Die deutsche Herrenmodemarke Digel steht in der Türkei zunehmend in der Kritik: In der Ägäischen Freihandelszone bei Izmir (Gaziemir) kommt es zu weiteren Entlassungen. Grund ist offenbar die gewerkschaftliche Organisierung von Mitarbeitenden.
Die deutsche Textilfirma Digel Tekstil, eine Tochter des Traditionsunternehmens DIGEL aus Deutschland, betreibt in der sogenannten Ege Serbest Bölgesi (Ägäische Freizone) in Izmir ein Werk für Herrenbekleidung. Seit Monaten gibt es dort Streit um Arbeitsrechte. Bereits zuvor wurden sieben Beschäftigte entlassen, weil sie sich gewerkschaftlich organisiert hatten. Ihr Kampf um Wiedereinstellung dauert mittlerweile seit 150 Tagen an.
Am 13. Juni kam es nun zu einer neuen Entlassungswelle: Acht weitere Beschäftigte, die zum gewerkschaftlichen Komitee gehörten und in einem arbeitsrechtlichen Verfahren als Zeugen gegen die Unternehmensleitung aufgetreten waren, wurden ebenfalls entlassen – unter Berufung auf den sogenannten Kündigungscode 49.
Was bedeutet „Kündigungscode 49“?
In der Türkei werden Kündigungsgründe vom Arbeitgeber mit einem speziellen Zahlencode angegeben. Der Kündigungscode 49 steht für eine fristlose Kündigung aufgrund angeblich „unmoralischen, unehrenhaften oder böswilligen Verhaltens“ oder „ähnlicher Gründe“. In der Praxis kann dieser Code aber auch missbraucht werden, um unliebsame Beschäftigte ohne Abfindung oder Arbeitslosengeld zu entlassen. Die Entlassenen stehen dadurch finanziell schlechter da – und es bleibt ein Makel im Lebenslauf.
„DIGEL beruft sich in Deutschland auf Menschenrechte – und missachtet sie in der Türkei“
Makum Alagöz, Berater des Vorsitzenden der türkischen Textilgewerkschaft TEKSİF, erläutert, wie es zu den Entlassungen kam:
„Der Arbeitgeber ließ kurz vor dem Opferfest mitteilen, dass alle, die das Unternehmen freiwillig verlassen, ihre Abfindung erhalten würden und ihnen auch beim Zugang zum Arbeitslosengeld geholfen werde. Daraufhin erklärten sich rund 15 Mitarbeitende bereit, das Unternehmen zu verlassen. Doch nachdem sie zu Hause waren, erfuhren einige über Nachrichten der Sozialversicherung oder über Anrufe der Firmenleitung, dass ihre Kündigung unter Code 49 registriert wurde – was völlig andere arbeitsrechtliche Konsequenzen hat.“
Laut Alagöz wurden die Betroffenen nicht einmal vorab offiziell über die Kündigung informiert – obwohl das eigentlich vorgeschrieben ist. „Ein Unternehmen, das in Deutschland über Menschenrechte spricht, nutzt in der Türkei seine Macht, um systematisch gegen geltendes Recht zu verstoßen.“
Zielgerichtete Entlassungen von gewerkschaftlich Aktiven
Die acht kürzlich Entlassenen gehören laut Gewerkschaft alle zur gewerkschaftlichen Organisationsgruppe und hatten zuvor bereits als Zeugen für andere entlassene Kolleginnen und Kollegen ausgesagt.
„Damit verstößt das Unternehmen gegen geltendes Recht“, so Alagöz. „In der Türkei ist es gesetzlich verboten, jemanden zu entlassen, weil er oder sie als Zeuge gegen den Arbeitgeber aussagt. Doch das scheint hier niemanden zu interessieren.“
Alagöz geht davon aus, dass weitere Entlassungen folgen werden – gezielt gegen jene, die im Arbeitskampf eine führende Rolle übernehmen.
Protestmarsch nach Ankara geplant
Die Gewerkschaft TEKSİF hat zusammen mit den Digel-Beschäftigten beschlossen, öffentlich gegen die Entlassungen und Arbeitsbedingungen zu protestieren. Ab dem 21. Juni soll ein Protestmarsch von Izmir nach Ankara beginnen – zu Fuß, ohne Fahrzeuge. Unterwegs sind Aktionen auf öffentlichen Plätzen und Besuche bei politischen Vertretern geplant. Ziel ist es, den Protest bis vor das türkische Arbeits- und Sozialministerium in Ankara zu tragen.
„Trotz allem sind wir der Gewerkschaft treu geblieben“
Şengül Öztürk, die zwei Jahre bei Digel gearbeitet hat und ebenfalls am 13. Juni entlassen wurde, berichtet, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen trotz massiven Drucks nicht von ihrem Recht auf gewerkschaftliche Organisation abgerückt seien:
„Uns wurde ganz klar signalisiert: Wenn ihr euch nicht von der Gewerkschaft distanziert, fliegt ihr raus. Aber wir haben nicht aufgegeben. Danach begann erst richtig der Druck. Es gab Mobbing, Drohungen, Kontrolle – aber wir haben trotzdem weitergemacht.“ Öztürk schildert auch die schwierigen Arbeitsbedingungen im Betrieb: „Ich habe täglich zehn Stunden an der Bügelstation gestanden. In der ganzen riesigen Fabrik gab es gerade einmal zwei Wasserspender – einer davon war kaputt. Uns wurde sogar das Recht auf kaltes Trinkwasser verweigert, obwohl wir das oft gemeldet haben. Offenbar war das Absicht.“
Selbst der Gang zur Toilette sei kontrolliert worden: „Man fragte uns, wie lange wir auf der Toilette waren – das ist entwürdigend. Diese Situation hat sich längst von einem Streit um materielle Ansprüche zu einem Kampf um menschliche Würde entwickelt.“
„Ich wurde wie eine Maschine behandelt“
Auch ihre eigene Entlassung beschreibt Öztürk als demütigend: „Man forderte alle, die freiwillig gehen wollten, auf, sich bei der Personalabteilung zu melden. Ich habe das nicht getan – aber viele andere offenbar schon. Am Freitag, dem 13. Juni, war ich krankgeschrieben und informierte meinen Vorgesetzten. Am Nachmittag erfuhr ich von den ersten Entlassungen.“
Gegen 18:30 Uhr – also eine Stunde nach Feierabend – bekam sie dann einen Anruf: „Man sagte mir: ‚Frau Öztürk, Ihre Kündigung wurde gemäß Code 49 ausgesprochen. Kommen Sie am Montag bitte nicht mehr zur Arbeit. Ihre persönlichen Sachen kann jemand für Sie abholen.‘ Dann legte die Person einfach auf.“
Öztürk zeigt sich empört über die Art und Weise: „Ich war krank und lag im Bett – und sie behandeln mich wie eine Maschine, die man einfach abschaltet. Das verletzt meine Würde zutiefst. Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Ich und meine Kolleginnen und Kollegen – wir werden nicht aufgeben.“