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Ich! Bin! Ein Opfer! – Der Angeklagte Wohlleben beteuert seine Unschuld

 

Alexander Hoffmann*

Etwas überraschend verlas der Angeklagte Ralf Wohlleben seine Erklärung, die er als Reaktion auf Zschäpes geändertes Prozessverhalten angekündigt hatte. Wohlleben will sich auch einer Befragung durch alle Prozessbeteiligten stellen, zunächst aber nur zu Fragen zur Person beantworten. Da er sich weiter vorbereiten müsse, könnten Fragen zur Sache erst im Januar beantwortet werden.
Wohlleben bestreitet die ihm von der Anklage vorgeworfenen Taten. Er habe zwar seinen Freunden beim Untertauchen geholfen, es aber niemals für möglich gehalten, dass diese solche Straftaten begehen. Er habe auch einen Tip gegeben, wo Carsten Schultze nach einer Waffe fragen könnte, er sei aber davon ausgegangen, dass Uwe Böhnhardt diese Waffe nur haben wollte, um sich im Falle einer Festnahme selbst zu töten. Im Gegenteil habe er sich in seiner politischen Arbeit, aber auch privat immer gegen die Anwendung von Gewalt, insbesondere gegen fremdenfeindliche Gewalt ausgesprochen. Er greift damit die bereits von André Kapke vorgetragene Charakterisierung seiner Person als „Friedenstaube“ auf. Wohlleben inszeniert sich als Opfer. Als Opfer der Wende, die nicht die von ihm gewünschte nationalistische Ausrichtung brachte, sondern Globalisierung, Migration und Kapitalismus. Als Opfer der Polizei, die willkürlich gegen „Nationalisten“ vorgegangen sei. Als Opfer der Antifa, die ihn und seine Kameraden immer wieder angegriffen habe. Als Opfer der Mitangeklagten Gerlach und Schultze, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihn belasten.
Spannend ist, dass Wohlleben angab, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mehrfach in Chemnitz und einmal, nach der Enttarnung Tino Brandts als V-Mann (Mai 2001), in Zwickau getroffen zu haben. Bei einem Treffen in Chemnitz sei ein ihm unbekannter „Glatzkopf“ dabei gewesen, der Details der Flucht gekannt habe, am Telefon habe ein ihm unbekannter Mann Anweisungen erteilt. Mit diesen Angaben bestätigt er seine wichtige Funktion für die drei, auch bei der Frage, ob diese durch Brandt gefährdet seien.
Bemerkenswert an der Erklärung Wohllebens ist, dass sie ähnlich der Erklärung Zschäpes stark auf den angeblichen Selbstmordplan Böhnhardts aufbaut. Wo Zschäpe allerdings abstruse Erklärungen für bestimmte Behauptungen gesucht hat, beschränkt sich Wohlleben auf das bloße Leugnen. Wo Zschäpe ihre politische Einstellung zu verbergen versucht hat, nutzt Wohlleben den Auftritt im Gerichtssaal für politische Propaganda, verliest ausführlich aus dem Aufruf zum von ihm mit veranstalteten „Fest der Völker“, spielt ein Neonazi-Propaganda-Video ab, das Theorien des „Ethnopluralismus“ darstellt.
Gemeinsam ist beiden Einlassungen, dass sie jede persönliche Schuld von sich weisen. Und gemeinsam ist beiden Einlassungen, dass sie schon in sich total unplausibel sind und zudem durch die bisherige Beweisaufnahme widerlegt sind.
Das gilt bei Wohlleben insbesondere, wenn dieser versucht, sich als „Friedensengel“ darzustellen, der Gewalt immer verabscheut habe und der auch „weltanschauliche Schulungen“ im Kreis der „Kameraden“ abgelehnt habe. Die Jenaer Landtagsabgeordnete Katharina König braucht nur 4 mal 140 Zeichen, um wesentliche Aspekte zu widerlegen: „wie war das mit der dem Vortrag zur „Friedenspolitik des III. Reiches?“, fragt sie, und verweist darauf, dass ausgerechnet der Nazi, den Wohlleben als Zeugen für seinen Aufruf zum Gewaltverzicht laden will, selbst nach einem gewalttätigen Überfall auf ein linkes Jugendcamp zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde.
Auch der Verweis auf das „Fest der Völker“, bei dem berüchtigte Bands aus dem „Blood and Honour“- Netzwerk auftraten und Vertreter von offen den Nationalsozialismus verherrlichenden europäischen Parteien vor einem Transparent auftraten, das an die europäischen SS-Freiwilligenverbände erinnert, wird das Gericht kaum davon überzeugen, dass Wohlleben schon wegen seiner „Friedfertigkeit“ freizusprechen ist.
Die Wohlleben stark belastenden Aussagen der Angeklagten Schultze und Gerlach, die zu einem frühen Zeitpunkt bereits gegenüber der Polizei gemacht worden sind und später vor Gericht wiederholt wurden, werden sich mit bloßem Leugnen nicht widerlegen lassen, zumal eine Einlassung zu einem so späten Zeitpunkt, die auf die bereits durchgeführte Beweisaufnahme zugeschnitten ist, ohnehin nur geringen Beweiswert hat.
Im Übrigen zeigte sich schon bei der allerersten Frage an Wohlleben, dass er seine Ankündigung, er wolle alle Fragen beantworten, nicht durchhalten wird: gefragt nach dem Passwort einer verschlüsselten Festplatte, weigerte er sich, dieses herauszugeben, behauptete, die Daten seien identisch mit denen auf der nicht verschlüsselten Platte. Eine wenig plausible Erklärung – wenn die Dateien mit den schon bekannten identisch wären, wäre es ja kein Problem, das Passwort herauszugeben.
* Rechtsanwalt und Nebenkläger im NSU-Prozess, https://www.nsu-nebenklage.de

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