, aufzuwecken, weil die Regierungen nur zuschauen oder direkt beteiligt sind. Besonders Deutschland, als zweitgrößter Waffenlieferant Israels. Wir sehen auch bei der „Madleen“-Mission, dass das Auswärtige Amt viel ignoranter gegenüber Aktivisten ist, die die deutsche Staatsbürger haben, als z.B. das türkische Auswärtige Amt bei meinem Mann. Ich sehe, dass auch in den deutschen Medien von „Gretas kleinem Terrorschiff“ und anderen Diffamierungen die Rede ist. Natürlich gilt das alles nicht in Bezug auf die Bevölkerung. Ich habe im letzten Jahr so viele Deutsche kennengelernt, die sich dafür schämen, dass sie Bürger eines Staates sind, welches sich ein weiteres Mal in einen Genozid einbringt. Ich bin froh, auch diese Menschen kennengelernt zu haben. Auch in der FFC kommen wir zusammen als Menschen aus verschiedenen Hintergründen – Christen, Juden, Muslime oder Atheisten. Alle mit dem Motiv, Mensch zu sein.
100 Jahre Einreiseverbot, gezwungen Dokumente zu unterschreiben, wie habt ihr diesen Prozess wahrgenommen, wie ist es gerade mit deinem Ehemann?
Überrascht hat uns das nicht, da es auch Teil unseres Trainings war. Uns wurde gesagt, dass wir auch gezwungen werden können, Dokumente zu unterschreiben. Dieses Formular beinhaltete 100 Jahre Einreiseverbot und die Anerkennung, dass man illegal nach Israel eingereist sei, was natürlich nicht stimmt. Und hier gibt es eine Strategie der FFC, die ich an dieser Stelle unterstreichen möchte. Die vier Aktivisten, unter ihnen Greta Thunberg, haben die Dokumente sofort unterschrieben und sind aus der Gefangenschaft rausgekommen.
Wegen der Fotos habe ich Baptiste, einen der als erstes freigelassenen Aktivisten gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass sie lächelnd Brot und Wasser von den israelischen Soldaten annahmen. Baptiste entgegnete mir, dass sie mit Waffen bedroht worden sind, das Brot anzunehmen – nur damit die israelische Armee ein Propaganda-Foto machen kann. Momentan wissen wir, dass einige Aktivisten in Einzelhaft sitzen. Mein Mann wird morgen nach Berlin kommen, jedoch wird meine Freude nur vervollständigt, wenn alle Aktivisten freikommen.
Eure Aktion hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt und auch wieder einmal gezeigt, dass das „internationale Recht“ nicht für alle Staaten gilt und einige Staaten dieses einfach nach Lust und Laune brechen können. Wir sehen aber auch, wie es zu immer mehr Protesten kommt.
Wie nimmst du die Solidarität wahr, die von den Menschen kommt?
Ich möchte Ihnen mitgeben, dass sie sich und das was sie bewirken können – auch wenn man sich manchmal als Einzelperson nutzlos fühlt – nicht unterschätzen sollen. Solange jeder bereit ist, etwas Eigeninitiative zu zeigen, sind wir eine Community, die sehr viel Solidarität zeigen kann. Ich freue mich auch darüber, dass die „Madleen“-Mission für so viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Aber wir sollten uns nicht nur auf die Menschen im Schiff fokussieren, auch wenn sie uns natürlich sehr wichtig sind, sondern auf die Symbolik. Ich merke auch, dass es zu weiterem führen wird, wie die Konvois in Syrien und Kairo. Und wir versprechen, dass dieses „Abenteuer“, was wir gerade erleben, nicht dafür sorgen wird, dass wir nicht noch ein Schiff nach Gaza segeln werden, solange die illegale Blockade besteht.
Werdet ihr auch an den Protesten in Deutschland teilnehmen?
Das haben wir in der Vergangenheit schon getan und werden es auch wieder tun, wenn wir uns gerade mal nicht auf eine Mission vorbereiten.